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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


und nun mußten wir uns auf fremdem, französischen Boden in einem uns Beiden zugewiesenen Logis ganz zufällig wiederfinden. Sehr spaßhaft war die verblüffte Miene, die unser Wirth zu dieser Begegnung machte. Erst dieses gegenseitige kurze pikirte Auftreten und dann plötzlich diese fröhliche Herzlichkeit – man sah es ihm an, daß er sich keinen Vers darauf zu machen wußte. Schließlich machten wir ihm denn die Sache klar, und nun bezeigte die ehrliche Haut eine Freude, als ob er der Dritte im Bunde wäre. Ganz unbemerkt verschwand er und kehrte mit einigen Flaschen sehr alten, vortrefflichen Burgunders zurück. Nun setzten wir uns fest und erzählten uns unsere Erlebnisse während dieser zehn Jahre. Mein Freund war ein tüchtiger Arzt geworden, hatte sich verheirathet, war mehrfacher Vater und vor einem Jahre Wittwer geworden, sonst aber fanden wir, daß wir die Alten geblieben waren. Namentlich hatte mein Freund eine Eigenschaft beibehalten, um die er früher vielfach geneckt worden war: er hatte die Gewohnheit, nur im Superlativ zu sprechen. Nach seiner Anschauung war Alles ausgezeichnet, wunderbar, großartig, pyramidal, grandios oder kolossal. Solche Naturen sind stets liebenswürdig, und so erwies es sich auch jetzt wieder.

So vergingen ein paar Stunden; unser Wirth hatte seine Freude an uns, verstand natürlich von unserm Gespräche nicht Ein Wort, lachte aber bald den Einen, bald den Andern seelenvergnügt an und nöthigte durch Anstoßen so lange zum Trinken, bis wir – ich muß es zu meiner Beschämung gestehen – alle Drei des süßen Weines mehr als genug hatten.

Unser Franzose war aus Rand und Band; er erzählte uns, daß man uns eigentlich für eine große Räuberbande halte und mit den Cartouches und Mendrins auf eine Reihe stelle. Der ganze Ort habe sein baares Geld in Sicherheit gebracht, und wenn man in der Kirche der heiligen Jungfrau den Jupon aufhebe, so werde man darunter sämmtliches baare Vermögen finden. Auch er habe darum seine Frau in den Schornstein gehängt – nein, nicht seine Frau, sondern nur seine silbernen Löffel, verbesserte er, im Gegentheil, Madame Jouvenot sei eine ausgezeichnete Frau, die man höchstens nur in Glas und Rahmen aufhänge.

Von Zeit zu Zeit bewegte sich der Vorhang hinter dem Glasfenster, und man sah das Gesicht der Frau, die vorhin bei meinem Erscheinen so plötzlich Reißaus genommen hatte, aufmerksam in das Zimmer lugen. Wahrscheinlich wollte sie sehen, ob wir ihrem Manne noch nicht den Kopf abgeschnitten hätten; da solches bis dato noch nicht geschehen, so schien sie Zutrauen zu gewinnen und erschien, wenn auch immer noch scheu und zögernd, in der offenen Alkoventhür, bis Monsieur Jouvenot sie an der Hand nahm und feierlichst präsentirte. Madame hatte nun die Ehre, in den Zecherkreis gezogen zu werden; sie hatte einen dunklen Schnurrbart auf den Lippen, der manchem Fähndrich Ehre gemacht hätte, und schlug auch eine tüchtige Klinge; am Abend stand eine Batterie von acht leeren Flaschen auf dem Tische. Vom Weggehen meines superlativen Freundes war nun keine Rede mehr. Als ein Beweis besonderer Auszeichnung räumte ihm das Ehepaar sein schneeweißüberzogenes eheliches Bett ein. Und als wir am andern Morgen – die Sonntagsglocken läuteten rings in die Berge – von dem Ehepaar Abschied nehmen mußten, gab es nichts Betrübteres als Herrn und Madame Jouvenot, die uns die Versicherung gaben, daß sie Wüthriche erwartet und nun Menschen kennen gelernt hätten, die plaudern und lachen, die trinken und fröhlich sein können wie sie selbst.

Georg Horn.




Die Zuwider-Wurzen.
Eine Geschichte aus den bairischen Bergen.
Von Herman Schmid.
(Schluß.)


Sie standen sich Aug’ in Auge gegenüber; zu anderer Zeit und an einem anderen Orte wären sie einander wohl in die Arme gefallen: statt dessen fuhren sie jetzt betroffen auseinander; denn der Kurzenbauer, der endlich auch die Seinigen vermißt hatte, war ebenfalls nach dem Treffpunkte geeilt und eben recht gekommen, um die Beiden zu sehen und den Schluß ihrer Unterredung mit anzuhören. Die Mahm, die er zuerst getroffen, stand neben ihm, schweigend, aber mit einer Miene, in welcher Rührung und Spott durcheinander zuckten, als wollle sie sagen: Ich hab’s gewußt, daß es so kommen wird – nun ist’s doch geworden, ohne daß Du etwas gemerkt hast.

