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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Blätter und Blüthen.

Die Theorie der Kopfabschneider. Es war bekanntlich dem Kriegsminister Gambetta vorbehalten, die unter dem Namen „die Kopfabschneider“ selbst in der französischen Armee berüchtigten afrikanischen Reiterhorden, „die Gums“, von denen man sagte, daß sie mit der Gestalt des Menschen die Instincte des wilden Thieres vereinen, nach Frankreich zu rufen und der Loire-Armee als reguläre Truppe, als Spahis, mit der Bestimmung einzuverleiben, Schrecken und Tod in den Reihen der Preußen zu verbreiten. In welchem Rufe aber diese Gums bei ihren Landsleuten, den regulären Spahis stehen, unter welche man sie gesteckt hatte, davon Folgendes als Beispiel. Der General v. Schmidt, ein Stück Seydlitz und Ziethen, und dabei ein wahrer Vater für seine Soldaten, hatte zwei reguläre in der Gegend von Laval gefangene Spahis vor sich kommen lassen und sagte ihnen:

„Ich sollte Euch eigentlich hängen lassen, denn Ihr habt mir zwei meiner besten Ulanen caput gemacht. Ihr seid nicht werth, daß Euch das Sonnenlicht mehr bescheint – hängen, baumeln müßtet Ihr! Zwei meiner Leute so zu maltraitiren!“

Diesen Vorwurf wiesen die Spahis von sich ab und schoben diese Grausamkeit den Gums zu, mit denen sie zwar in einer Truppe dienen müßten, aber nie irgendwelche Gemeinschaft hätten. Sie verachteten und verabscheuten dieselben, wie der Mensch den Tiger, der bereit ist, ihm jeden Moment in den Nacken zu springen und ihn zu zerreißen. Die Gums seien von jeder Verbindung mit anderen Truppentheilen ausgeschlossen, sie bekämen nicht wie diese Verpflegung, sondern jeden Tag eine gewisse Löhnung, von welcher sie sich ihren Unterhalt beschaffen müßten.

Ich sah die zwei Gefangenen, die nach Le Mans gebracht wurden. Der eine mochte etwa achtundzwanzig Jahre alt sein, der andere zwanzig; der jüngere war der vornehmere, er selbst sagte, daß er der Sohn eines Kaïd sei und viel Land und viele Herden besitze. Sein Aeußeres war auch viel edler und vornehmer, als das des andern, den er mit einer gewissen Geringschätzung behandelte; derselbe war klein und von ungeschlachtem Gliederbau, während der jüngere fein und schlank gebaut war, edle und feingeschnittene Gesichtszüge hatte, ein blitzendes Auge und einen elastischen Gang. Die kleinen stechenden schwarzen Augen des Aelteren dagegen, die dunklen hellglänzenden Fleischmassen, die dicken Lippen, die platte Nase verriethen in ihrer Form wilde und thierische Triebe, und waren von einem lauernden, heimtückischen Ausdruck. Dazu hatte er einen Hieb über dem Kopfe, und die weiße Bandage verlieh ihm noch eine unheimliche Beleuchtung. Er trug ein Costüm von hellblauem Tuch, weite Beinkleider, die in einem Stücke gemacht waren, eine Jacke mit einem herzförmigen weißtuchenen Regimentsabzeichen auf der linken Seite, um die Schultern einen blauen mit weißem Leinen gefütterten Burnus, um den Kopf ein langes Stück Leinenzeug, das in Form eines Turbans und zugleich einer Capuze um denselben gewunden war. Der Burnus des Jüngeren war von brauner Farbe; dieser war jedoch nicht in Uniform, er hatte seine Tuchkleider abgelegt und befand sich quasi in Negligé, in Leinwandkleidern die vor so und so vieler Zeit einst weiß gewesen sein mochten, jetzt unterschieden sie sich wenig von dem braunen Tuche. Als Fußbekleidung trugen Beide Schuhe und Gamaschen. Als der Jüngere gefangen genommen worden war – er kam seinen Turban schwenkend wie eine Katze über die Knicks geklettert –, da umstanden ihn die Ulanen und betrachteten sich das fremde Menschenkind. „Ha,“ sagte der eine, „wie kann he denn reiten? he hat doch keene Sprungriemen!“

