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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Vermuthlich war es auch Herr Baud, welcher später König Wilhelm den Zweiten über jenen mysteriösen Vorfall in Sumadang unterhielt.

In Folge dieses traf in Indien der Befehl ein, man solle nochmals versuchen, der Sache, wenn irgend möglich, auf die Spur zu kommen. Der Schreiber dieser Zeilen befand sich damals in Sumadang (1854) und bewohnte das nämliche Haus, was v. Kessinger früher bewohnt und wo die vorher beschriebenen Scenen spielten, und es lebten damals wohl noch zwanzig Augenzeugen der damaligen Vorgänge. Die Meisten waren Eingeborene; es befanden sich aber auch zwei Europäer dabei, die Herren Dikhuis und Dornseif, und aus allen deren Aussagen, die unabhängig voneinander abgegeben wurden, entstand obiger Bericht.

Die Familie von Kessinger hatte Indien schon lange verlassen, der alte Regent war gestorben, das kleine Mädchen, die Heldin der ganzen Handlung, war schon zur Großmutter geworden, und zwar im Dienste des Herrn A. Baud, Theepflanzers auf Java – aber niemals wollte sie wieder Aehnliches erlebt haben.

Die Herren setzten allerdings eine Prämie von zweihundert Gulden aus für Jeden, der ihnen Gelegenheit geben würde einer solchen Gendarúa oder Erscheinung beizuwohnen, aber es verlautete in der Zeit nichts weiter davon. Auch die jetzigen Nachforschungen blieben, wie die vorigen, ohne entscheidendes Resultat.

General Michiels vermied es geflissentlich, in späteren Jahren auf eine Erzählung des Ereignisses einzugehen oder es nur zu berühren, da er die Erfahrung gemacht, daß es die Zuhörer gewöhnlich belächelten. Im Jahr 1847 nun drang der sich in außerordentlicher Mission in Indien befindende General von Gagern (später gefallen) eines Tags bei Tisch in ihn, die Sache zu erzählen. Michiels weigerte sich zuerst und erst auf wiederholtes Bitten gab er nach. Als General von Gagern aber ebenfalls lächelte, führte dies zu einer so heftigen Scene, daß Gagern endlich gezwungen wurde, förmlich Abbitte zu thun.

In Folge des persönlichen Auftrags der Regierung ließ es sich jetzt der damalige Resident von Sumadang besonders angelegen sein, auch noch anderwärts in Bezug auf derartige Erscheinungen Erkundigungen einzuziehen. Vom Regenten von Sukapure, im südlichen Theil der Regentschaft, vernahm er auch alsbald, daß zu Lebzeiten seines Vaters ein ganz ähnlicher Fall vorgekommen sei, dem er selber persönlich beigewohnt.

Einige wenige Miles von Sukapure entfernt lebte damals die Familie Teisseire. Herr Teisseire, ein geborener Franzose, war Aufseher einer dort bestehenden und der Regierung gehörenden Indigofabrik. Obgleich nun damals (es wird im Jahr 1834 gewesen sein) die Indigocultur als ein schwerer Druck auf den Eingeborenen lastete und auch später, als unhaltbar in dortiger Gegend, aufgegeben werden mußte, so stimmen sämmtliche Berichte überein, daß Herr Teisseire selber, wie auch seine ganze Familie, als freundlich gute Leute bei Allen beliebt waren.

Eines Tages, als die Familie noch bei Tische sitzt, fallen unerwartet einige eigroße Steine mitten auf den Tisch, und von jenem Augenblick an wiederholte sich die Erscheinung regelmäßig und beinahe unausgesetzt ungefähr vierzehn Tage lang, bald in dem, bald in jenem Zimmer des Hauses. Einige Mal wurde Herr Teisseire selbst, auf offenem Felde, auf einem Büffelkarren sitzend mit Erde und Büffekoth beworfen. Dann wieder fielen Büffelknochen, ja einmal sogar ein ganzer Büffelschädel in sein Zimmer.

Diese Gegenstände fielen stets senkrecht aus der Höhe nieder und sollen genau so wie später in Sumadang immer erst fünf oder sechs Fuß über dem Boden dem Auge sichtbar geworden sein.

Den Bewohnern des Hauses geschah übrigens körperlich nichts zu Leide.

Der Regent von Sukapure, mit der Familie Teisseire befreundet, eilte sofort herbei, und es wurde für ihn, wie gewöhnlich, eines der Gemächer zum Wohnzimmer hergerichtet. Kaum aber hat er sich Abends zur Ruhe begeben, so ward – wie sein Sohn, der junge Regent von Sukapure, versichert – vor des Letzteren Auge an dem Bette erst gerüttelt und dann das ganze Bett einige Mal in die Höhe gehoben. Es brannte dabei Licht in dem Zimmer, und es befanden sich auch noch einige Personen von des Regenten Gefolge darin. Der Regent sprang übrigens erschreckt vom Lager auf und verließ sogleich das Haus.

