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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


und Trochäen fast unscandirbares Thema, dem sogar aller poetische Duft fehlte.

Auch war ich noch in anderer Weise in Walesrode’s unliebsame Nähe gerückt worden. Unser an den „Kladderadatsch“ gewöhntes Zeitalter wird es kaum fassen können, welches Aufsehen damals eine politische Carricatur machte, wie sie jetzt das Berliner Blatt allwöchentlich liefert. Das war ein unerhörtes Ereigniß, daß selbst der Griffel des Zeichners rebellisch zu werden drohte, und kündigte mehr als alles Andere eine neue Aera an, in welcher die politische Erbweisheit Altenglands das bisherige Bevormundungssystem in Preußen zu verdrängen schien.

Das Blatt, das an einem Tage in den Händen aller Königsberger war, stellte allem Anscheine nach eine harmlose Scene aus dem Leben eines Faßbinders dar, dem es nicht gelingen wollte, ein Faß, dessen Reifen aneinander sprangen und das aus Rand und Band ging, wieder festzuhämmern. Doch der nähere Anblick zeigte alsbald die schalkhafte Bedeutung des Bildes. Der Oberpräsident der Provinz führte den Namen Böttiger und ließ sich unschwer in dem Manne erkennen, der sich vergeblich damit abmühte, das Faß wieder zusammenzuschlagen. In dem Fasse selbst aber befand sich der neueste Königsberger Ausbruch, der bereits den Deckel gesprengt hatte; da guckten Jacoby, der Privatdocent Jachmann, der in Verdacht stand, die meisten liberalen Leitartikel der Hartung’schen Zeitung verfaßt zu haben, und neben dem bärtigen Glossenschreiber zu den Texten des Jahrhunderts auch mein jugendlicher, langhaariger Kopf hervor; in der Hand hielt ich eine Champagnerflasche, aus welcher der schäumende Wein hervorsprudelte. Um das Hauptbild aber schlangen sich sinnreiche Arabesken, unter denen auch die Apostel mit ihren sinnbildlichen Thieren nicht fehlten und namentlich mein Beschützer Lucas mit seinem Apostelthier in vorderster Linie stand.

Konnte man es dem Universitätsgericht verargen, wenn es von meiner Schuld als Miturheber der Katzenmusik und des Pereats überzeugt war? Die Nachbarschaft in der Tonne war doch ein zu belastender Umstand. Selbst der damalige Prorector Burdach, der berühmte Physiologe, der die Untersuchung mit heiterem Lächeln über manche kecke Aussage der jugendlichen Verbrecher leitete, schien von meiner Mitschuld überzeugt.

Gleichwohl kann ich Mit- und Nachwelt zu Zeugen aufrufen, daß ich nicht zu den Urhebern des Skandals gehörte, daß ich mich nicht mehr als hundert Andere an demselben betheiligt hatte und daß das consilium abeundi einem Unschuldigen zuerkannt wurde. Ein neuer Beleg dafür, daß alle Wahrscheinlichkeitsbeweise trüglich sind und daß der größte juristische Scharfsinn nicht vor Justizmorden schützt!

Noch zwei Abenteuer erlebte ich vor meiner Abreise nach meiner heimathlichen Provinz Schlesien. Ich wohnte damals mit dem späteren Reichsmarinerath und Nibelungenpoeten Wilhelm Jordan zusammen, welcher ebenfalls Königsberg verlassen wollte; wir beschlossen, zum Abschied gemeinsam eine poetische Vorlesung zu geben, und trugen vor einem gewählten Publicum sehr ideenreiche und emancipationslustige Gedichte vor. Der damalige Polizeipräsident Abegg, ein liberaler und feingebildeter Mann, hielt es doch für seine Pflicht, das Manuscript unserer Vorlesung zu studiren, schon um unserem begeisterten Dichterfluge etwas mehr in der Nähe folgen zu können. Dasselbe hatte sich inzwischen glücklicherweise in die Tasche eines sehr bereitwilligen unbekannten Hörers geflüchtet – und der Präsident mußte sich mit dem allgemeinen Eindruck begnügen, den unsere genialen Dichtungen in seinem Gemüth hervorgerufen hatten.

Kurz vor der Abreise machte ich einen Besuch in der Provinz und übergab meine Sachen und den festverschlossenen Koffer mit dem Reisegelde einem befreundeten Studenten, der ein lyrischer Mediciner war, denn er besuchte die Klinik und spielte die Harfe. Noch sehe ich ihn vor mir stehen, als er mit seinem Rasirmesser den Urwald seines Bartes gelichtet hatte und mich in liebenswürdiger Naivetät frug, ob mir sein glattes Gesicht nicht besser gefalle? Als ich von meinem Ausflug zurückkam, war mein ganzes Reisegeld, meine Garberobe und der lyrische Mediciner verschwunden, der sich durch sein glattrasirtes Angesicht hatte unkenntlich machen wollen.