Der Aeltere sprach leidlich Französisch, wenn auch mit rauhen tiefen Gaumenlauten, der Jüngere sprach nur Arabisch, von europäischen Sprachen waren ihm nur zwei Worte geläufig: Pruss und Anisette. Da mit diesem geringen Wortvorrathe eine Unterhaltung wohl nicht gut möglich war, so benützten wir den Aelteren als Dolmetscher. Zuerst frugen wir ihn, was er denn von den Pruss hielte? Da blitzten seine Augen in jacher, unheimlicher Gluth auf, wild wehrte er mit den beiden mageren, sehnigen Armen ab, und seine Stimme ahmte das Hurrahgeschrei unserer Truppen nach, dann nahm er seinen Burnus und verhüllte damit sein Haupt. Der wachhabende Officier, Lieutenant Schuchardt, erzählt mir, daß Beide dasselbe gethan, als sie in die Caserne gebracht wurden, wo neben den Gefangenen auch Verwundete lagen, als sie dort der preußischen Krankenträger ansichtig wurden; dabei hatten sie außerdem noch heulende Klagetöne ausgestoßen. Mit den Sympathien für uns war es also schlecht bestellt, dagegen besser mit denen für Anisette und Tabak. Wein ließen sie Beide stehen, dagegen hatten sie eine halbe Flasche des genannten Liqueurs in einem Nu geleert und sahen sich nach mehr um. Ebenso empfänglich schien ihr Gemüth für Cigarren zu sein.

Der Aeltere erzählte dann, daß sie erst seit vier Wochen aus Afrika gekommen seien, daß sie nur sehr ungern ihr Land verlassen hätten, daß sie gezwungen worden seien. „Denn was geht das uns in unserem Lande an, wenn der Pruß und Franzos miteinander Krieg anfangen?“ raisonnirte er. Sie hätten viel von der Kälte zu leiden gehabt, mehr noch ihre Pferde, die das Futter und das Klima nicht vertragen konnten und zum großen Theile gestorben seien.

Auf unsere Frage, ob sie verheirathet seien, nickten sie Beide sehr lebhaft mit den Köpfen; der Aeltere sagte, daß er nur zwei Frauen habe, da er nicht reich genug sei, mehr zu ernähren, der Jüngere dagegen streckte vier Finger in die Höhe, um dadurch die Zahl seiner Frauen anzudeuten. Zuletzt richteten wir die Frage an sie, ob es denn wahr sei, daß sie den Gefangenen, die sie im Kampfe machten, die Köpfe abschnitten. Darauf waren Beide still, und als wir die Frage wiederholten, äußerte der Aeltere mit ernstem, sinnendem Ausdrucke, der Gefangene sei ein Feind, und einem Feinde dürfe man auf der Erde nichts Gutes gönnen, noch weniger dürfe man ihm das Paradies wünschen; Einer aber, dem der Kopf abgeschnitten sei, der könne niemals in das Paradies kommen, und darum thäten sie an allen ihren Feinden so. „Allah will es!“ schloß er mit feierlichem Tone seine Rede.

Georg Horn.

Ungebetene Gäste. Mit Abbildung. Wenn die Wogen der öffentlichen Aufregung so hoch schlagen, wie dies während der letzten Berliner Märzfeste und namentlich am Tage des Kaisereinzugs der Fall war, alsdann pflegen in dem Gesammteindrucke der Bewegung, in dem großen Enthusiasmus- und Jubelmeere, in welchem unwillkürlich Alles nach und nach eintaucht, die kleineren Einzelbilder, die verschiedenen Episoden und Intermezzos der allgemeinen Beobachtung meist verloren zu gehen. Und doch boten jene Feste mancherlei solcher Sonderscenen und Zwischenspiele dar, die wohl verdienen, vor dem Loose der Vergessenheit bewahrt zu bleiben.

So war es ein wehmüthig-froher Anblick, als bei der letzten glänzenden Beleuchtung der Stadt mitten im Strome des schaulustig umherziehenden Publicums und zwischen der endlosen Reihe der die erhellten Straßen durchfahrenden Equipagen, Droschken, Omnibus plötzlich eine Anzahl eigenthümlicher langer Wagen mit auf leichten Säulen ruhenden Dächern erschien, denen Alles willig und oft unter lautem Hurrahruf Platz zu machen suchte, soweit dies das Gewirr von Menschen Thieren und Vehikeln irgend erlaubte. In den seltsamen Wagen – Kremser nennt sie der Berliner, der die vielumfassenden gern zu seinen sommerlichen Landpartien benutzt – saßen dicht gedrängt Mann an Mann, der eine mit verbundenem Kopfe, der andere mit beschientem Arme; hier lugte eine Krücke zwischen den Säulen hervor, dort hing ein in Banden gelegtes Bein über den Schlag hinaus, und die meisten der Insassen sahen wohl noch bleich und kränklich aus, aber Alle blickten sie mit heiteren Mienen in die sie umgebende Luft hinaus und bemühten sich, so gut es ihnen gelingen wollte, in die Feierfreude einzustimmen. Mit den gesunden Armen schwangen sie mit ihren bunten Mützen und wehten mit ihren Tüchern, und wer das nicht vermochte, der nickte wenigstens stillvergnügt mit dem Kopfe. Die also Lustfahrenden waren verwundete Krieger aus den verschiedenen Hospitälern und Baracken. Ueber dem Freudenrausche hatte man ihrer nicht vergessen; auch sie sollten ihr Theil haben an der Lust und der Ehre des Tages, den herbeizuführen sie mit den schwersten Opfern an Gesundheit und Lebenshoffnungen so wesentlich beigetragen hatten. Wie beeiferte sich Alt und Jung, durch allerhand willkommene kleine Aufmerksamkeiten und Spenden den tapferen Streitern seinen pietätvollen Dank zu bezeigen! Wie manches Auge feuchtete sich indeß, wenn es in den Kremsern gar Manchen nicht fand, welchen es darin gesucht haben mochte, gar Manchen, der draußen im Lazareth auf dem Marterbett stöhnte oder vielleicht mit den Tausenden seiner Cameraden schon unter dem Erdbügel seinen letzten Schlummer schlief!

