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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Fälle vor. Der eine Dieb war leider ein Deutscher, der andere ein Amerikaner, der sich durch Spiel und Trunk ruinirt hatte.

Dieser Mann hatte dasselbe Geschäft wie ich. Während ich die großen Summen von den Assistenz-Schatzmeistern erhielt, gingen an ihn die von Privatpersonen, meistens kleinere Beträge. Ich hatte nichts mit ihm zu thun und nicht zwanzig Worte gewechselt. Er lief mit einigen dreißigtausend Dollars davon, als er befürchtete, daß seine Unterschleife entdeckt werden möchten.

Man hatte keine Photographie von ihm und war in Verlegenheit die Verfolgung einzuleiten. Unter diesen Umständen, erinnerte sich mein Chef der Carricaturen und Portraits, die er zu Zeiten auf dem schönen Bogen Löschpapier gesehen hatte, der auf meinem Pulte lag, und fragte mich, ob ich wohl im Stande sei, den Dieb aus dem Gedächtniß zu portraitiren. Ich ging sogleich nach Hause und malte den Kerl in Oel. Als ich das Portrait in unser Bureau brachte, schrie Alles auf, denn der Dieb war gut getroffen. Das Portrait wurde noch naß in das Polizeibureau geschickt, gleich photographirt und durch die ganzen Vereinigten Staaten geschickt.

Als ich einige Wochen darauf eines Morgens vor neun Uhr nach der Treasury ging und eben das National-Hôtel passirt hatte, kam ein Negerkutscher hinter mir her und sagte, daß ein Herr, der im Wagen sitze, mich zu sprechen wünsche. Am Schlag des Wagens stand ein Herr in Reisecostum mit hohen Stiefeln. Der Herr im Wagen redete mich an: „Bitte, sagen Sie doch Herrn Andrews, daß er gleich hierher kommt.“ Andrews war mein damaliger Chef und ich fragte, welchen Namen ich nennen solle. Der Herr sah mich erstaunt an und nannte seinen Namen. Es war mein College, der mit den dreißigtausend Dollars davongelaufen war und den ich gemalt hatte! Das Abschneiden seines Schnurrbartes, aber noch mehr Gewissensbisse und Sorge hatten ihn so verändert, daß ich ihn nicht erkannte!

Bei uns straft man Diejenigen, welche sich an öffentlichen Cassen vergreifen, ganz besonders hart; in Amerika scheint man ein durchaus anderes Princip zu befolgen. Man scheint, und mit Recht, die große Versuchung in Betracht zu ziehen, welcher die Beamten in der Treasury ausgesetzt sind, eine Versuchung, welche durch die anscheinende Sorglosigkeit noch vermehrt wird, und die Strafe fällt daher meistens verhältnißmäßig milde aus. Trotzdem kamen, wie gesagt, Diebstähle in der Treasury sehr selten vor und die Berechnung der Regierung ist ganz richtig, daß ein System der Bewachung und Vorsicht, wie es in Europa für nöthig gehalten wird, mehr als doppelt so viel kosten würde, als gestohlen wird.

Ich war sechs Jahre in Amerika und bin nun ein Bürger der großen Republik. In dieser Zeit sind alle die Vorurtheile verschwunden, welche ich in Bezug auf den Charakter der Amerikaner mit hinüber brachte, und haben aufrichtiger Achtung und Bewunderung Platz gemacht. Man findet in Europa allerdings mehr gesellschaftliche Abgeschliffenheit, feinere Manieren, gebildetere Sprache und bei weitem bessere Schulbildung; allein diese Politur kann wohl die äußere Erscheinung der Menschen verbessern, ist aber nicht maßgebend für den inneren Werth, den natürlichen Charakter. Ich habe in verschiedenen Ländern gelebt, muß aber aufrichtig gestehen, daß ich die Amerikaner mehr achte und bewundere, als irgend welche andere Nation. Politische und sociale Verhältnisse haben einen außerordentlich großen Einfluß auf den Charakter eines Volkes.

Im Charakter der Amerikaner – öffentlichen und privaten – ist keine Spur von Kleinlichkeit. Ein Jeder fühlt sich sein eigener Herr und über ihm steht Niemand, als das Gesetz, welches er sich selbst gegeben hat als ein Theil des souveränen Volkes. Dies Gefühl und die daraus folgenden Ideen können die Deutschen nicht haben, und deshalb verstehen die Deutschen die Amerikaner nicht und umgekehrt. Aeußerlichkeiten fallen zunächst in die Augen, und danach beurtheilt man sich – falsch.

Ich schließe mit dem Wunsch, daß die Deutschen den Amerikanern und die Amerikaner den Deutschen recht bald ähnlich werden möchten, – in ihren beiderseitigen guten Eigenschaften und deren Ursachen: einerseits Freiheit, andererseits Bildung. –

Corvin.