So verließ ich die Stadt der reinen Vernunft und die Wiege des preußischen Liberalismus mit einem doppelten Deficit, einem in meiner Casse, das freundliche Gönner rasch deckten, und einem andern in Bezug auf meinen Glauben an Treue und Zuverlässigkeit der Sterblichen, das sich weit schwerer decken ließ.




Erinnerungen aus dem heiligen Kriege.
Nr. 3. Kriegerische Abenteuer einer friedfertigen Primadonna.
(Schluß.)


Der eben eintretende Arzt beruhigte Frau Lucca jedoch mit der festen Versicherung, daß wenigstens für das Leben ihres Gatten keine Gefahr mehr vorhanden sei, und daß er unter ihrer liebevollen Pflege daheim bald wieder seine volle Kraft zurückerlangen werde.

Als Walter sich entfernt hatte, fragte Frau Lucca den Arzt: „Ist mein Mann schon erwacht?“

„Nein,“ erwiderte dieser, „er liegt noch in festem Schlaf und ich habe dem Heilgehülfen, der die Wache bei ihm hat, Befehl gegeben, Niemand zu ihm zu lassen, da ungestörte Ruhe mehr zu seiner Heilung beitragen wird, als alle Medicamente. Auch Sie, gnädige Frau, muß ich bitten, in den ersten drei bis vier Stunden dem Krankenzimmer Ihres Gemahls fern zu bleiben und ihn ganz meiner Leitung zu überlassen.“

„Ich will mich ja gern Ihren Anordnungen fügen, Herr Doctor,“ versicherte die Gnädige, „aber wissen Sie, ganz ohne Beschäftigung find’ ich’s doch sehr langweilig auf dem Kriegsschauplatze. Haben Sie mir nichts Neues mitzutheilen?“

„O doch,“ erwiderte der Arzt. „Eine Meile von hier hat gestern ein blutiges Reitergefecht stattgefunden, die Franzosen sind aber, wie immer, mit Verlust zurückgeschlagen worden.“

„Kann ich mir das Schlachtfeld nicht a Bissel anschauen? Ich hab’ keine so schwachen Nerven, wie Sie vielleicht glauben mögen.“

„Das möchte nicht gut angehen,“ lächelte der Arzt. „Erstlich läßt man da keine Frauen zu –“

„Ei, sind denn die barmherzigen Schwestern keine Frauen?“

„Das wohl, allein diese sind in ihrem Berufe als Krankenpflegerinnen thätig. Zur bloßen Befriedigung Ihrer Neugierde würden Sie schwerlich Erlaubniß bekommen.“

„Ach, lieber Herr Doctor,“ sprach jetzt Frau Lucca mit einem tiefen Seufzer, „Sie glauben gar nicht, was für ein heißes Verlangen ich hab’, mir so ein Schlachtfeld in der Nähe zu betrachten. Ich hab’ außerdem eine Wuth auf diese Franzosen, daß ich, so oft ich meinen Mann stöhnen höre, mit flammendem Schwerte mich auf sie stürzen und rufen möcht’: ‚Rache für Pont à Mousson!‘. Es sieht aber doch wohl grauslich aus auf solchem Schlachtfelde?“

„So grauslich, daß die bloße Beschreibung Sie erzittern machen wird. Todte, Verwundete und Pferdeleichen überall, zerschmetterte Waffen, Helme und Käppis säumen die Chaussee und bedecken die Felder zu beiden Seiten, die Sprengstücke unserer Granaten, wild umhergestreut, zeugen von der verheerenden Wirksamkeit unserer Batterien.“

„Etwas von dem, was Sie da erzählen, habe ich auf der Herreise gesehen,“ sagte Frau Lucca, sich ein wenig schüttelnd. „Wo gingen Sie denn aber heute Morgen mit den Soldaten hin?“

„Ich war mit den die äußersten Vorposten beziehenden Truppen hinaus auf die Höhen. Alles dort zeugte gestern noch von der Wuth des Kampfes, der hier ausgefochten wurde. Jetzt sind all die blutigen Spuren von dort entfernt. Von unseren deutschen Vorposten stehen die französischen nur ungefähr achthundert Schritte entfernt, so daß man durch einen guten Krimstecher ihre Käppis erkennen kann.“

„Ich hab’ einen Krimstecher mitgebracht von Petitpierre aus Berlin,“ fiel rasch die Lucca ein, „der hat die anerkannt besten im ganzen Reiche. Durch dieses Glas möcht’ ich mir die französischen Vorposten anschauen. Wissen Sie nicht, Herr Doctor, wo ich mir die Erlaubniß dazu holen kann?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_316.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)