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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

das Haus, in welchem ich Quartier beziehen sollte, bewohnt war. Aus der Küche drang ein einladender Bratengeruch; ich hörte Thüren öffnen und schließen, aber Niemand zeigte sich, um mir mein Zimmer anzuweisen, wenn ich es nicht selbst gefunden hätte durch den Namen, den der Quartiermacher angeschrieben hatte. Siehe da, Alles war für meine Ankunft vorbereitet; der Tisch war vollständig gedeckt, ein einfaches Mittagsessen war reservirt, die Suppe dampfte noch aus der Terrine; man mußte also den Moment, wo ich in Sicht war, erfaßt haben, um sie auf den Tisch zu stellen und dann flugs den Rückzug zu nehmen. Ich setzte mich hin und aß, ganz allein wie der Papst; ich klingelte dann, daß man den Tisch abräume. Kein lebendes Wesen ließ sich sehen; doch ja – eine Katze kam gravitätisch hereinspaziert, eine der herrlichen Angorakatzen, wie man sie häufig in Frankreich hat, sah mich groß an, suchte sich einige Augenblicke niederzusetzen und entfernte sich ebenso feierlich, wie sie gekommen war. Außer diesem vierbeinigen Besuche vermochte ich kein lebendes Wesen zu entdecken.

Des Nachmittags war ich ausgegangen, des Abends kam ich nach Hause, wieder war der Tisch zum Abendessen servirt, das Bett abgedeckt, auf dem Kopfkissen lag, wie in allen französischen Betten, die übliche weiße, baumwollene Zipfelmütze, aber in dem Hause herrschte Todtenstille, es schien von dienstbaren Geistern, von Heinzelmännchen, von irgend einem unconcessionirten Dienstmanninstitut bewirtschaftet zu werden. Unfreundlich schienen sie eben nicht zu sein; meinen Mantel, der vom Regen während des Tages durchnäßt war, fand ich getrocknet vor, überall begegnete ich Spuren einer sorgenden, thätigen Hand, aber von dieser selbst war nicht eine Fingerspitze zu erspähen. Die Sache fing fast an, unheimlich zu werden, aber trotzdem hatte ich mich eines ganz gesegneten Schlafes zu erfreuen, aus dem ich am Morgen durch ein leises Klopfen an die Thüre geweckt wurde. „Wer da? Herein!“ rief ich, mir die Augen reibend, aber dem Rufe wurde nicht Folge geleistet, es kam Niemand. Mit einem Satze war ich aus dem Bette, riß die Thür auf, die ich, nebenbei gesagt, niemals verschließe, auch während des Feldzuges in keinem Quartier verschlossen gehalten habe; der Flur vor meinem Zimmer war leer, ich glaubte das leise Anziehen einer Nebenthür zu vernehmen, aber in der Toilette, in der ich war, konnte ich keine weiteren Nachforschungen anstellen. Als ich in mein Zimmer zurückkehrte, drang mir ein gar einladender lieblicher Duft entgegen; auf dem Tische war das Frühstück Café en lait mit Butter und Brod servirt. Nun verstand ich auch das Klopfen, man hatte mich durch dieses Zeichen aufmerksam machen wollen, daß der Kaffee kalt würde, aber wie derselbe in´s Zimmer gebracht worden war, ob durch das Schlüsselloch, ob das geheimnißvolle Haus ein „Tischlein decke dich“ besaß, das weiß ich heute noch nicht – meine lieben Leser werden es durch meinen festen Schlaf begreiflich finden, am Ende muß ich es auch annehmen, aber eine Stunde darauf trat ich den Weitermarsch an und ich ging aus dem Hause, in welchem ich neunzehn Stunden gewohnt, gegessen, geschlafen, gefrühstückt hatte, ohne ein anderes Geschöpf zu Gesicht bekommen zu haben, als den Hauskater, und der konnte mir über meinen Quartiergeber eben so wenig Auskunft geben, als ich es meinen lieben Lesern gegenüber vermag.

Eine Genugthuung hatten wir, glaube ich, in französischen Quartieren mehr oder minder Alle, nämlich, daß bei den Franzosen die Herzlichkeit beim Abschiede von uns größer war, als bei unserem Empfange. Nicht etwa darum, daß sie froh gewesen wären, unser los geworden zu sein, denn nach uns kamen wieder Andere, sondern weil sie sich gestehen mußten, daß wir um so viel besser waren, als der Ruf, in welchen uns ihre Journalisten und Priester gebracht hatten, weil sie sich innerlich eines Unrechtes gegen uns schuldig fühlten. Hier gewann das Reinmenschliche die Oberhand über alle nationalen Leidenschaften. Einen solchen eclatanten Fall erlebte ich auf unserem Vormarsche gegen die Mosel in Delme. Als ich in das Haus eintrat, in welchem ich mein Quartier finden sollte, begegnete ich im Flur einer Frau, die beim Anblick eines Prussien in ihrem Hause mit einem Schrei des Schreckens entfloh und die Thür hinter sich in das Schloß warf. Welches Bild bot sich dagegen des andern Morgens dar, als es an das Abschiednehmen ging!

