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verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


„Wohin müssen Sie?“ rief Atkins erschrocken.

„In die Berge! Das Wohin und Weshalb ist Dienstgeheimniß.“

„Glauben Sie vielleicht, daß ich Sie ausforschen will?“ fragte der Amerikaner heftig. „Hoffentlich gehen Sie unter Bedeckung?“

„Allein!“

Atkins trat einen Schritt zurück und sah ihn vom Kopf bis zu den Füßen an. „Mr. Fernow, es ist grenzenlos unvorsichtig von Ihnen, das so offen auszusprechen!“ sagte er halblaut.

In Walther’s Antlitz zeigte sich ein flüchtiges Lächeln. „Ich würde mich allerdings hüten, es der Schloßdienerschaft oder den Dorfbewohnern gegenüber auszusprechen, Sie, Mr. Atkins, kenne ich denn doch hinreichend, um von Ihnen keinen Verrath zu besorgen, übrigens dürfte das auch kaum möglich sein, denn weder Sie noch Mr. Alison kommen durch unsere Posten.“

Atkins zuckte zusammen. „Henry! Haben Sie ihm etwas davon gesagt?“

„So viel wie Ihnen, mehr nicht!“

Der Amerikaner sah ihn mit einem halb mitleidigen Blicke an. „Unbegreifliche deutsche Harmlosigkeit!“ murmelte er vor sich hin, dann aber trat er zu dem jungen Manne und legte die Hand auf dessen Arm, in seinen Zügen stand ein furchtbarer Ernst.

„Mr. Fernow, folgen Sie dem Rath eines Mannes, dem es schwer genug wird, so etwas wie eine Anklage gegen seinen Landsmann und Gefährten auszusprechen, aber es gilt, ein Unglück zu verhüten. Gehen Sie heut Nacht nicht in’s Gebirge; Sie sind gefährdet, verstehen Sie mich? Sie allein! Uebertragen Sie die Sache einem Ihrer Cameraden.“

„Ich kann nicht!“

„So nehmen Sie wenigstens Bedeckung mit sich.“

„Ich kann nicht, Mr. Atkins!“

„Nun denn, so rennen Sie in Ihr Verderben!“ rief Atkins heftig, „ich habe das Meinige gethan, jetzt tragen Sie selbst die Folgen!“

Walther machte eine ungeduldige Bewegung. „Beruhigen Sie sich, Ihre Besorgnisse sind ganz unbegründet! Ich sage es Ihnen noch einmal, es ist eine Unmöglichkeit für Jeden, der die Losung nicht kennt, von hier in’s Gebirge zu kommen, wir haben eine dreifache Postenkette gezogen.“

Atkins sah trotz dieser Worte sehr wenig beruhigt aus. „Sie wissen nicht, was Henry möglich macht! Er brütet jetzt über einem Unglück, ich kenne ihn! Es ist eine im Grunde unbändige Natur, die Erziehung und Verhältnisse nur scheinbar gezähmt, der sie den nüchternen Geschäftsmann nur aufgezwungen haben; bricht eine solche Natur erst einmal die langgewohnten Schranken, so kennt sie auch keine Schranke mehr. Er ist in seiner jetzigen Stimmung zu Allem fähig!“

„Doch wohl nicht zum Meuchelmorde!“ sagte Walther ruhig.

Es zuckte wieder etwas von dem alten bisher verschwunden gewesenen Sarkasmus um Atkins’ Lippen. „Ihr Deutschen tragt Eure subtilen Ehrbegriffe bis in’s Toben der entfesselten Leidenschaft! Henry ist Amerikaner, vergessen Sie das nicht. Sie haben ihm den einzig legitimen Weg zur Rache versagt, und er wird sich jetzt schwerlich mit idealen Ansichten von Recht und Unrecht abgeben. Wahren Sie sich, Mr. Fernow, ich stehe für nichts mehr ein!“

Walther schüttelte leise, aber entschieden das Haupt. „Ich habe ein besseres Vertrauen zu Mr. Alison, als Sie. Er mag mich hassen bis auf den Tod, dessen, was Sie andeuten, halte ich ihn dennoch nicht fähig. Sagen Sie ihm,“ hier überflog ein eigenthümliches fast geisterhaftes Lächeln das schöne schwermüthige Antlitz des jungen Officiers, „sagen Sie ihm, er brauche mein Leben nicht zu nehmen, sein Wunsch würde auch ohne das erfüllt werden. – Ich muß fort, Mr. Atkins, grüßen Sie Miß Forest von mir und – leben Sie wohl!“

Er wandte sich rasch um und, das Gemach verlassend, schlug er den Weg nach seinem eigenen Zimmer ein. –

Henry war Atkins allerdings am Fuße der Treppe begegnet, die zu ihrer Wohnung führte, aber er hatte sie nicht erstiegen. Er lenkte, nachdem er die Fragen seines Gefährten in einer Weise zurückgewiesen, die die halb entschlummerte Besorgniß desselben wieder hell aufflammen ließ und ihn zu jener Unterredung mit Fernow trieb, seine Schritte nach dem Zimmer des französischen Hausmeisters, das ihm einer der Soldaten bezeichnete.

