Seite:Die Gartenlaube (1871) 381.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Bald sahen sich die Reisenden von den ersten Blitzen umzuckt und erreichten mit knapper Noth noch vor dem vollen Ausbruch des Unwetters die schützende Burg. Man stieg die Stufen hinauf und trat in das freundlich erleuchtete Gastzimmer, wo der Burgcastellan Wolf die Gäste auf’s Freundlichste willkommen hieß.

Welch ein Schauspiel, welch ein großartig erhabenes Schauspiel eröffnete sich jetzt! Ueber, neben und tief unter der Burg zuckten die blutrothen Blitze. Manchmal öffnete sich nach Westen der Himmel und warf gleich einem feuerspeienden Berge ganze Gluthmassen hervor, so daß das unten liegende Eisenach taghell erleuchtet erschien. Dazu erdröhnten Donnerschläge, von denen die tiefsten Grundfesten der alten Landgrafenburg erschüttert zu werden schienen.

Mittlerweile war der echt ritterliche Commandant der Burg, Major v. Arnswaldt, herbeigekommen, den Bechstein in einer seiner Novellen als Ritters- und Burgmann Bernhard v. Swandtlar geschildert hat, der „in Kampf und Minne gleich erprobt eine Freude hatte an allem Hohen und Edlen, viel schöner Künste pflag, die Laute und Cither wohl zu schlagen und mit süßen Melodeien zu begleiten verstund, auch manch trefflich Gemäl und Bildwerk meisterlich herfürbracht“. An seiner Hand Meister v. Schwind, eine kräftige gedrungene Gestalt von mittlerer Größe, zu behaglicher Wohlbeleibtheit hinneigend. Auf dem kurzen Halse ein schöner, ausdrucksvoller Kopf. Die frische Röthe seines Gesichts zeugte von blühender Gesundheit, die großen, hellen ausdrucksvollen Augen, mit buschigen Brauen umgeben, von einem ebenso klaren als tiefen Auffassungsvermögen. Den schön geschnittenen Mund umschattete ein buschiger Schnurrbart, die hohe breite Stirn war von einer reichen Fülle kastanienbrauner Locken umwallt, aus denen jedoch schon hier und da ein Silberblick durchschimmerte. Im Kinn ein Grübchen.

Von den Angekommenen waren dem Meister Baron v. Liliencron und Langenberg persönlich noch nicht bekannt; Bechstein stellte sie vor, Letzteren mit den Worten: „Mein Freund Langenberg, ein Gelehrter!“

Da fuhr der Meister fast wie erschrocken zurück. „Was, ein Gelehrter?“ Und Langenberg scharf fixirend, fuhr er fort: „Ein Gelehrter? Na, da schaun Sie viel zu vernünftig dazu aus.“

„Ich bin es auch keineswegs,“ entgegnete Langenberg, „und wußte wohl, daß Sie sich durch den Scherz unseres Freundes Bechstein nicht würden täuschen lassen; denn Sie wissen von Ihren Studien für die Bilder in Karlsruhe gar wohl, wie ein rechter Gelehrter aussehen muß.“

Das Gespräch kam bald in guten Fluß und da äußerte u. A. Schwind:

„Sehn Se, ich kann durchaus nit all’ die widrigen und lästigen Wartburgsbesucher in gleicher Weis’ empfangen. Die Allermeisten führt doch nit Kunstlieb’ und Kunstsinn in mein Atelier, sondern bloße pure blanke Neugier. Da kommen sie von Reußen und Preußen und wie ihre Vaterländer alle heißen mögen, und geh’n z’erst unten zum Elephanten (es war damals eine wandernde Menagerie in Eisenach) und dann herauf zu mir.“

„Sie sehen,“ erwiderte Langenberg, „welche rühmliche Ausnahme ich mache, ich bin heute gleich zu Ihnen heraufgekommen und gehe morgen erst zum Elephanten.“

Indessen war noch ein gar liebenswürdiger Wartburgsgenosse herbeigekommen, ein junger talentvoller Baukünstler, Bau-Inspector Dittmar, seit 1851 die unermüdet thätige rechte Hand Ritgen’s bei Ausführung des Restaurationsplanes, und zugleich hatte Johann, des Herrn Commandanten Diener, aus einem Flaschenkorbe die schweren und leichten Geschütze auf dem Tische aufgepflanzt. Dann begann die Tafelrunde mit dem Gesange des Liedes:

„Wohlauf noch getrunken den funkelnden Wein!“

Scherz und Ernst würzten, wie bei Platon’s Symposion anmuthig abwechselnd, die Unterhaltung, zu deren Belebung sämmtliche Ritter der Tafelrunde, jeder nach der ihm verliehenen Gabe, redlich das Ihre beitrugen. Der Burgcommandant durch seine reiche und feine Welt- und Menschenkenntniß, Bechstein durch die ihm eigenthümliche gemüthreiche Auffassung und poetische Darstellungsgabe, Herr v. Liliencron[1] durch seine ebenso reiche als feine Kunstkenntniß, Dittmar durch seine genaue Kenntniß des Restaurationsplanes und dessen Ausführung, Maler Müller durch seine originellen Einfälle und Langenberg durch seine historischen Erläuterungen, während Meister Schwind durch seinen unerschöpflichen, in glänzenden Cascaden aufsprudelnden Humor das Meiste zur allgemeinen Erheiterung beitrug.

