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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


„‚Es wird hinfort meine eifrigste Sorge sein, Ihren Weg nicht wieder zu kreuzen!‘ Nun, Mr. Fernow ich kreuze den Ihrigen gewiß nicht, und so war das hoffentlich ein Abschied für immer!“

Jane hob den Kopf mit einem Ausdruck, als sei sie bereit der ganzen Welt damit Trotz zu bieten, und eilte dann raschen Schrittes den Fußweg hinab in’s Thal, wo bereits dunkle Schatten lagerten, während oben die Dämmerung ihre grauen Schleier dichter und dichter um die alten Burgtrümmer und um die Stelle wob, wo zwei Menschenherzen einander so nahe begegnet und so feindselig geschieden waren.




Vom Landungsplatz des Dampfers her schritten einige Tage später zwei Herren in eleganter Reisekleidung die Straße hinauf, in der das Haus des Doctor Stephan lag.

„Eilen Sie nicht so, Henry!“ sagte der Aeltere etwas mißmuthig. „Ich kann Ihnen in der Hitze nicht folgen, und was soll Miß Jane denken, wenn sie sich zufällig am Fenster befände, und Sie in diesem Sturmschritt ankommen sähe!“

Die Mahnung, sehr überflüssig bei jedem ähnlichen Wiedersehen, schien gleichwohl hier völlig an ihrem Platze zu sein, Alison mäßigte, als sei er in der That auf einer Ungehörigkeit betroffen, seinen Schritt und wandte den Blick, der ungeduldig die Häuser musterte, seinem Begleiter zu.

„Das war ein überraschendes Zusammentreffen!“ fuhr Atkins fort. „Wir glaubten Sie noch in London; war es nicht Ihr Plan, von dort direct nach Paris zu gehen?“

„Allerdings, aber dann wäre ich erst im Herbst nach dem Rhein gekommen, und da Miß Forest seit Wochen bereits in B. ist, so nahm ich den Umweg, um sie wenigstens auf einige Tage zu sehen. – Was mich jedoch sehr überraschte, war Ihr Entschluß, sie nach Deutschland zu begleiten“.

„Sie meinen, weil ich von jeher darauf geschimpft habe?“ sagte Atkins gleichmüthig. „Allerdings bildet das auch hier meine Hauptbeschäftigung, es ist das einzig Praktische in diesem verkehrten Lande; aber ich bin doch nun einmal dem Namen nach Vormund von Miß Jane, und obgleich sie in allen Dingen mehr als selbstständig ist – beiläufig, Henry, Sie werden das auch noch zur Genüge erfahren – hielt ich es doch nicht für passend, sie die Reise über den Ocean so ganz allein machen zu lassen. Da ich überdies die Herren Deutschen, mit denen unser Nordamerika ja jetzt förmlich gepflastert ist, zur Genüge kenne, so konnte ich mir den Genuß nicht versagen, sie bei dieser Gelegenheit auch einmal in ihrem eigenen gelobten Lande zu bewundern. – Sie sind mir hoffentlich dankbar, daß ich Ihrer Braut zur Seite blieb?“

„Gewiß!“ stimmte Alison in etwas kühlem Tone bei. „Ich bin nur erstaunt, daß die Angelegenheiten Miß Forest’s Ihnen eine so lange Abwesenheit gestatten.“

Der alte Sarkasmus trat in seiner vollen Schärfe wieder auf das Gesicht Mr. Atkins’, als er beißend erwiderte: „Beruhigen Sie sich, Henry, Ihr künftiges Vermögen ist in sicheren Händen.“

„Ich fragte nicht in meinem Interesse,“ sagte Alison gereizt.

„Aber in dem von Miß Jane, das binnen Jahresfrist auch das Ihrige ist. Nun, ärgern Sie sich nicht! Es ist natürlich, daß Sie sich darum kümmern, und ich bin Ihnen wohl einige Auskunft schuldig. Sie wissen vermuthlich, daß der verstorbene Mr. Forest schon während der letzten Jahre sein Vermögen fast gänzlich aus dem Grundbesitz zog und in Werthpapieren anlegte. Sie sind sicher deponirt, die übrigen Geschäfte wurden in den zwei Monaten nach seinem Tode erledigt, die Besitzung ist in zuverlässiger Obhut – ein Vermögen, das meiner Verwaltung anvertraut ist, wird nicht einer Vergnügungsreise wegen leichtsinnig preisgegeben, Mr. Alison.“

Henry hatte trotz seiner Gereiztheit doch mit ziemlicher Aufmerksamkeit und Genugthuung zugehört, er wußte jetzt das Nöthige und fragte daher, rasch den Gegenstand wechselnd:

„Und wie finden Sie Deutschland?“

„Langweilig! Wie ich es mir gedacht habe, und das Leben in diesem gelehrten B. hier nun vollends nicht zum Aushalten! Ich versichere Ihnen, Miß Jane bringt dem Wunsche ihres Vaters ein Opfer mit diesem Aufenthalt; ich verließ sie bereits gründlich gelangweilt von all den Rücksichten, Steifheiten und Gemüthlichkeiten, zwischen denen sie rettungslos eingekeilt ist, und vor denen ich die Flucht nahm.“

„Also deshalb gingen Sie nach Hamburg?“

„Nein! Ich hatte Geschäfte dort!“

„Benutzen Sie die europäische Reise zu Geschäftsangelegenheiten?“ fragte Alison aufmerksam werdend.