Der Hausmeister, ein alter Mann mit einem scharfen klugen Gesicht und blitzenden dunkeln Augen, saß am Tische bei der brennenden Lampe und blätterte in seinen Büchern. Er sah finster auf, als die Thür geöffnet ward, aber der verbissene Ingrimm, der in seinen Zügen stand, und mit dem er Jedem begegnete, der zu der feindlichen Einquartierung gehörte, milderte sich in etwas, als er den Fremden erkannte. Er wußte bereits, daß die Reisenden Amerikaner seien, denen nur die Unmöglichkeit, im Dorfe ein Unterkommen zu finden, das Nachtlager im Schlosse verschafft hatte; waren sie auch Gäste des Feindes, sie gehörten doch wenigstens nicht der verhaßten Nation an, und die finstere Zurückhaltung, die Alison heut’ Nachmittag im Kreise der Officiere gezeigt, und die der Franzose zu beobachten Gelegenheit gehabt, gereichte ihm bei diesem noch besonders zum Vortheil. Er stand auf und ging ihm höflich, aber dennoch mit einer gewissen kalten Zurückhaltung entgegen.

„Womit kann ich dienen, Monsieur?“

Henry schloß vorsichtig die Thür hinter sich und warf einen Blick durch das Zimmer. Hätte Walther jetzt dies Gesicht beobachten können, wo jede Muskel sich spannte in eiserner Willenskraft, vielleicht hätte er die Warnungen Atkins’ doch mehr beachtet.

„Ich habe Wichtiges mit Ihnen zu sprechen. Sind wir hier unbelauscht?“

Der Franzose wurde aufmerksam. „Vollkommen! Das Zimmer hat, wie Sie sehen, nur diesen einen Ausgang.“

Henry trat näher zum Tische und winkte dem Alten, ihm zu folgen, er dämpfte seine Stimme bis zum Flüstern.

„Sie wissen vermuthlich, daß man uns die Weiterreise versagt. Meine Gefährten haben sich darein ergeben, die Nacht hier zu bleiben, ich aber muß jedenfalls heut’ Abend noch in’s Gebirge.“

„Das ist unmöglich, Monsieur!“ sagte der Franzose artig, aber kalt. „Die Preußen halten die sämmtlichen Eingänge besetzt, ohne ihre Erlaubniß gelangt Niemand auf die Bergstraße.“

Henry fixirte ihn scharf und prüfend. „Und wüßten Sie nicht dorthin zu gelangen, trotz der Posten, wenn Ihnen daran läge, wenn es etwa irgend eine Nachricht an die Franctireurs ins Gebirge gälte?“

Der Franzose streifte ihn mit einem scheuen forschenden Seitenblick.

„Ich sage Ihnen ja, Monsieur, daß alle Eingänge besetzt sind!“

„Es giebt immer Schleichwege in’s Gebirge,“ sagte Henry mit Bestimmtheit, „die dem Feinde nicht bekannt sind, und die die Einwohner um so besser kennen und benutzen. Erst am Nachmittage hörte ich von den Officieren die Vermuthung aussprechen, daß trotz der schärfsten Bewachung doch eine geheime Verbindung zwischen dem Dorfe und den Bergen bestände, es wird also auch hier einen solchen Weg geben.“

„Möglich! Ich kenne keinen.“

Statt aller Antwort zog Henry seine Brieftasche hervor, nahm eine Banknote heraus und hielt sie schweigend dem Alten hin. Dieser mußte den Werth des Papiers kennen, und es mußte ein ungeheurer sein, denn er blickte erschrocken zu dem Amerikaner empor.

„Der Preis des Weges!“ sagte dieser kurz.

Der Franzose trat mit vollster Entschiedenheit zurück. „Ich lasse mich nicht erkaufen, Monsieur.“

Henry legte ruhig die Banknote auf den Tisch. „Von den Deutschen nicht! das nehme ich von vornherein an! Sie könnten Ihnen das Zehnfache dieser Summe bieten, es wäre vergebens. Ich gehöre aber nicht zu ihnen und bin auch ihr Freund nicht. Wäre das, was ich vorhabe, für sie, ich würde Erlaubniß haben, durch ihre Posten zu gehen. Daß ich gezwungen bin, Ihre Hülfe zu suchen, mag Ihnen beweisen, daß Sie als Franzose diesen Verrath auf sich nehmen können. Mir dürfen Sie den Weg nennen.“

Das Argument war richtig, nur die herrische Bestimmtheit, mit der der Amerikaner auftrat, verfehlte ihren Eindruck nicht auf den Alten, dennoch gab er seine vorsichtige Zurückhaltung noch nicht auf.

„Monsieur wollen allein in’s Gebirge?“

„Gewiß.“

„Und gerade heute Nacht? So wissen Sie vielleicht auch, was – Sie dort finden werden.“

(Fortsetzung folgt.)
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