Bechstein begann also zu Schwind: „Ich habe unsern Freunden vorhin im Heraufsteigen andeutungsweise Einiges aus Deinem Leben erzählt. Nun aber möchten wir von Dir nähern Ausschluß über Dich selbst von Deiner Geburt an hören.“

Schwind erwiderte: „Von meiner Geburt weiß ich im Grund blitzwenig zu erzählen, aus eigener Anschauung gar nichts, hab’ Alles nur von Hörensagen. Daß ich aber geboren bin, das steht fest, und zwar, wie sie mir gesagt haben, in Wien am 21. Januar 1804.[2] Drum häng’ ich auch mit Leib und Seel’ an der Metropol’ am Donaustrand, und so oft ich das Liedel hör’ mit dem Refrain:

Ach, das muß prächtig sein,
Da möcht’ ich hin:
’S giebt nur a Kaiserstadt,
’S giebt nur a Wien –

da geht mir das Herz auf und es rührt mich bis zu Thränen, und wenn ich heftig und wild werde, da kann ich noch heutigen Tags den Wiener nit verlaugn’. Der heilige Mauritius ist mein Schutzpatron und mit dem hab’ ich auch viel Aehnlichkeit. Als der den heidnischen Götzen mit seinen Kriegsknechten nit opfern wollte, ließ der Kaiser immer den zehnte Mann niederstechen, und als er noch immer nit wollte, damit von vorn anfangen, bis sie alle in ihrem Blut lagen. So hätt’ ich’s auch gemacht. Lieber ließ ich mich bis auf den letzten Mann niederhauen, ehe ich den falschen Propheten anhinge und ihren falschen Göttern opfern thäte. Dem St. Moritz-Orden könnt’ ich auch recht gut angehören, denn die Ritter vom selbigen Orden lassen sich, wie ich, ihr Haar lang wachsen. Das Gelübde der Armuth braucht’ ich gar nit erst zu thun, denn wir Künstler sind von Haus aus arm wie die Kirchenmäus’, und daß wir’s bleiben, dafür sorgen schon, bei aller Munificenz unserer Fürsten[WS 1] , die Herren von Wendepfennig und Kümmelspalter, die Herren Plusmacher und Geizkragen, die wie die Drachen auf dem Staatssäckel sitzen. Was aber gar das Hauptgelübde bei den Mauritianern anlangt, daß sie nur einmal heirathen dürfen, das brauch’ ich erst recht nit abzulegen, denn wenn mir, was Gott in Gnaden verhüten möge, mein gut’s Weiberl stürb’, da wollt’ ich mir lieber die Händ abhacken lassen, eh’ ich wieder heirathen thät’.“

Nach diesen Worten schwieg der Meister einige Minuten tiefbewegt, und eine Thräne erglänzte in seiner ergrauenden Wimper.

„Mein guter Vater,“ so fuhr er dann fort, „starb mir früh und bei meinem lieben Mutterl ist es knapp gegangen. Wir wohnten in einem kleinen Häusle am Wall, ‚zum Mondschein‘ benamset. Da war freilich mehrstentheils Schmalhans Küchenmeister. Trotzdem bot sie Alles auf, um mich ausbilden zu lassen. Mit besonderem Eifer besuchte ich die Kirch’ und hatte keinen größeren Wunsch, als den, Ministrant zu werden, und ich trat auch diesen hohen Posten an, um’s meiner Mutter etwas leichter zu machen. Sie ließ mich auf das Gymnasium und ich war sogar schon auf der Universität als Studiosus juris inscribirt, als gute Freunde meiner Mutter die Meinung beibrachten, daß ein Maler in mir stecke. So hat mich denn’s Mutterl in die Lehre zum Schnorr von Carolsfeld gethan, den ich bis an’s Grab verehren muß, weil er zu Allem den Grund gelegt hat, was aus mir etwa geworden ist. Ihm verdanke ich die Hauptrichtung meines künstlerischen Schaffens vor Allem, obschon ich eigentlich, da ich keine seiner Eigenthümlichkeiten angenommen hab’, nit sagen kann, daß ich seiner Schul’ angehör’. Ich bin halt früh mein eigener Lehrer und Schüler gewesen und bin meinen eigenen Weg gegangen.

Viel verdank’ ich dabei, und mehr als den Professoren der Akademie, auf die ich dann später kam, meinen ersten poetischen Jugendgenossen Lenau und Bauernfeld und hernachmalen Auersperg, Castelli, Grillparzer. (Illustrationen zu dessen Werken behufs eines Gedenkblattes zu des Dichters achtzigstem Geburtstage waren die letzte Arbeit Schwind’s.) Auch den Tonkünstlern, vor Allen Schubert, Franz Lachner und Beethoven, verdank’ ich viel zu meiner Bildung und hab’ daher auch

  1. Er hat sich bekanntlich durch sein neuestes Werk: „Die historischen Volkslieder der Deutschen vom dreizehnten bis zum sechszehnten Jahrhundert“ großes Verdienst erworben.
  2. Sein Vater war Legationsrath und Hofsecretär.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Munificenz, unsere kunstliebenden Fürste (korrigiert laut Druckfehler (Die Gartenlaube 1871/26))
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 381. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_381.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)