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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

So herrscht auch in den Sundalanden allgemein, und übrigens im ganzen indischen Archipel, vorzüglich in den Molukken, der weit verbreitete Glaube an jene eigenartige Erscheinung aus dem Gebiet einer der materiellen Existenz fernstehenden Welt, welche sich selbst dem Auge des Menschen dadurch kundgiebt, daß in einen verschlossenen Raum Steine geworfen werden, oder Sand oder Kies niederfällt.

Der Name, den man dieser Erscheinung unter den Sundanesen oder Javanen, wie auf den Molukken giebt, ist Gendarúa oder Gundarua, und unter den Eingeborenen wird es als etwas ganz Selbstverständliches betrachtet. Ein Fall brachte aber auch einmal, vor längeren Jahren, die ganze europäische Bevölkerung des Sundalandes in volle Aufregung, und ihn zu schildern, der, beiläufig gesagt, nie aufgeklärt wurde, ist der Zweck dieser Zeilen.

Im Jahr 1836 oder 37 lebte in Sumadang, in den Preangern, eine Familie v. Kessinger. Herr v. Kessinger, wahrscheinlich ein Deutscher von Geburt, stand im Dienst der holländischen Regierung und war Assistent-Resident, also höchster Verwaltungsbeamter eines Districts (Sub-Residentschaft). Die Familie bestand nur aus zwei Personen, aus ihm selber und seiner Gattin, einer in Indien geborenen Dame. Kinder besaßen sie nicht, dagegen hatte – was in Indien und besonders bei kinderlosen europäischen Familien sehr häufig geschieht – ein kleines, damals etwa zehnjähriges Mädchen von eingeborenen Eltern zu allen Zeiten freien und ungehinderten Zutritt zum Hause. Der Vater der Kleinen diente als Koch bei Kessinger.

Herr v. Kessinger bewohnte, wie alle Assistent-Residenten auf Java, eine sogenannte Dienstwohnung, ein in einem Garten freistehendes, aus Holz und Brettern errichtetes, mit gewöhnlichen Dachziegeln gedecktes, einstöckiges Gebäude.

Eines Tages spielte das kleine Mädchen wie gewöhnlich im Zimmer der Frau v. Kessinger. Ihr Gatte war gerade abwesend und auf einer sogenannten Inspectionsreise begriffen. Da springt das Kind plötzlich auf, rennt weinend zu Frau v. Kessinger und jammert, daß man ihre weiße Kabaya (das gewöhnliche vorn offene und rockähnliche indische Kleidungsstück) mit rother Sirihspucke beschmutzt habe.[1]

Die Sache wurde sofort untersucht, aber ohne ein Resultat zu erzielen. Frau v. Kessinger glaubte auch natürlich, daß die Flecke von der Unart irgend eines der übrigen Dienerschaft Angehörenden herrührten. Die Kleine bekam ein reines Kleidchen, und man hielt die Sache für abgemacht.

Da springt das Kind auf’s Neue auf, ihre Kabaya ist wieder wie vorher von rothen Sirihflecken beschmutzt und zu gleicher Zeit fällt ein Stein von der Größe eines Hühnereies zu Füßen der Frau v. Kessinger nieder, als wäre er von der Decke herabgestürzt. Dieselben Erscheinungen wiederholen sich aber in kurzen Zwischenräumen mehrere Male hintereinander, so daß Frau v. Kessinger. sofort einen Diener zum gegenüberwohnenden Regenten (dem Fürsten der Eingeborenen, der aber unter holländischer Botmäßigkeit steht) schickt, und ihn bitten läßt, zu ihr herüberzukommen.

Raden Adi Pali Aria Soerio Natto Hoesoemo, als Regent im Dienst der niederländischen Regierung, die ihn an die Spitze von etwa dreihunderttausend Seelen Eingeborener des Districts Sumadang gesteckt hatte, war ein Mann von erprobter Tüchtigkeit und Treue. Sein hervorragender Antheil an den Kämpfen der vieljährigen Unruhen in der nahen Residentschaft Cheribon hatte ihm den Rang und Titel eines Prinzen (Pangéran), eine große goldene Ehrenmedaille und den ersten Rang unter den Preanger Regenten eingetragen, Schon seit 1680 war aber auch die Würde eines Regenten von Sumadang in dieser Familie erblich, wie sie es jetzt noch ist.

Der Regent eilte sofort in die Wohnung des Assistent-Residenten, fand aber selber bald Gelegenheit sich von der Wahrheit des Erzählten zu überzeugen. Er ergreift jetzt alle erdenklichen Maßregeln, um dem Unfug zu steuern. Er läßt das Haus durch sein Gefolge besetzen und nachher sämmtliche Anwesende aus dem Zimmer selber weisen, aber die Sirihflecke auf den Kleidern der Kleinen zeigen sich trotzdem immer wieder auf’s Neue. – Ab und zu fällt auch wieder ein Stein nieder, der Vorgang bleibt unerklärlich, und man beschließt zuletzt, den Oberpriester zu rufen, um gewissermaßen den Teufel durch diesen auszutreiben.

