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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Mit der Vervollkommnung unserer Waffen und unserer Armee-Organisation, welche sich glänzend bewährt haben, ging das Streben nach Verbesserung der Krankenpflege Hand in Hand. Die Sorge für die Verwundeten war das Gegengewicht, welches die Menschlichkeit und Bruderliebe bot im Gegensatz zu der Sorgfalt, welche man den Mitteln der Zerstörung gewidmet hatte. Die Wunden, welche die eine Hand geschlagen hatte, suchte die andere zu heilen und so vereinigten sich grimme Wuth und milde Barmherzigkeit auf denselben Feldern. Vor Allem galt es, jenen unsichtbaren Feind zu bekämpfen, welcher in den Hospitälern und Lazarethen die Säle verpestete und alljährlich Hunderte, ja tausende von zusammengepferchten Verwundeten, Operirten oder Kranken dahinraffte. Daß die schlimmsten Feinde die verborgenen sind, offenbarte sich bei diesen Hospitalkrankheiten, die nicht minder verheerend als der Kugelregen unter Denjenigen wütheten, welche die Lazarethe zu ihrer Heilung betreten hatten, und die selbst in Friedenszeiten mit schauerlicher Wirkung die Gesundheit der Hospitalbewohner untergruben, die geringsten Wunden zu gefährlichen machten, den leichtesten, unter günstigen Privatverhältnissen unbedingt gefahrlosen Operationen einen oft tödtlichen Verlauf bereiteten. Die Spuren jenes in den Krankensälen offenbar vorhandenen Ansteckungsstoffes äußerten sich in bestimmten Krankheitsbildern, welche man mit den Namen Eitervergiftung, Wundrose und Hospitalbrand belegte; aber auch innere, besonders typhöse Erkrankungen schienen ihre Quelle in diesem unheimlichen Contagium zu haben, dessen Gang man verfolgen und dessen Einfluß man doch nicht bannen konnte.

Noch heute sind die Untersuchungen über das Wesen dieses Krankheitsstoffes nicht völlig abgeschlossen. Nur so viel weiß man, daß mit größter Wahrscheinlichkeit die Luft und zwar in derselben befindliche Pilzsporen die Träger sind und daß jede ungenügende Ventilation, jede übermäßige Anhäufung von Kranken oder Verwundeten in einem Raum, jedes Baumaterial, welches – wie der Abputz der Wände – schwammartig-porös ist und daher jenen Stoffen eine willkommene Aufnahme gewährt, daß alle diese Ursachen den Ausbruch solcher Leiden begünstigen. Gerade in Bezug auf solche Ursachen war aber die bisherige Krankenpflege, besonders in Kriegszeiten, schlecht bestellt.

Es würde hier zu weit führen, wollte man die geschichtliche Entwickelung des Systems rationeller Hospitalbauten betrachten. Paris mit dem Hospital Lariboisière machte 1788 den Beginn, und dennoch schlummerte die bedeutende Reform, bis im nordamerikanischen Kriege die Noth auf das Barackensystem zurückführte und der Krieg von 1866 auch in Deutschland zur Herstellung derartiger Lazarethe veranlaßte. Zur Anwendung für die Zwecke eines Krankenhauses im Frieden waren bisher Baracken in größeren Verhältnissen nicht gelangt. Da kam im Beginne des Jahres 1868 Leipzig in den Fall, an einen Neubau seines Krankenhauses gehen zu müssen, da das bisherige am Rosenthale gelegene Jakobs-Hospital für die große Krankenzahl nicht mehr ausreichte. Dasselbe, zu der Zeit der berühmten Professoren Ernst Platner und Gehler 1798 zweckmäßig umgestaltet und zu zehn Sälen mit achtzig Betten erweitert, war zwar seit dem Beginne des Jahrhunderts durch Um- und Neubauten, dem Wachsthum der Einwohnerzahl entsprechend, vergrößert worden; allein abgesehen davon, daß es im verflossenen Jahrzehnt die Zahl der Hilfsbedürftigen nicht mehr fassen konnte, erwies es sich überhaupt als untauglich, weil es in einem sumpfigen, feuchten Terrain lag und der Sitz der gefährlichsten Hospitalkrankheiten geworden war. Da sich inzwischen das Barackensystem sowohl während der jüngsten Kriege als auch in Friedenszeiten in vereinzelten Fällen gut bewährt hatte, beschloß man, diese werthvolle Verbesserung der Hospital-Hygiene hier zum ersten Male in großem Maßstabe anzuwenden und zwar derart, daß man das große, durch seine gesunde Lage ausgezeichnete neue Waisenhaus, welches bereits 1866 vortreffliche Dienste als Lazareth geleistet hatte, entsprechend umbaute und mit einem Barackenlazareth verband.