„Brauchst Dich nit zu strapazir’n!“ rief der Bauer zornig, „es thät’ Dich doch nichts nutzen! Wenn Du den Glauben auch zuwegen bringst, es wär’ doch ein Aberglauben. Du und mein Deandl? Ein Holzknecht und die reichste Bauerntochter aus der Gemeind’? Ein Fremder und eine Jachenauerin? Kreuzbirnbaum und Hollerstaud’n, das wär’ eine schöne Zusammenstellung! Und wie ist’s nachher – ich mein’, da müßt’ ich doch wohl auch gefragt werden?“

„Das ist gewiß, Vater,“ sagte Stasi, die jetzt, nachdem alle Last von ihrem Herzen genommen war, die alte Festigkeit wieder fand. „Wenn Du doch schon einmal gehorcht hast, dann wirst auch gehört haben, daß ich Dir heut’ noch Alles hab’ selber sagen wollen – früher hab’ ich’s ja nit können; ich hab’s ja selber nit gewußt, Vater.“

„So?“ schrie der Bauer. „Und damit, meinst wohl, wär’ schon Alles in Richtigkeit? Wär’ ich Dir g’rad’ recht zum Jasagen? Also deswegen bist so dasig ’worden, weil Du Einen g’funden hast, der Dir Herr ’worden ist? Meinetwegen – aber mir wird er nit Herr! In die Jachenau kommt kein Fremder, so lang’ ich’s verhindern kann, und auf’n Kurzenhof schon gar nit.“

Ein zweiter Kanonenschuß unterbrach den Erguß seines Zornes; die Bergschützen, die ihres Hauptmanns gewärtig schon lange verwundert in der Nähe gestanden, kamen eilends heran, denn der Schuß zeigte an, daß der König und seine Escorte das Thor der Stadt verlassen habe und sich bereits der Festwiese nähere, es war also die höchste Zeit, sich im Zuge aufzustellen oder einen Platz zu wählen, von welchem aus wirklich etwas von den zu erwartenden Festlichkeiten zu sehen war.

„Ich geh’, weil ich muß,“ sagte Martl, indem er seinen Hut aufhob und kräftig auf die Stirne drückte. „Weil ich muß, sag’ ich, nit weil ich mich fürcht’! Ich fürcht’ Dich nit, Kurzenbauer, und wenn Du Dich noch so fuchtig anstellst – ich hab’ mich vor Deinem Madl auch nit g’fürcht’t, und das ist doch ein ander’s Korn; die trifft besser mit ihren Augen als Du, denn die hat mir gleich einen Kernschuß gegeben mitten in’s Herz hinein! – Ich geh; aber ich komm’ wieder, und nachher wirst wohl anders reden.“

„Ja, Martl, geh’,“ sagte Stasi, „und komm’ wieder, und wenn der Vater nit anders red’t, – ich bin g’wiß nit anders; ich halt’ aus bei Dir, und wann ich zu Dir nach Lenggries zieh’n müßt’ in die Hütten von Dein’ alten Mutterl.“

Sie boten sich nochmal, wie zur Bestätigung des Gelöbnisses, die Hand; dann schritt Martl mit seinen Burschen hinweg; Stasi trat vor an den Bergrand, der Bauer wollte folgen, denn trotz seines Aergers wollte er doch von dem Schauspiel nichts versäumen. „Schon recht,“ zürnte er weiter. „Wir werden schon sehen, wer Herr im Haus ist und wer das letzte Wort behält.“

In diesem Selbstgespräche fühlte er sich am Arme gefaßt und erblickte seine Schwester neben sich, die ihn zurückhielt. „Du nit, Bruder,“ sagte sie; „Du wirst’s letzte Wort nit b’halten, – und wenn Du’s behalt’st, nachher wird’s letzte Wort Ja heißen. Die Stasi geht, Du hast es g’hört: sie hat die Schneid’ und die Resch’n, die ich vor dreißig Jahr’n nit gehabt hab’ – probir’s nachher, wie Du allein auf’m Kurzenhof zurecht kommst; denn ich – das sag’ ich Dir – ich nehm’ mein Sachel und geh’ mit ihr! Ich hab oft mit’m Davongeh’n gedroht und hab’ niemals Ernst gemacht, jetzt aber wird nimmer viel gered’t, jetzt geschieht’s. Wenn Du also gescheidt sein willst – wenn Du in Deinen alten Tagen nit erfahren willst, was es heißt, kein’ Menschen bei sich haben, der Einen gern hat, dann sagst Ja, Bruder! Du solltest froh

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_273.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)