„Ich nicht! Es handelt sich um Mr. Forest’s Interessen. Eine alte Schuld, die wir oft genug vergeblich eingefordert haben.“

Das Interesse des jungen Kaufmanns war jetzt gleichfalls rege geworden.

„Ist der Posten von Bedeutung?“ fragte er angelegentlich.

„Ja.“

„Und Sie hoffen ihn jetzt einzuziehen?“

„Ich hoffe es.“

„Dann wünsche ich Ihnen Glück!“ sagte Alison lebhaft. „Es ist stets angenehm für einen Geschäftsmann, wenn dergleichen alte, bereits aufgegebene Schulden getilgt werden.“

„Meinen Sie?“ fragte Atkins boshaft. „Es kann unter Umständen auch eine halbe Million kosten.“

Zum Glück hörte Alison die letzten halblaut gesprochenen Worte nicht, denn er wendete in diesem Augenblick seine ganze Aufmerksamkeit den Fenstern des Hauses zu, vor dem sein Begleiter stehen geblieben war und dessen Klingel er jetzt zog. Die Thür ward von Friedrich geöffnet, der seinen Herrn zurückerwartet und dessen Gesicht sich bedeutend verlängerte, als er den Amerikaner erblickte, der bei seinem Aufenthalt in B. zwar niemals die Gastfreundschaft des Doctors in Anspruch nahm, sondern stets im Hôtel wohnte, aber doch täglich in dem Hause verkehrte, wo sich sein Mündel befand.

„Ist Miß Forest zu Hause?“

„Nein!“

„Und Mr. und Mrs. Stephan?“

„Auch ausgegangen!“

„Werden sie bald zurückerwartet?“

„Jede Minute!“

„Dann thun wir besser, hier im Garten zu warten, als erst in’s Hôtel zurückzukehren,“ wandte sich Atkins zu seinem Begleiter. „Kommen Sie, Henry. – Sie melden der Herrschaft sofort nach ihrer Ankunft mein Hiersein, ich verlasse mich darauf.“

Der mit diesen Worten und einem kurzen vornehmen Kopfnicken abgefertigte Friedrich sah den davonschreitenden Herren mit einem wahren Ingrimm nach. „Noch Einer! Nun bringt er gar den Dritten mit! Die amerikanische Sippschaft wird uns zuletzt noch aus dem Hause treiben. Ich wollte –“ sein fernerer Segenswunsch verhallte in dem dröhnenden Zufallen der Thür, die er mit solcher Gewalt in’s Schloß warf, daß die Fensterscheiben klirrten.

„Was hat denn dieser Mensch?“ fragte Alison, als sie den Garten betraten; „er gab uns in eigenthümlicher Weise die geforderte Auskunft.“

Atkins lachte. „Ein deutscher Bär! Riesig, täppisch, ungeschickt, in dessen geistreichem Kopf nichtsdestoweniger so etwas wie Nationalitätenhaß zu spuken scheint; ich wenigstens kann mich nicht rühmen, je etwas Anderes als diese Bärenmiene bei ihm gesehen zu haben, obgleich er sonst harmlos und gutmüthig bis zur grenzenlosen Dummheit ist.“

„Es ist der Diener des Hauses?“

„Das gerade nicht, vielmehr steht er in Diensten eines – Ah, Mr. Fernow!“ unterbrach sich Atkins plötzlich mit einer Wendung nach dem mittleren Gange, „sehr erfreut, Sie zu sehen!“

Der Professor, der soeben aus der Universität zurückkehrte und, wie gewöhnlich, seinen Weg durch den Garten nahm, erwiderte den Gruß und kam näher.

„Wie geht es Ihnen, Mr. Fernow?“ fragte Atkins herablassend. „Sie sehen angegriffen aus, das kommt von der Gelehrsamkeit! Wollen Sie mir erlauben, Ihnen einen jungen Freund und Landsmann vorzustellen? Mr. Alison! Mr. Fernow, Professor an der Universität und Hausgenosse des Doctor Stephan.“

Landsmann! Hausgenosse! das waren zwei sehr gleichgültige, allgemeine Bezeichnungen, auch legte Atkins nicht den geringsten Nachdruck darauf, dennoch schienen sie den beiden Männern in gleicher Weise aufzufallen. Der dunkle Blick Alison’s heftete sich mit einem plötzlich erwachenden Argwohn scharf und forschend auf das Gesicht des Professors, und die blauen Augen Fernow’s leuchteten auf in peinlicher Ueberraschung, als er mit ungewöhnlicher Energie den Blick zurückgab. Es war, als ahnten die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_278.jpg&oldid=- (Version vom 15.12.2017)