Die interessanteste und charakteristischste Episode spielte am Bahnhofe selbst, als der Kaiser sich zum Einzuge in die festgeschmückte und festbewegte Stadt anschickte; es ist die Scene, welche unser Künstler in dem lebensvollen Bilde der heutigen Nummer festgehalten hat. Unmittelbar neben der Rampe, von der aus das neue Oberhaupt des wiedererstandenen deutschen Reiches den seiner harrenden offenen Wagen bestieg, zeigten sich in einem Fenster der Billet- und Gepäckhalle drei fremdartige Gestalten, die man auf den ersten Blick als französische Officiere erkannt haben würde, wenn auch nicht zwei derselben ihre Militärkäppis auf den Köpfen getragen hätten. Der Gesichtstypus, die stechenden dunklen Augen, die Habichtsnasen und der Schnitt am Schnurr- und Zwickelbart schlossen jedweden Zweifel an ihrer Identität aus. Waren es Kriegsgefangene aus Spandau, welche die Neugier nach Berlin geführt hatte, waren es auf eigene Kosten aus der Gefangenschaft nach Frankreich heim- und durchreisende Krieger – wir wissen es nicht, wir wissen nur, daß sie, wie uns dünkte, mit höhnischen Blicken und sich mancherlei jedenfalls frivole oder hämische Bemerkungen zuflüsternd aus das Schauspiel herabsahen, zu welchem auch sie negativ einen so reichlichen Theil beigetragen hatten.

Unten der siegreich heimkehrende Kaiser, der Bezwinger des hochmuthstollen Frankreich, mit einfacher Würde für die ihm darob dargebrachten Huldigungen seines Volkes dankend, und oben, Zeugen dieser ihre namenlose eigene Demüthigung bespiegelnden Ovationen, Officiere jener ohne Beispiel in der Geschichte vernichteten französischen Heere, die sich der Unüberwindlichkeit vermaßen und zu Hunderttausenden die Waffen strecken mußten vor dem gering geschätzten Gegner – welcher Contrast und welche neue merkwürdige Illustration zur „Völkerpsychologie“! Hätte im umgekehrten Falle ein in Frankreich gefangener deutscher Officier es über sich vermocht, den Triumphzug des siegenden Imperator mit anzuschauen? Nun und nimmermehr, wenn er zu solcher Schmach vom brutalen Sieger nicht mit brutaler Gewalt gezwungen worden wäre! All sein Blut hätte sich ja gegen eine solche Erniedrigung empört! Und, so fragen wir ferner, wie würde es einem deutschen Soldaten in Paris ergangen sein, der sich als „ungebetener Gast“ zu einem derartigen französischen Nationalfeste gedrängt und gar über die Feier zu lächeln und zu witzeln sich erfrecht hätte? Die Begebnisse der letzten Monate, die Jedermann offenkundig sind, überheben uns einer Beantwortung der Frage. Nichts aber bezeichnet vielleicht mit Einem Zuge die Nationalunterschiede der beiden Völker klarer und schärfer, als diese „ungebetenen“ und doch von keinem Menschen behelligten „Gäste“ am Tage des feierlichen Kaisereinzugs in die Hauptstadt des aus ihren Niederlagen neuerwachsenen deutschen Reiches. Jeder weitere Commentar des Bildes wäre von Ueberfluß.

S.


Belfort nach seinem Fall. (Mit Abbildung.). Das vielbesprochene Bollwerk im Knotenpunkt der Hauptverkehrswege von Basel, Mömpelgard, Lyon, Straßburg, Lothringen und Paris, hat so viel des kostbarsten deutschen Blutes gekostet, daß, trotz aller erwiesenen Tapferkeit unserer Krieger und ihres schließlichen Erfolgs, das Bild dieser Stadt ein trauriger Anblick auch dann für uns bleiben würde, wenn die Friedenspräliminarien nicht die verstimmende Ansicht veranlaßt hätten, daß gerade dieses Blut vergeblich vergossen sei.

In der Geschichte des großen deutsch-französischen Kriegs wird einst

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_291.jpg&oldid=- (Version vom 17.12.2017)