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verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


No. 23.   1871.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Ein Held der Feder.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


In diesem Momente trat Walther vor, der Einzige, der sich bisher mit keinem Worte an der Debatte betheiligt hatte, jetzt erst brach er das Schweigen.

„Herr Major, ich kenne einen Ausweg!“

Der Major wendete sich hastig um, „Sie, Lieutenant Fernow? Und welchen?“

„Wir haben oft genug Streifzüge in’s Gebirge gemacht, ich kenne es ziemlich genau. Sie erinnern sich, daß ich vor acht Tagen mit fünf Mann eine Recognoscirung nach L. unternahm, das damals noch vom Feinde besetzt war. Wir wagten uns zu weit vor, wurden von einigen Zwanzig verfolgt, angegriffen und endlich auseinandergesprengt.“

„Ja! Nun?“

„Nach einigen Schüssen warf ich mich mit dem Gefreiten Braun, der bereits eine Kugel im Arm hatte, in eine Seitenschlucht, wo man unsere Spur verlor. Die Uebrigen entkamen nach der anderen Seite; wir fanden beim weiteren Vordringen einen schmalen Pfad, halb verborgen im Dickicht, den wir einschlugen, weil er in der Richtung nach S. zu führen schien. Er hob sich allmählich bis zur Höhe der Berge, lief dann, größtentheils im Walde verborgen, auf dem Kamm entlang, und senkte sich endlich jäh nieder, gerade am Eingange jener engen, völlig unwegsamen Schlucht, die eine Viertelstunde von hier zur Rechten des Thales liegt. Wir hatten uns noch einige Minuten lang durch dichtes Gebüsch hindurchzuwinden, und standen dann plötzlich auf jenem vorspringenden Felsplateau der Bergstraße, wo sich die einzelne große Tanne befindet. Von dort erreichten wir S. in kurzer Zeit.“

Walther berichtete das Alles klar und ruhig, in seiner Stimme lag nichts mehr von der Aufregung eines Mannes, der vor kaum zehn Minuten aus einer Unterredung, die ihm sein ganzes Lebensglück zertrümmert vor die Füße warf, so jählings gerissen ward; nur etwas matter klang der Ton, als sonst, und in seinem Antlitz stand der Ausdruck einer düsteren Ruhe, die Ruhe eines festen Entschlusses. Es war jetzt keine Zeit, um verlorenes Liebesglück zu klagen oder zu trauern, er hatte die Arznei dafür bereits gefunden, die heilsamste und unfehlbarste von allen.

Der Major war ebenso wie die Uebrigen in größter Spannung seinen Worten gefolgt, aber seine Stirn wurde nicht heller.

„Und Sie glauben, daß die Franctireurs, die hier zu Hause sind, den Weg nicht eben so gut und besser kennen?“

„Kennen – wahrscheinlich! Es ist aber noch die Frage, ob sie ihn beobachten lassen, denn erstlich können sie die Kenntniß unsererseits nicht voraussetzen, und zweitens ahnen sie überhaupt nicht, daß ihr Plan uns verrathen ward. Sie werden sich hauptsächlich in den Schluchten und Abhängen concentriren, jener hochgelegene Pfad bleibt möglicherweise ganz aus ihrer Berechnung, und das ist immerhin ein Vortheil den anderen Wegen gegenüber, von denen wir wissen, daß sie besetzt sind.“

„Und Sie glauben, daß jener Pfad bei Nacht zu passiren ist?“

„In einer Vollmondsnacht wie die heutige – ja! Das Mondlicht beseitigt die Hauptschwierigkeit, den Eingang inmitten des Gebüsches zu finden und der ersten steilen Windung zu folgen. Einmal oben ist kein Verirren mehr möglich, das Licht schimmert hell genug durch die Bäume, und von der Mündung des Weges nach L. ist wohl die Bergstraße zu benutzen, der Feind wagt sich schwerlich so weit bis an das Dorf vor.“

Der Major ging in tiefem Nachdenken wieder auf und nieder. „Sie haben Recht!“ sagte er endlich. „Der Versuch wenigstens muß gemacht werden, obgleich es immer ein tollkühnes Wagestück bleibt, zwei oder höchstens drei Mann mitten durch das vom Feinde besetzte Terrain durchzuschicken, auf die schwache Möglichkeit hin, daß man jenen Pfad unbesetzt läßt. Es ist zehn gegen eins zu wetten, sie werden entdeckt und niedergeschossen; indeß, die Gefahr ist zu dringend – Sie erinnern sich des Weges genau?“

„Ganz genau!“

„Nun, dann bliebe uns nur noch übrig, diejenigen unter unseren Leuten herauszufinden, die zuverlässig und unerschrocken genug sind, einen solchen Gang zu unternehmen. Der Gefreite Braun –“

„Liegt noch krank an seiner Wunde,“ unterbrach ihn Walther ruhig. „Sie sehen, Herr Major, die Aufgabe fällt mir zu.“

„Walther! Bist Du von Sinnen?“ raunte Doctor Behrend erschrocken seinem Freunde zu.

Auch der Major war einen Schritt zurückgetreten und die sämmtlichen Officiere blickten mit einer Art schreckensvoller Ueberraschung auf ihren Cameraden. Walther war der allgemeine Liebling, der Stolz seiner Gefährten und das Schooßkind seiner Vorgesetzten, er übte trotz seiner steten Schweigsamkeit und Zurückgezogenheit doch jene unbedingte Macht über seine Umgebung aus, die genialen Naturen oft eigen ist. Sie hatten ihn oft genug im Gefecht vorgehen sehen und die Gefahr mit ihm getheilt, aber es ist anders im offenen Kampfe

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verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1871, Seite 373. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_373.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2017)