Ein Abend bei Meister Schwind auf der Wartburg.


Am Abend des 16. August 1855 trat eine muntere Reisegesellschaft, Künstler und Kunstfreunde, aus der romantischen Waldschlucht des Annathales bei Eisenach hervor.

Die Sonne, welche den Tag über die reichsten Goldströme über Berge und Thäler ausgegossen hatte, ließ ihre letzten Strahlen mit sanftröthlichem Schimmer auf dem Marienthale weilen, so daß Fels und Wald wie von Purpurschleiern umflossen schienen. Die Reisegesellschaft stieg die Kunststraße verlassend einen Bergpfad zur Wartburg empor.

„Die Wartburg,“ sagte Ludwig Bechstein, der bekannte Sagendichter, der mit in der Gesellschaft war, „ist für mich, was Mekka für den gläubigen Muselmann ist. Sie ist ein Wallfahrtsort zu meiner Lieblingsheiligen – der Romantik. Ein Mal wenigstens im Jahre muß ich diese Wallfahrt unternehmen. Heute aber treibt mich zu meiner Wallfahrtshöhe auch das Verlangen, den wackern Meister Schwind dort zu treffen, mit dem ich in München herrliche, der Kunst, der Freundschaft und der Freude geweihte Stunden verlebt habe. Und da es ein Hauptzweck unserer Reise ist, die Bildwerke in Augenschein zu nehmen, mit welchen der echt deutsche Farbenmeister die in aller Pracht und Herrlichkeit ihrer Urgestalt wieder erstehende Landgrafenveste schmückt, so wäre es Euch vielleicht nicht unlieb, etwas Näheres über sein urkräftiges, kerniges Wesen und seine geistige Eigenthümlichkeit zu vernehmen.“

„Als ich zu Ostern 1830,“ fuhr er fort, „die Universität der süddeutschen Kunstmetropole bezog, nahm ich großes Interesse an der durch König Ludwig’s Kunstsinn zu hoher Blüthe sich entfaltenden deutschen Malerei, als an einer zweiten culturhistorischen Errungenschaft der Neuzeit, welche sich der herrlichen Blüthenperiode unserer neuen deutschen Nationalliteratur so würdig zur Seite stellte. Bald wurde ich mit den hervorragendsten Künstlern bekannt und namentlich mit Schwind dadurch befreundet, daß er mein episches Gedicht ‚Faustus‘ mit genialen Zeichnungen illustrirte.

Wie sein erster Lehrer, Schnorr von Carolsfeld, der im Verein mit mehreren gleichgesinnten Künstlern die fromme Innigkeit und volksthümliche Wärme, die ihm aus den altdeutschen Mustern entgegenwehte, eine Verwebung der Kunst mit dem ganzen Sein des deutschen Volkes anstrebte, zu diesem Streben auch seinen talentvollen Schüler Schwind begeisterte, das werden wir dann am besten von dem Meister selbst hören. Was dies sein Wesen und seine geselligen Tugenden betrifft, so werdet Ihr einen echt deutschen, kernhaften Charakter mit romantischem Anhauch finden, aus dem vor Allem die Tüchtigkeit und Gediegenheit des ganzen Wesens als erster Grundzug Einem entgegentritt. Von ganzer Seele ist ihm jene schimmernde Halbheit und Hohlheit zuwider, der Alles nur auf den Schein ankommt. Daraus geht die Schlichtheit und Einfachheit seiner ganzen Lebensweise, seine Offenheit und Biederkeit in Wort, und That hervor. Im Gespräch ist er heiter, beweglich, stets schlagfertig und spricht gern in bayerischer Mundart, wobei jedoch hie und da Oesterreichisch durchklingt. Wo er aber freilich jener windigen Gesinnung begegnet, die ihre innere Werthlosigkeit hinter seiner Sitte und kalter Höflichkeit zu verbergen strebt und namentlich verkehrte Urtheile über die Kunst ausspricht, da tritt er mit einer Entschiedenheit auf, die bis zur rücksichtslosen Derbheit sich steigern kann. Ja, was Dich betrifft, Langenberg,“ wandte sich der Sprechende zu einem seiner Begleiter, „so will ich Dich ihm nicht einmal als Geistlichen vorstellen; er liebt als strenger Katholik die protestantischen Geistlichen nicht und verfolgt sie auch wohl mit seinem Spott.“

Währenddeß hatten die Schatten der Nacht ihre Flügel über das Waldmeer ausgebreitet. Da rief von Liliencron, der damalige Cabinetsrath des Herzogs Bernhard und jetzt als Mitglied der historischen Commission in München vielgenannt: „Jetzt aber lasset uns unsere Schritte beschleunigen, es droht uns Gefahr,

Denn dort in der Berge Ferne
Scheint ein Wetter aufzuziehen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 380. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_380.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)