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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


No. 19.   1871.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Ein Held der Feder.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Jane verharrte inzwischen unbeweglich in ihrer Stellung. Die Hausglocke klang von Neuem, diesmal leiser als zuvor, ein Schritt kam den Hausflur entlang, sie regte sich nicht, erst als die Thür des Balconzimmers geöffnet ward, fuhr sie empor – Professor Fernow stand in derselben. – Seit jenem Abende auf dem Ruinenberge hatten sie einander nicht wieder gesehen, er hatte in der That ihren Weg nicht mehr gekreuzt und die Consequenz, mit der er die früheren zufälligen Begegnungen im Hause und Garten vermied, ward nur von der Entschiedenheit übertroffen, mit der Jane jeder Möglichkeit eines Zusammentreffens auswich. Die Beiden hatten es wirklich volle vierzehn Tage durchgesetzt, selbst des flüchtigsten Anblicks, des kältesten Grußes überhoben zu sein, und jetzt standen sie sich plötzlich gegenüber, so nahe, ganz allein, die Begegnung war nicht mehr zu ignoriren.

Jane war aufgesprungen; was sie auch vor einer Minute noch gedacht haben mochte, beim Anblick des Mannes, dem sie seinen Stolz und ihre Demüthigung noch lange nicht vergeben hatte, zerstob das Alles. Der alte feindselige Geist wallte wieder heiß und wild empor. Weshalb erschien er jetzt auf einmal in der Wohnung ihres Oheims, die er doch sonst niemals betrat, hier, wo er doch fürchten mußte, sie zu treffen? Galt dies Erscheinen ihr? Die junge Dame stand da, kampfbereit, entschlossen mit ihrer ganzen Kraft einer Macht zu trotzen, der sie sich diesmal gewiß nicht beugte.

Aber ihr Heroismus war, diesmal wenigstens, völlig überflüssig, es kam anders, als sie geglaubt. Der Professor stand noch immer auf der Schwelle, sein Blick schweifte langsam durch das ganze Zimmer, sie allein traf er nicht.

„Ich bitte um Verzeihung, ich suchte Herrn Doctor Stephan.“

„Mein Oheim ist im Garten.“

„Ich danke.“

Er zog die Thür hinter sich zu und schritt, ohne sie auch nur anzusehen, durch das Zimmer nach dem Balcon. Jane’s Stirn färbte sich dunkelroth, sie war darauf gefaßt, einem Angriff zu begegnen, und fand nun eine völlige Nichtachtung, das war mehr als sie ertragen konnte, ihre Hand umfaßte krampfhaft die Lehne des Sessels.

Der Professor stieß inzwischen schon in der Balconthür auf den soeben zurückkehrenden Doctor, der ihn sogleich in Beschlag nahm.

„Nun, da sind Sie ja endlich! Professor, was um Gotteswillen machen Sie für Streiche? Friedrich hat das ganze Haus bereits in Alarm gebracht mit seiner Schreckensbotschaft.“

Damit ergriff er ihn ohne Weiteres beim Arm und zog ihn wieder in’s Zimmer zurück. Das schien nun allerdings das Letzte zu sein, was der Professor wünschte, er folgte nur mit sichtlichem Widerstreben und blieb, die Einladung zum Niedersitzen nicht beachtend, aufrecht neben dem Stuhle stehen, den der Arzt ihm hinschob.

Ohne ein Wort zu sagen, stand Jane auf und verließ das Zimmer. Der Doctor blickte ihr verwundert und mißbilligend nach, die Unart seiner Nichte gegen den Hausgenossen fing nachgerade an, alle Grenzen zu übersteigen. Fernow’s Lippen zuckten, aber kein Blick verrieth, daß er die Bewegung überhaupt gesehen.

Miß Forest war indessen nicht weit gegangen, im Nebenzimmer lehnte sie finster und feindselig am Fenster. Sie wollte nicht in einem Zimmer mit diesem Manne bleiben, der sich erlaubte, sie und ihren Zorn zu ignoriren, aber – hören wollte sie denn doch, was er bei ihrem Oheim suchte, und durch die nur angelehnte Thür vernahm sie denn auch jede Silbe des Gesprächs, das der Doctor zuvörderst mit einer nachdrücklichen Strafpredigt einleitete.

„Und nun sagen Sie mir vor allen Dingen, hat der Friedrich den Verstand verloren, oder ist es wahr, daß Sie für diensttauglich erklärt sind, daß Sie das selber provocirt haben, daß Sie sich für gesund ausgaben, während es Sie doch nur ein Wort, ein bloßes Stillschweigen kostete, das Gegentheil zu beweisen? Ist so etwas erhört?“

Der Professor sah vor sich nieder. „Es war eine Aufwallung!“ sagte er leise. „Ich war ja so völlig sicher und gefaßt auf eine Zurückweisung, aber das achselzuckende Mitleid des Arztes raubte mir alle Besinnung. Allein als elender Schwächling nach Haus geschickt zu werden, wo Alles zum Kampfe eilt, das ertrug ich nicht! Es war eine Thorheit, ich werde sie mit dem Leben bezahlen müssen, aber – ich würde sie noch einmal begehen!“

„Sie scheinen bisweilen merkwürdige Aufwallungen zu haben,“ meinte der Doctor mit einem Blick nach der Zeitung hinüber. „Nun, davon nachher, jetzt handelt es sich vor allen Dingen darum, wie wir die Dummheit – nun, fahren Sie nur nicht gleich auf, ich meine den Oberstabsarzt – wie wir also die Dummheit des E. möglichst wieder gut machen. Ich werde ihm

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 309. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_309.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2017)