Seite:Die Gartenlaube (1871) 325.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


No. 20.   1871.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Ein Held der Feder.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


„Bis zur Beendigung des Krieges,“ rief Jane aus, „der alle Verhältnisse zerreißt und die Menschen hier- und dorthin sprengt? Noch kam die Nachricht nicht zu spät, ich hoffe es wenigstens, aber nicht einen Augenblick durften wir zögern, sie zu benutzen, und da ein brieflicher Verkehr nicht denkbar war, so gab es nur einen Ausweg, ich mußte persönlich eintreten und selbst der Spur folgen. Wenn Sie unter den Gefahren und Entbehrungen der Reise leiden, Mr. Atkins – es ist Ihre Schuld, ich wäre auch allein gegangen!“

„Ja, weiß Gott, das wären Sie!“ sagte Atkins mit einem Seufzer. „Jane, Sie sind manchmal ganz erschreckend mit Ihrer rastlosen Energie! Ich gehöre doch wahrhaftig nicht zu den Trägen und Unentschlossenen, aber dies ruhelose Vorwärtsjagen nach einem einzigen Ziele spannt mich zuletzt völlig ab.“

„Mich nicht!“ erklärte Jane mit kalter Festigkeit. „Ich bin entschlossen, noch weiter zu gehen, ich wiederhole es Ihnen, bis an die Grenzen des Möglichen.“

„Nun, wenigstens eine Gewißheit haben wir,“ hob Atkins nach einer Pause wieder an, „der deutsche Meister, bei dem der junge Erdmann noch beim Beginn des Krieges in Arbeit stand, ist noch hier. Sie wissen ja, ich ging gestern von der Mairie, wo mir die betreffende Auskunft ward, sofort nach dem bezeichneten Hause; freilich fand ich es verschlossen, die ganze Einwohnerschaft ausgeflogen, um die eben neu einrückenden preußischen Regimenter zu sehen, unter denen man Landsleute zu finden hoffte. Diese Kenntniß schöpfte ich wenigstens aus meiner höchst merkwürdigen Unterhaltung mit einer höchst schwatzhaften Nachbarin – merkwürdig, denn sie verstand kein Englisch und ich kein Französisch, wir waren genöthigt, eine sehr ausdrucksvolle Mimik zu Hülfe zu nehmen, vermittelst deren ich ihr denn auch begreiflich machte, daß mein Besuch dem Monsieur Erdmann und seinem Meister galt, daß ich heut’ wiederkommen werde, und daß sie mich unendlich verbinden werde, wenn sie meine Karte mit unserer Adresse einstweilen dem betreffenden Monsieur übermitteln wolle. So weit gelangten wir glücklich mit unserer Geberdensprache, und nun bin ich in der That neugierig auf die unvermeidliche Confusion, die Madame ohne Zweifel aus der Geschichte gemacht hat.“

Jane blickte auf die Uhr. „Es ist bald neun, ich glaube, wir können uns jetzt zu dem Gange fertig machen.“

Die Antwort, die Atkins eben zu geben im Begriff stand, unterbrach ein Klopfen an die Thür, sie ward geöffnet und ein alter Mann mit weißen Haaren, einfach, aber durchaus nicht dürftig gekleidet, mit einem bescheidenen freundlichen Wesen, trat ein, um sich sofort in gutem Französisch an die beiden Fremden zu wenden.

„Ich bitte um Verzeihung, aber man wies mich hier hinauf. Ich bin der Tischlermeister Vogt, Rue de –, ein fremder Herr hat gestern nach mir gefragt und eine Karte mit seiner Adresse zurückgelassen, die, wenn ich recht verstand, eine Aufforderung sein sollte, ihn aufzusuchen. Ich bin doch am rechten Orte?“

Atkins verstand natürlich nichts von dieser an ihn gerichteten Anrede. Jane aber, die des Französischen vollkommen mächtig war, übersetzte ihm rasch das Nöthige und wendete sich dann, mit Rücksicht auf ihren Begleiter deutsch, zu dem Ankömmlinge.

„Sie sind ganz recht berichtet, aber der Besuch jenes Herrn galt nicht Ihnen, sondern einem jungen Manne, der, wie man uns mittheilte, bei Ihnen in Arbeit steht. Es ist ebenfalls ein Deutscher, der Tischlergeselle Franz Erdmann; wir suchen ihn und waren soeben im Begriff, deshalb wieder zu Ihnen zu kommen!“

„Den Franz suchen Sie?“ sagte der alte Mann nun auch in der Muttersprache. „Du lieber Gott, der ist schon seit sechs Wochen fort. Gleich nach der Kriegserklärung verließ er uns und ging nach Deutschland zurück. Er ist jetzt im preußischen Heere.“

Jane erbleichte unwillkürlich. Wieder umsonst! aber die Enttäuschung, die nach so sicherer Hoffnung jede Andere niedergeschlagen hätte, erbitterte sie nur, ihre Lippen preßten sich fest aufeinander und die Spitze ihres Fußes schlug den Boden. Wenn sie auch der Empfindung keine Worte lieh, man sah es, im Innersten legte sie sich nur ein erneutes Gelübde ab, trotz alledem und alledem doch vorwärts zu gehen.

Mr. Atkins nahm die Auskunft nicht so schweigsam hin, sein Aerger machte sich in lauten Ausrufungen Luft.

„Im Heere! Ich glaube, dies glorreiche preußische Kriegsheer umfaßt nachgerade die gesammte Menschheit! Wo wir anfragten, im Laufe unserer Nachforschungen, welche Personen wir zum Zeugniß aufriefen, wir erhielten immer nur die eine stereotype Antwort: ‚Im Heere!‘ Ich bin überzeugt, wenn wir endlich die directe Spur des Mr. Forest finden, so weist sie ebenfalls nach ‚dem Heere‘. Wenn im ganzen übrigen Europa nicht, da ist er gewiß zu finden!“

Der Tischlermeister verstand zwar die englisch gesprochenen Worte nicht, aber er hörte es an ihrem Ton und sah es an dem Antlitz der jungen Dame, wie schwer seine Auskunft Beide getroffen.

„Ja, uns geht es auch nahe genug!“ meinte er traurig, „Mir

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 325. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_325.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2017)