Das Gebäude selber stand hart am Rand des sehr steil abfallenden Ufers eines Bergstromes Tjitandoog, der etwa hundertfünfzig Fuß tief unter ihnen dahinsprudelte. Der Regent versichert, daß sie mehrere Male einen der gefallenen Steine mit einem Strich oder Kreuz von weißem Sirihkalk gezeichnet und dann in den Strom geworfen hätten; derselbe Stein sei aber mit demselben Zeichen, und zwar naß vom Wasser, immer wieder gekommen und oft kaum eine Minute später, als man ihn hinunter geworfen.

Wie in Sumadang verlief die Erscheinung auch hier ganz harmlos, nur dauerte sie in Sukapure bedeutend länger.

Der Resident Ament versicherte, ebenfalls Augenzeuge eines solchen Auftrittes gewesen zu sein.

Er befand sich als Inspecteur der Kaffeecultur in den Preanger Regentschaften auf Reisen, und hörte in Bandong von einer derartigen Gendarúa in einem kleinem Hause, das von einer alten Sundanesin bewohnt wurde und hinter den Gebäuden des Assistent-Residenten von Bandong lag. Der Assistent-Resident hieß Nagel. Mit diesem und dem Regenten von Bandong (dem eingeborenen Fürsten) wird verabredet, der Sache sofort auf den Grund zu kommen. Die eingeborene Miliz wird mitgenommen und das Haus, wie auch in Sumadang, selbst im Innern besetzt. Es hatte, wie alle diese Wohnungen der Eingeborenen, nur einen einzigen Wohnraum. Die alte Frau schreitet voran – unmittelbar hinter ihr der Resident Ament, dann der Assistent-Resident und der Regent mit seinem Gefolge. Es führte nur ein schmaler Pfad zum Hause.

Sowie die Alte die Schwelle der Wohnung betritt, wird sie wie von unsichtbarer Hand bei den Füßen ergriffen und einige Schritte weit fortgeschleppt, während sie zugleich laut um Hülfe ruft.

Das Haus ist, wie gesagt, gänzlich umzingelt, das Zimmer, wie alle diese kleinen Bambushäuser, ohne Plafond und offen bis zum Dach, darunter die ausgespannte Leinwand. Der Inspecteur Ament tritt zuerst hinein, setzt aber kaum den Fuß über die Schwelle als ihm mit voller Kraft eine Hand voll groben Sandes gegen die Brust geschleudert wird.

Herr Ament, ein durchaus unerschrockener Mann, der jetzt noch in Batavia lebt, versicherte später, nie im Leben Lust verspürt zu haben, die Probe noch einmal zu versuchen. Uebrigens führten auch hier sämmtliche und genaueste Nachforschungen zu keinem Resultate.

In den letzten fünfundzwanzig Jahren ist die Gendarúa seltener geworden, ja hat gänzlich aufgehört, oder wird auch vielleicht von den Eingeborenen verheimlicht, um nicht deshalb verspottet zu werden

Vor zwölf Jahren etwa fiel allerdings wieder etwas Aehnliches und zwar ebenfalls in Bandong vor, und der damalige Assistent-Resident Visscher van Gaasbeek begab sich augenblicklich in das Haus, ohne daß aber die Erscheinung wiedergekehrt wäre.

Mit den mehr unbefangenen und schon einigermaßen gebildeten Regenten und Häuptlingen des Landes kann man ruhig über diese räthselhafte Erscheinung sprechen. Sie leugnen dabei keineswegs ab, daß sie an die Wirklichkeit derselben fest glauben, gestehen aber auch ein, daß sie sich nicht im Stande sehen, sie zu erklären. Der wirklich hochgebildete Regent von Tjamis erklärte sogar: ‚Ich nehme an, daß es Geschlechter giebt, in denen die geheimnißvolle Macht, sich unsichtbar zu machen, erblich ist und daß in Folge des Aussterbens dieser Familien die Erscheinung jetzt weniger häufig zu Tage tritt als früher.‘“

Soweit der Bericht, der von zuverlässigen Leuten stammt, bei denen kein Zweifel obwalten kann, daß sie von dem, was sie gesehen und worüber sie aussagten auch fest überzeugt waren. Interessant bleibt es immer, und wie weit dabei an eine Selbsttäuschung des Betreffenden zu glauben ist, muß ich dem Urtheil der Leser selbst überlassen.[1]

  1. Obiger interessante Artikel Gerstäcker’s wurde von uns um so lieber zum Abdruck gebracht, als wir dadurch dem großen Leserkreis unseres Blattes Gelegenheit bieten möchten, ihre Erfahrungen zur Aufklärung ähnlicher scheinbar mysteriöser Vorfälle beizutragen. Wir erinnern dabei an ein Ereigniß in Zittau, das vor einigen Jahren in der Presse vielfach besprochen wurde und bei dem das so geschickt gehandhabte Steinwerfen gleichfalls eine Hauptrolle spielte. D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 399. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_399.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)