Es war ein anfangs befremdender Gedanke, beide Systeme, das bisherige und das neue, zugleich in Anwendung zu bringen. Mancher glaubte darin nur eine halbe Reform, ein Spiel des Zufalls, einen unvollkommenen Nothbehelf zu erblicken. Dennoch aber mußte man zugeben, daß diese Vereinigung eines festen großen Krankenhauses mit Baracken viel für sich habe, einmal im Hinblicke auf unsere klimatischen Verhältnisse, dann aber auf die Thatsache, daß gewisse Krankheiten sich weniger für die Behandlung in Baracken eignen. Es war daher geradezu als ein glücklicher Zufall zu bezeichnen, daß in gesündester Lage sich ein Gebäude von vorzüglichster Zweckmäßigkeit als Centralpunkt für ein daran sich schließendes großartiges Barackenhospital fand und daß die Umgebung noch ein großes, für anderweitige Universitätsbauten verwendbares Terrain darbot. Auf diesem sind in den letzteren Jahren wahre Musterbauten, das sogenannte „Lateinische Viertel“, entstanden. Ein physiologisches und ein chemisches Laboratorium von großartigen Dimensionen, von einer bis in’s Einzelne ingeniösen Ausstattung, stehen hier bereits und bilden Anziehungspunkte für die fernsten Ausländer, da die Berühmtheit ihrer Leiter, Ludwig und Kolbe, sowie die Vollendung der Einrichtung sie den ersten derartigen Anstalten zur Seite setzen.

Neben dem chemischen Laboratorium erhebt sich das imposante Krankenhaus, zunächst das feste Gebäude, welches einen Mittelbau und zwei Seitenflügel darstellt, und hieran sich schließend eine förmliche Barackenstadt von interessanter Anordnung. Der Anblick dieses Gebäudecomplexes ist besonders von einem eine Ueberschau gestattenden höheren Standpunkte ein überraschender und bietet im ersten Augenblicke durchaus nicht das Bild, das man von einem Krankenhause gewöhnt ist. Man wähnt vor einem industriellen Etablissement zu stehen und erräth erst bei genauerer Besichtigung die Bestimmung dieser für uns noch befremdenden Gebäudegruppe. Von der südöstlichen Ecke des festen Gebäudes aus erstrecken sich zwei geschlossene Gänge, der eine nach Osten, der andere nach Süden zu. An diese Gänge schließen sich östlich sechs, südlich vier Baracken, von welch letzteren eine zur Operationsbaracke bestimmt ist, während die übrigen neun mit Kranken zu belegen sind. Außerdem befinden sich an der Ostgrenze des Grundstückes mehrere isolirte Baracken, welche hauptsächlich für ansteckende Krankheiten dienen und bereits durch die gegenwärtige Pocken-Epidemie eingeweiht wurden, an der Westgrenze aber das Badehaus, Kesselhaus, Waschhaus und Eishaus. Der südwestliche Winkel ist für Wirthschaftsgebäude bestimmt. Die ganze Südseite liegt frei und gestattet der frischen Luft und dem Sonnenlichte ungehinderten Zutritt zu den Parkanlagen, welche zwischen den Baracken und in dem ganzen Mittelraume den Kranken und Reconvalescenten einen angenehmen gesunden Aufenthalt bieten sollen.

Ueberhaupt ist die Lage des Krankenhauses, auch des festen Gebäudes, eine günstige. Die beiden Höfe sind zwar von drei Seiten geschlossen und, da sie nach Norden gelegen sind, auch sonnenarm; da aber ihre offene Seite dem baumreichen Johannisthal gegenüber liegt und die hohe Lage dieses Gebäudes einen frischen Luftzug begünstigt, so ist anzunehmen, daß auch nach dieser Seite hin die Verhältnisse nicht ungünstig sind. Ein an der Straßenmauer liegendes unscheinbares, aber höchst wichtiges und in seinem Innern sehenswerthes Gebäude ist das Reservoir, in welchem der desinficirte Inhalt sämmtlicher Closets gesammelt, nach der ingeniösen Süvern’schen Methode gesondert und geklärt und wo durch diese Behandlung der Excremente jede Weiterverbreitung ansteckender Stoffe unmöglich gemacht wird. Am nordöstlichen Ende schließt sich der unzertrennliche Begleiter jedes Krankenhauses an, das pathologisch-anatomische Institut und hinter demselben der Friedhof, wo Diejenigen, welche lebend oder todt der Wissenschaft genützt haben, ihre endliche Ruhe finden.

Ist schon die Anlage dieses Hospitals im Ganzen derart, daß die Bezeichnung eines Musterkrankenhauses völlig gerechtfertigt erscheint, so gilt dies nicht minder für die innere Einrichtung, bei der Zweckmäßigkeit und Rücksicht auf alle möglichen Fragen der Hospital-Hygiene, umsichtige Benutzung und Umwandelung der gegebenen Räume und ein mit den neuesten Erfindungen ausgestatteter Comfort zu bemerken sind. Wenn irgend die sorgfältigste Erwägung aller Bequemlichkeiten und die Abhaltung aller uns bisher bekannten Schädlichkeiten genügen, um die Heilung, die Wiederherstellung und das Wohlbefinden der Kranken zu unterstützen, so darf man hier die günstigsten Erfolge erwarten. Man vergißt fast, in einem Krankenhause zu sein, so angenehm ist der Aufenthalt in diesen luftigen, lichten Räumen.

Die Leiter des Hospitales, die Kliniker Wunderlich und Thiersch, haben durch Schaffung dieser vortrefflichen Anstalt ihrem auf dem Felde der medicinischen und chirurgischen Klinik längst bewährten Namen den nicht minder ehrenvollen von Gründern und Vorkämpfern eines zum ersten Male in ausgedehntem Grade angewendeten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_346.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)