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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


„Wohin wollen Sie?“

„In’s Freie! In den Park!“

„Jetzt? Es ist ja völlig dunkel.“

„Gleichviel, ich muß hinaus, die Luft hier drückt mich! Vielleicht,“ er lächelte seltsam, „vielleicht hole ich mir draußen bessere Gedanken. Gute Nacht!“

Mit einer raschen Bewegung seinen Arm frei machend verließ er das Zimmer. Atkins blickte ihm unruhig nach.

„Das wird ein Unglück! Wenn sie jetzt aneinandergeriethen! – Thorheit!“ unterbrach er sich auf einmal. „Als ob Henry der Wahnsinnige wäre, Leben, Ehre und Zukunft an eine tolle Eifersuchtslaune zu setzen! Wenn er diesem Fernow irgendwo im Gebirge allein begegnete, ich stände für nichts, aber hier, inmitten seiner Cameraden, wo die Entdeckung unvermeidlich, die Rache sicher wäre – nein, das wagt er denn doch nicht!“

Er öffnete die Thür und lauschte nach der andern Seite, wo Jane’s Zimmer lag. „Sie hat sich eingeschlossen gleich bei der Ankunft und mir von innen zugerufen, daß sie sich bereits niedergelegt habe – ein Vorwand! Ich hörte sie deutlich auf und nieder gehen, aber es nützt nichts, den Versuch zu erneuern, ich erzwinge doch keine Unterredung von ihr, und vielleicht macht ihre Dazwischenkunft die Sache nur noch schlimmer! Pah!“ hier brach die kalte Ruhe des Amerikaners durch all’ seine Befürchtungen. „Ich werde dafür sorgen, daß wir morgen früh aufbrechen gleichviel wohin, schlimmsten Falles nach N. zurück. Ist ihm dieser Fernow nur erst einmal aus dem Gesicht, so wird es leicht sein, sie in Zukunft aneinander zu halten, und bis dahin – nun, eine einzige Nacht werden sie doch wohl unter demselben Dache schlafen können!“

Mit dieser Beruhigung schloß Mr. Atkins die Thür wieder und kehrte in’s Zimmer zurück. –

Im Schlosse herrschte, ganz im Gegensatze zu dem lauten heiteren Leben des Nachmittags, eine auffallende Stille. Im Zimmer des Majors brannte bereits Licht, der Adjutant und noch einer der Officiere waren dort, die übrigen Herren schienen sich zurückgezogen zu haben, denn die große Vorhalle, welche nach der Terrasse hinaus lag und gewöhnlich Abends als Versammlungsort diente, war völlig leer. Augenblicklich befand sich nur Friedrich dort, beschäftigt, zum Schutz gegen die schon recht empfindliche Abendkühle ein Feuer im Kamine anzuzünden. Er unterzog sich diesem Geschäft mit großer Umständlichkeit und brummte dabei nicht wenig über den zurückgebliebenen Castellan des Schlosses, der trotz des bestimmten ihm gewordenen Befehls das Anzünden wieder unterlassen hatte, jetzt wie gewöhnlich nirgends zu finden war und überhaupt keinen Schritt zur Bedienung der fremden Gäste that, zu dem man ihn nicht erst gezwungen hatte.

Endlich war es gelungen, die aufgeschichteten Holzscheite in Brand zu setzen, sie loderten lustig auf und Friedrich erging sich eben in tiefsinnigen Betrachtungen über die Nichtsnutzigkeit des französischen Volkes im Allgemeinen, und über die Niederträchtigkeit dieses französischen Hausmeisters im Besonderen, als er seine Schulter leise berührt fühlte und sich umwendend Miß Forest gewahrte, die dicht hinter ihm stand.

„Ist Mr. Fernow schon zurückgekehrt?“

„Ja,“ antwortete Friedrich, sehr verwundert ob dieser Frage, „erst vor zehn Minuten.“

„So sagen Sie ihm, daß ich ihn zu sprechen wünsche!“

Friedrich wunderte sich noch mehr. „Meinen Herrn –?“

„Will ich sprechen – ja! Melden Sie ihm, daß ich ihn hier erwarte. Eilen Sie!“

Eine gebieterische Handbewegung vollendete den Befehl, denn ein solcher war es, und Friedrich trollte ab. Erst draußen vor der Thür fiel ihm ein, daß es sich doch für ihn, jetzt einen der Helden des glorreichen preußischen Kriegsheeres, gar nicht mehr schicke, sich von dieser „amerikanischen Miß“ so ohne weiteres Befehle ertheilen zu lassen, aber es ging ihm wie Mr. Atkins, er konnte gegen diesen herrischen Ton und Blick nicht aufkommen und grollend und brummend zwar, aber gehorsam verfügte er sich nach dem Zimmer seines Herrn, um den ihm gewordenen Auftrag auszurichten.

Jane war allein zurückgeblieben in dem weiten düsteren Gemach, das eine von der Decke herabhängende Lampe nur unvollkommen erleuchtete, draußen herrschte bereits völlige Dunkelheit, noch war der Mond nicht aufgegangen, in den Bäumen rauschte der Wind, und durch das eine offen gebliebene Fenster wehte es kalt herein. Sie schauerte unwillkürlich zusammen und sich dem Kamine nähernd, ließ sie sich auf dem davor befindlichen Armstuhl nieder, dessen reichgeschnitzte Lehne ein altfranzösisches Wappen zeigte.