Ich hatte mich in dem Hause installirt, die Frau ließ sich in der ersten Stunde nicht mehr blicken, dagegen aber war der Mann erschienen, seines Zeichens ein Ackerbürger, eine freundliche, biedere Natur, die mir die Hand bot und mich in ein Zimmer zu ebener Erde führte, an dessen Alkoven ein Schlafzimmer stieß. Der Mann brachte Wein, stieß mit mir an und erzählte mir, daß achtundvierzig Stunden vorher Theile der französischen Armee den Ort passirt, sowie daß sich die Campagnards gewundert hätten, die Armee, die sie auf dem Wege nach Deutschland glaubten, Kehrt machen zu sehen, man habe sie aber beruhigt und ihnen gesagt: die Franzosen hätten bereits den Preußen eine furchtbare Niederlage bereitet und seien auf dem Wege, sie an einer andern Stelle noch vollends zu vernichten; das hätten sie denn auch gerne geglaubt, nur erst, als sechsunddreißig Stunden darauf die preußischen Spitzen im Orte erschienen seien, da sei ihnen die Sache mit der Niederlage der Preußen nicht mehr ganz geheuer gewesen, die Cavallerie, die zuerst erschienen sei, habe gar nicht das Ansehen von Truppen gehabt, die kurz vorher aufs Haupt geschlagen worden seien, im Gegentheil hätten sie so frisch und wohlgemuth in die Welt gesehen und auf ihren Rossen eine Sicherheit zur Schau getragen, die einen auffallenden Gegensatz gegen die französische Reiterei gebildet habe. Letztere schien es sehr eilig gehabt zu haben, so erzählte mir mein Wirth. Natürlich versäumte ich es nicht, ihn über die wahre Sachlage aufzuklären, daß wir die Sieger und die Franzosen auf dem Rückzuge seien, die Sache schien ihm auch einzuleuchten, trüb schaute er in das Glas, rückte die Mütze von einer Seite des Kopfes auf die andere und sagte mehrere Male. „O armes Frankreich! o Paris! diese verruchte Stadt ist die Ursache all’ unseres Uebels.“

Während einer Gesprächspause klopfte es an die Thüre. Ein Mann, in der Mitte der Dreißiger und in der Uniform der preußischen Oberstabsärzte; das Gesicht von einem Vollbart umsäumt, trat in das Zimmer. Er überreichte dem Besitzer des Hauses ein Quartierbillett lautend auf einen Officier und einen Burschen.

„Das kann nur ein Irrthum sein,“ bemerkte ich, „dieses Haus ist bereits vom Obercommando der II. Armee belegt und außer einem kleinen Wohnraume, in dem sich die Wirthsleute aufhalten sind diese beiden Gemächer die einzige bewohnbare Localität.

„Mir ganz einerlei!“ versetzte der Militärarzt, „ich gehöre zum X. Corps, bin Chefarzt eines Lazareths und habe von unserm Fourier dieses Quartierbillet der Mairie eingehändigt erhalten. Ich bleibe.“

„Es fragt sich nur, wo Sie bleiben,“ war meine Erwiderung, und in dieser lief ein gereizter Ton unter. Ich habe schon früher an einer andern Stelle betont, wie sehr der Krieg dazu angethan sei, jede egoistische Regung im Menschenherzen zu steigern. Namentlich findet das auf Quartiere seine Anwendung. „Ich bin zuerst hierher gekommen, ich werde meine Rechte hier geltend machen,“ erklärte ich.

„Und ich weiche nicht von der Stelle!“ war die Antwort des Arztes. Ich habe nicht Lust, in dem Hundeneste noch eine Stunde nach Quartier umherzulaufen. Wer sind Sie überhaupt, mein Herr? Sie sind Civilist, ich trage Uniform, ich habe hier das Vorrecht. Ich lege Beschlag auf das Bett.“

„Mein ist das Bett und mir gehört es zu!“ rief ich in plötzlicher parodirender Eingebung und stellte mich vor den Eingang des Alkovens.

Es fielen gegenseitig noch einige sehr heftige Redensarten, es war nicht abzusehen, wie der Streit geendet haben würde, wenn nicht plötzlich eine Pause eingetreten wäre und Einer den Andern schärfer in’s Auge gefaßt hätte. Plötzlich ertönten in gleichem Momente von vier Lippen die gegenseitigen Namen, begleitet von einem hellschallenden Gelächter.

„Du bist’s, Du? Aber Mensch, wie kommst Du denn hierher?“ So begegneten sich die Fragen fast in den nämlichen Ausdrücken, begleitet von kräftigem freudigem Händeschütteln. In der Hitze des Gefechts, durch die äußere Veränderung, die mit meinem Gegenüber, wie mit mir von der Zeit vorgenommen worden war, hatten wir uns nicht erkannt, und nun fiel plötzlich der Schleier von unseren Augen. Der jetzige Chefarzt war früher in Berlin Mitglied eines lustigen Kneipkreises, genannt die „Reifenschwinger“, zu dem unter Anderen Hans Wachenhusen, Gustav Rasch, Julius Rodenberg, Georg Hesekiel, Karl Frenzel und auch meine Wenigkeit gehörten. Seit zehn Jahren hatten wir uns aus dem Gesicht verloren, fast gar nichts mehr von einander gehört,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_271.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)