Inzwischen war die Dämmerung eingetreten, der Oberpriester erreicht das Haus, legt seine Matte zurecht und setzt sich nieder, hat aber kaum, beim Schein einer Lampe, den Koran aufgeschlagen, um daraus vorzulesen, als, wie von unsichtbarer Hand, ein Schlag geführt wird, der das heilige Buch nach rechts und die Lampe nach links hinüberschleudert.

Frau von Kessinger fürchtete sich jetzt, die Nacht in diesem unheimlichen Hause allein mit dem Kinde zu verbringen, und nahm die Einladung des Regenten an, bis zum nächsten Tage mit dem Mädchen bei seinen Frauen zu schlafen, und dort blieb das Kind unbelästigt. Unter der Zeit riefen aber Eilboten Herrn v. Kessinger herbei, und kaum waren mit ihm Frau und Kind in die Wohnung zurückgekehrt, so wiederholen sich dieselben Vorfälle.

Während der Nachtzeit fällt selten ein Stein, aber auch am Tage wird nur allein das Kind mit Sirih bespuckt, während die anderen Personen unbelästigt bleiben.

Die Mähr dieser wunderbaren Begebenheit verbreitet sich indessen rasch in all den angrenzenden größeren Ortschaften und kommt endlich auch dem General-Gouverneur in Buitenzorg zu Ohren, der sofort einen seiner Adjutanten, den Major Michiels, zur Berichterstattung absendet.

Michiels, ein erprobt unerschrockener Militär, hatte mit großer Auszeichnung den letzten Javaschen Feldzug von 1826 bis 1829 (der der Regierung nahe an zwölftausend Menschenleben und fünfundzwanzig Millionen Gulden gekostet) als Colonne-Commandant mitgemacht. Er blieb später als commandirender General im Kriege gegen Bali 1848 vor dem Feinde, und seine Tapferkeit und Ausdauer hatten ihm sogar im ganzen Archipel (er war später Gouverneur von Sumatra) den Beinamen General Matjan (Tiger) erworben.

Michiels fand bei seiner Ankunft das Ganze noch genau so vor, wie es begonnen, und traf augenblicklich seine Vorkehrung, um dem Spuk auf den Grund zu kommen. Das Haus wurde besetzt und umzingelt, und er postirte selbst Leute auf das Dach und in die nächsten Bäume. Das Zimmer, in welchem der General sich befindet, wird mittelst weißen Zeuges zu einem Zelt umgestaltet. Der General nimmt dann das Kind auf den Schooß – und es wird wieder mit Sirih bespuckt, und wieder fallen die Steine, ohne jedoch Jemanden zu schädigen. Es waren Steine ganz gewöhnlicher Art, wie sie eben überall auf den Wegen und im Garten lagen. Bei starkem Sonnenschein fühlte man die Steine wie erwärmt, bei Regen naß, also frisch aufgenommen. Es fielen fünf bis sechs von ihnen gewöhnlich rasch aufeinander, wonach dann wieder eine Pause von oft einer halben Stunde eintrat. Nirgends zeigte die gut schließende Leinwand des Zeltes ein Loch. Die Steine fielen stets in grader Richtung von oben und wurden dem Auge erst etwa sechs Fuß über dem Erdboden sichtbar. An einem Tage sammelte man von diesen Steinen eine ziemlich große Kiste voll.

Nur ein einziges Mal fiel eine Papaya-Frucht (eine melonenartige Frucht, die an einem hohen palmenartigen Baume wächst) in’s Zimmer, und als man die Nachbarschaft absuchte, fand man auch den Stamm, von dem sie gebrochen worden. Dem Blattstiel entträufelten noch große Tropfen des milchigen Saftes. Ein andermal fiel ein faustgroßes Kalkmauerstück in das Zelt, das, wie sich herausstellte, an die Ecke des Kochherdes in die Küche gehörte.

Wieder ein andermal sah man deutlich den Abdruck einer feuchten Hand über einen Wandspiegel fahren – Stühle, Gläser und Teller wurden gerückt.

Michiels blieb mehrere Tage auf Sumadang. Sein officieller Bericht an die Regierung ist aus den Archiven verschwunden. Man fand nur einen Zettel mit der Bemerkung: „de stukken door den heer Baud naar Nederland medegenomen“ – die Stücke durch den Herrn Baud nach den Niederlanden mitgenommen.

Also hat sich der Herr General-Gouverneur diese jedenfalls höchst interessanten Papiere aus den Archiven ganz einfach zu seinem speciellen Vergnügen angeeignet, und sie existiren vielleicht noch in seiner Familie.

  1. Das Sirih- oder Betel-Kauen ist in Indien allgemein: der Stoff besteht aus kleinen Stücken der sonst eigentlich geschmacklosen Arekanuß, etwas Kalk und den frischen Blättern der Sirih-Pflanze, eines Rankengewächses der Pfefferart. Der Speichel des Kauenden bekommt eine hochziegelrothe Färbung, die sich auch gewöhnlich schon an seinen Lippen zeigt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 398. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_398.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)