Sie stand jetzt vor der Entscheidung! Es mußte klar werden zwischen ihnen, die nächste Viertelstunde schon sollte das so lang verborgene Geheimniß enthüllen. Mit welchen Empfindungen Jane dieser Enthüllung entgegensah – das wußte nur sie allein. Die aufzuckenden Flammen beleuchteten ein Antlitz, auf dem sich jetzt nur ein einziger Ausdruck spiegelte, feste, unbeugsame Entschlossenheit. „Es muß sein!“ Mit diesen Worten hatte Forest seine Tochter gelehrt, jeden Kampf zu bestehen und jede Qual zu tragen, wovon ihr freilich während seines Lebens wenig genug beschieden war. Jetzt erst kam die Probe, und zuckend, aber stumm und ohne Klage beugte sie sich dem eisernen Gesetz der Nothwendigkeit. Einen Moment lang konnte das ungeahnte Wiedersehen sie überwältigen, länger nicht, es lag nicht in Jane’s Natur, vor der Entscheidung feig zurückzubeben, sie wollte jetzt Gewißheit und brächte diese Gewißheit ihr auch Vernichtung. Die energisch gespannten Züge mit den fest zusammengepreßten Lippen und dem düsteren Eisesblick gaben ihr in diesem Augenblick eine wahrhaft erschreckende Aehnlichkeit mit dem todten Vater. Auch nicht ein Hauch von Weichheit, von Ergebung, alles hart, starr und eisern, man sah es an diesen Zügen – was auch kommen mochte, es würde getragen werden!

Die Thür wurde von draußen geöffnet und der Erwartete trat ein. Er schloß sie wieder hinter sich, aber er blieb dicht an der Schwelle stehen.

„Sie haben befohlen, Miß Forest!“

„Ich wünschte eine Unterredung mit Ihnen, Mr. Fernow. Sind wir hier ungestört?“

„Ich hoffe es! Wenigstens für die nächste Viertelstunde.“

„So – bitte ich Sie näher zu kommen.“

Er näherte sich langsam und blieb ihr gegenüber dicht am Kamine stehen, zwischen ihnen prasselte und knisterte das Feuer, der Flammenschein beleuchtete grell und scharf die Gestalten der Beiden, sie waren allein sichtbar in dem halbdunklen Raume, sichtbar auch für jeden, der etwa draußen über die Terrasse schritt.

„Ich war auf diesen Ruf nicht gefaßt, Miß Forest. Unserer Begegnung im Dorfe nach schien es mir, als wünschten Sie jede Annäherung meinerseits zu vermeiden. Ich bin dem Winke gefolgt, Sie sind es jetzt, die mich herbeirief.“

Es lag wohl einige Bitterkeit in diesen Worten, aber Fernow’s Bitterkeit war selten schneidend und verletzend, in Jane’s Ohren klang nur ein leiser tiefschmerzlicher Vorwurf, weiter nichts.

„Mein Benehmen mag Ihnen räthselhaft erschienen sein, Mr. Fernow, ich schulde Ihnen eine Erklärung; zuvor aber bitte ich Sie, mir einige Fragen zu beantworten.“

Er neigte in stummer Einwilligung das Haupt.

„Zuerst also – nennen Sie mir Ihren Vornamen!“

Fernow schien unter allen Fragen diese am wenigsten erwartet zu haben. „Meinen Vornamen?“

„Ja.“

„Ich heiße Walther.“

„Walther?“ Ein tiefer freierer Athemzug rang sich unwillkürlich aus Jane’s Brust hervor. „Walther! den Namen kenne ich nicht!“

„Und weshalb sollten Sie ihn auch kennen, Miß Forest?“ fragte er mit sichtbarer Befremdung. „Wir waren uns ja fremd, bis zu dem Augenblick, wo Sie den Boden Deutschlands betraten.“

„Vielleicht!“ Ihr Blick haftete düster auf den heißen Flammengebilden, die im ewigen Wechsel aufzüngelten und wieder niedersanken, „vielleicht auch nicht! Sie sagten mir einst, Sie seien heimath- und elternlos in’s Leben hinausgestoßen worden, und dann in die Hände eines Gelehrten gefallen, der auch Sie der Wissenschaft zuführte – war dieser Gelehrte ein Geistlicher?“

„Ja, aber er verließ später seine Pfarre und seinen Beruf, um sich einzig der Wissenschaft hinzugeben.“

Jane preßte krampfhaft die linke Hand gegen die Brust. „Und – sein Name?“

„Pfarrer Hartwig!“

Eine schwere, tiefe Pause! Die Flammen sprühten und knisterten, sie warfen ihr zuckendes Licht auf ein todtenbleiches und todtenkaltes Antlitz, kein Laut kam von ihren Lippen, sie verharrte regungslos in ihrer Stellung.

„Miß Forest, was heißt dies alles?“ Walther’s Stimme

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 358. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_358.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2017)