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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


In seinen Mußestunden, wenn er die Feder aus der Hand legte, griff das frühere Mitglied des Parlaments, der bekannte Schriftsteller, wie ein alter Römer zur Schaufel und Harke. Um den Tagelohn zu ersparen, ebnete er selbst die Wege und pflanzte mehrere Tausend junge Bäume, die lustig aufwuchsen und einen schattigen Park bildeten, der bis dahin seiner Besitzung gefehlt hatte. Zugleich faßte er den Gedanken, in diesen neuen Anlagen ein kleines Sommerhaus zu errichten, worin seine Frau den Gästen Kaffee reichen sollte, da es noch immer am Besten fehlte und das Grundstück verschuldet war.

Diese Hoffnung wurde jedoch von ruchloser Hand zerstört. An dem Tage, wo das Sommerhaus eingeweiht werden sollte, ging dasselbe in Flammen auf. Trotzdem die spätere Untersuchung den unumstößlichen Beweis lieferte, daß das Feuer von einem boshaften Arbeiter angelegt worden war, ging die badische Bureaukratie in ihrem Haß gegen den demokratischen Volksmann und in ihrer unbegreiflichen Verblendung so weit, Venedey selbst und seine Frau der Brandstiftung am eigenen Hause zu beschuldigen. Obgleich von allen Seiten seine Freunde herbeieilten und durch wohlgemeinte Sammlungen ihn in den Stand setzten, das niedergebrannte Sommerhaus wieder aufzurichten, so konnte er doch die ihm zugefügte Kränkung nicht so leicht überwinden, noch dazu, da das neue Haus von derselben ruchlosen Hand noch einmal angezündet wurde. Der Aufenthalt auf dem Lande war ihm verleidet, und er nahm daher mit Freuden das Anerbieten der „Neuen freien Presse“ an, als ihr Berichterstatter nach Berlin zu gehen, wo er bis zum März des Jahres 1870 verweilte und zu den alten Freunden zahlreiche neue sich erwarb. – Durch vielseitige Beweise der Liebe und Anerkennung, die ihm hier zu Theil wurden, gehoben und gestärkt, kehrte er mit seiner Familie nach Oberweiler zurück. Durch den bald darauf ausgebrochenen Krieg mit Frankreich gerieth jedoch Venedey in neue Conflicte, zu denen sich noch pecuniäre Verlegenheiten gesellten, da die erwarteten Sommergäste aus Furcht vor dem nahen Kriege ausblieben. Der alte Burschenschafter, der die Freiheit des Vaterlandes ebenso sehr und noch mehr als die Einheit liebte, der Feind jedes militärischen Despotismus fühlte während dieses Kampfes seine Brust von den widersprechendsten Gefühlen zerrissen. Als deutscher Patriot mußte er den Sieg seinen Brüdern wünschen, als Demokrat konnte er seine liberalen Sympathien ebenso wenig verleugnen. Dieser Widerspruch brach ihm das Herz und legte den Keim zu seinem Tode.

In diesem Sinne schrieb er jenen Artikel für die „Neue freie Presse“, „Vae Victoribus“, der ein so großes Aufsehen erregte, und ihm, dem besten und ehrlichsten Sohne seines Volkes, den Namen eines Verräthers von Seiten des fanatischen Pöbels eintrug, welcher ihn sogar mit dem Tod durch Erschießen bedrohte. Von Neuem war ihm die Heimath verleidet; er ging nach Stuttgart, um dort für die gute Sache zu wirken, wohin seine Familie vor dem drohenden Einbruch der Franzosen ihm später folgte. Als die Gefahr glücklich durch den Sieg der Deutschen vorübergegangen war, kehrte er in sein verlassenes Rasthaus nach Oberweiler zurück.

Innerlich gebrochen, arbeitete er fleißiger als je, um die Seinigen vor der dringenden Noth zu schützen. Aber seine Manuscripte wurden von verschiedenen Redactionen und Verlegern zurückgewiesen, weil er es nicht verstand, gegen seine bessere Ueberzeugung zu schreiben. Unter solchen Umständen mußte seine Lage sich nur verschlimmern, trotz aller Mühen, trotz seiner immer neuen Anstrengungen. Dazu kamen noch die vielen Angriffe und Beschuldigungen, indem selbst frühere Gesinnungsgenossen ihn für einen Söldling Bismarck’s ausschrieen, weil er anderer Meinung war, als sie, und sich nicht scheute, dieselbe offen auszusprechen. Gegen diese lächerliche Anklage schrieb er in einem Briefe an einen bekannten Journalisten:

„In welchem Dienste ich schreibe? O, das wissen Sie ja! Im Dienste des Vaterlandes. Und wenn Sie wissen wollen, was dieser Dienst einträgt, so könnte ich Ihnen die Quittung des Leihhauses zu Freiburg schicken, wo ich unter andern die silberne Zuckerdose, die mir die Jenaer Burschenschaft geschenkt hat, mit unseren silbernen Eßlöffeln versetzt habe, um, wenn es nöthig wäre, unser Rasthaus zu verlassen, das nöthige Reisegeld zu haben. Ich diene mit Stolz einem Herrn, der schlecht zahlt, und habe mein ganzes Leben lang ihm mit Stolz gedient, um heute wie vor vierzig Jahren zu sagen: Das Vaterland über Alles!“

Noch einmal leuchtete ihm ein Lichtstrahl, die Aussicht, in den Reichstag gewählt zu werden, die ihn mit Freuden erfüllte, nicht wegen der damit verbundenen Auszeichnung, sondern wegen der erhofften Gelegenheit, sich öffentlich von der Tribüne herab gegen all’ die gemeinen Verleumdungen vertheidigen zu können. Bevor jedoch dieser Wunsch ist Erfüllung ging, erkrankte Venedey an einer Lungenentzündung, die seinem Leben ein Ende machte. Während seiner Krankheit rief er öfters: „O, nur jetzt nicht sterben, als bezahlter Verräther, von der eigenen Partei verkannt und beschimpft!“ Im Verlauf seiner Leiden, als die Besinnung ihn verließ, glaubte er auf der Tribüne des Reichstags zu stehen; er sprach voller Pathos von dem deutschen Volk, von Freiheit und Grundrechten, von Glaubensfreiheit und Ultramontanismus. In seinen letzten Tagen beschäftigte er sich mit Gambetta und Garibaldi, den er persönlich liebte, wenn er ihn auch verdammte, er sprach mit Beiden französisch und sagte von dem Ersteren: „Alle Welt glaubt an Gambetta, aber er selbst glaubt nicht an sich, und das ist der Grund seines Sturzes!“ So umschwebten ihn auf dem Todtenlager deutsche und französische Erinnerungen, wie den Knaben die Marseillaise und Schiller’s Lied an die Freude einst umschwebt.

Jetzt ruht der alte treue Kämpfer unter den Tannen des Schwarzwaldes von allen seinen Leiden aus, beweint von seiner hinterlassenen Gattin und zwei hoffnungsvollen Söhnen in dem Alter von elf bis vierzehn Jahren, betrauert von seinen Freunden und geachtet selbst von seinen Gegnern, die ihr schweres, an ihm begangenes Unrecht nach seinem Tode zu spät einsehen. Er selbst war als Schriftsteller und Volksmann einer der edelsten und reinsten Charaktere unserer Zeit, treu den Idealen der Jugend, selbstlos und begeistert für die Freiheit und Größe seines Volkes, für die höchsten Ziele der Menschheit, und darum ein leuchtendes Vorbild in einer Zeit, die zwar reich an talentvollen und geistreichen Männern, aber leider arm an jenen festen und uneigennützigen Charakteren ist, unter denen Venedey vor Allen genannt zu werden verdient.

Max Ring.




Aus der Wandermappe der Gartenlaube.
Nr. 8. Eine Besteigung des Großglockners.
(Schluß.)

So zogen wir vorsichtig weiter. Wegen des stets über uns hinhuschenden Nebels und wegen der Menge des fest angewehten Schnees hatten wir weder vom Schneeglanze noch vom Einsinken in verborgene Klüfte sonderlich viel zu leiden. So kamen wir, den Ködnitz-Gletscher quer überschreitend und weniger vom Winde belästigt, als wir gedacht hatten, bis an sein östliches Ende. Hier bricht nun der Eiskamm, der sich vom Glockner über die Adlersruhe gegen die Leiterköpfe zieht, in jähen, nur wenig von Felsen durchbrochenen Eiswänden ab, und mit einem gewissen Mißbehagen und Ahnungsgefühle blickten wir zu der hoch über uns liegenden Adlersruhe; denn oben stiebten ganze Wolken aufgewirbelten Schnees auf, ein Zeichen, daß der Orcan in dieser Höhe sein altes Spiel von heute Nacht forttreibe. Doch besannen wir uns nicht lange. Die Fußeisen wurden angezogen und nun begann die eigentliche Arbeit der Führer.

Da das Terrain zum Stufenhauen doch zu wenig steil war, so mußten die drei Führer mit ihren Fußeisen Tritte in das Eis stoßen und stets auf der Hut sein, daß nicht einer von uns Zweien stürzte.

Endlich nach fast einstündigem Marsche gelangten wir zur schwachen Einsattelung der Adlersruhe und waren vielleicht noch dreißig Schritte vom Kamme entfernt: da mit einem Male erfaßte uns, gerade an der steilsten Stelle, ein orcanartiger Schneesturm, der von Norden über die Schneide dahersauste und uns fast

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