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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

und von da wieder ein gutes Stück nach Süden hinab durchzogen, wir haben Lothringen kennen gelernt, den südlichen Theil der Champagne, wir sind bis an die Grenzen von Burgund gestreift, wir sind in den Kornboden Frankreichs, in die Beauce und das Gatinais eingebrochen, wir haben uns in das Stromgebiet der Loire und des Loiret vorgeschoben, wir haben Bekanntschaft mit dem Lande der französischen Obotriten, mit der Vendée gemacht, es hat uns dann weiter südwärts gezogen in die lachenden Gegenden der Touraine, an die reizenden Loireufer mit ihren alten Renaissanceschlöstern, ihren modernen, graciösen Villas und ihren im Februar veilchenblühenden und -duftenden Auen. Ueberall habe ich mit den Leuten des Landes am Kamine gesessen, habe ihren Pot au feu gehütet, daß die Fleischbrühe nicht überlief; nicht nur einen Scheffel Salz habe ich mit ihnen gegessen, nein, auch so und so viele Cotelettes und Hühner und Kalbsbraten, habe ihren Wein ausgetrunken, in ihren Betten geschlafen, habe sie Napoleon den Dritten und Gambetta verwünschen hören, dabei mir von ihren Familienverhältnissen erzählen lassen und ihnen Vorlesungen über Deutschland gehalten und über das Paradies, welches die Deutschen bewohnen. Also werden mir meine lieben Leser vielleicht zutrauen, daß ich ihnen manches Interessante über Land und Leute in Frankreich erzählen kann. Ich will heute mit der nachfolgenden kleinen Skizze beginnen.

Am 8. August, wo man allgemein glaubte, die Franzosen würden nach den Schlachten von Spichern und bei Weißenburg und Wörth die Saarlinie halten und sich zur entscheidenden Schlacht stellen, überschritten wir die französische Grenze. Die ersten französischen Quartiere sollten wir in Saargemünd beziehen. Dorthin war ich mit der Colonne des Hauptquartiers dem Stabe vorausgegangen. Durch diesen Vorsprung hatte man den Vortheil, sich eines Quartiers nach eigener Wahl zu versichern. Auf der Mairie, oder wie die Baiern sagen Marie, hatten sich im großen Sitzungssaale der Väter der Stadt unsere Quartiermacher installirt und die lebensgroßen Oelbilder Napoleon’s des Dritten und Donna Eugenia’s schauten finster genug auf die preußischen Uniformen herab, welche sich’s in den hohen Lehnstühlen ganz bequem gemacht hatten, ein Quartierbillet nach dem andern in Empfang zu nehmen, und auf die ganz verzweifelte Frage des bereits vor Angst schwitzenden Beamten „Encore?“ mit einem trockenen „Encore“ antworteten. Man ließ mir die Wahl zwischen zwei Billets, bei einem Schlächter und bei zwei Putzmacherinnen. Beim Schlächter, sagte ich mir, die Billets in der Hand abwiegend, bekommst du jedenfalls gute Verpflegung, bei den Putzmacherinnen jedoch ist vielleicht besseres Quartier. Ich gab das Quartierbillet für den Schlächter zurück. Ich fand ein kleines, elegantes Haus, in der ersten Etage kündigte sich das Modemagazin durch eine ausgebaute Glasauslage an. Ich war auf ein paar graciöse Französinnen gefaßt, welche die hohe Schule der Hauben und Hüte und Fichus in Paris absolvirt hatten; das erste lebende Wesen, welches mir aus der Wohnung entgegentrat, war ein kleiner Affenpinscher, der auf die fremde Einquartierung dressirt zu sein schien, denn er bellte mich mit französischer Lebhaftigkeit an; nun trat eine junge Dame aus der Thür, um ihm Ruhe zu gebieten, verschwand jedoch bei meinem Anblick blitzschnell, die Thür hinter sich zuwerfend.

Recht herzlicher Empfang! dachte ich mir, aber vielleicht kommt's noch. Richtig, die Thür that sich auf, drei weiblichen Wesen befand ich mich gegenüber, zwei jüngeren zwischen vierundzwanzig bis dreißig Jahren und einer älteren Frau. Alle drei schienen aus Trauer um das bedrohte Vaterland das Gelübde gethan zu haben, sich vierzehn Tage lang nicht zu waschen, nicht zu kämmen, kattunene Nachtjacken zu tragen und alle unnöthigen Unterröcke auf dem Altare des Vaterlandes niederzulegen; die beiden Jüngeren waren sehr häßlich, die Alte dagegen sogar sehr hübsch, nur weil sie keinen Anspruch darauf machte, es zu sein. Nein, das können meine Quartiergeberinnen nicht sein; jedenfalls hatte ich mich in der Etage geirrt.

„Wo wolle Sie denn hin, Herr?“ frug mich die Alte in deutschem Moseldialect, als ich eine Treppe höher gehen wollte.

„Ich habe ein Billet für die Mesdemoiselles so und so, marchandes de Modes.

„Da sind Sie als recht bei uns, die Mesdemoiselles sind hier mei Töchter, und ich bin die Mutter."

„So – hm – Sie sind die Mutter – hm.“

Gewöhnlich, dachte ich bei mir, pflegen Putzmacherinnen keine Mütter zu haben, aber in diesem Falle, bei diesen Töchtern da schadet’s auch nicht. Es wäre doch besser gewesen, ich hätte das Quartierbillet beim Schlächter behalten. Ich wurde in einen Salon geführt, in welchem Mademoiselle Zoë, die ältere der Töchter und die Seele des Geschäftes, „die das Genie hat“, wie mir die Mutter vertraute, ihren Kundinnen Audienz zu ertheilen pflegte; da waren auf den Tischen Cartons ausgebreitet, da standen ringsum schwarzpolirte Gestelle, auf denen sich einst coquette Hüte graciös gewiegt hatten, nun waren sie leer, nur einige verstaubte Mousselinhauben trauerten mit geknickten Flügeln der früheren Herrlichkeit nach, und die Mutter öffnete verzweiflungsvoll die Cartons, zeigte auf verstaubte Federn, auf verblaßte Blumen, verblichene Blätter, und klagte den Kaiser des Ruins ihres Geschäfts an. Sie hätten gar nichts mehr, und dabei seien die Preise des Fleisches, des Brodes, überhaupt aller Lebensmittel in einer Weise gestiegen, daß sie nicht mehr wüßten, woher sie die Mittel nehmen sollten. Alle Bekannte, von denen sie hätten borgen können, seien aus der Stadt beim Nahen der Preußen geflohen auch ihre Töchter hätten, wie alle Jungfrauen, diese Absicht gehabt, aber das hätten sie nicht nöthig gehabt und dem habe sie sich energisch widersetzt.

„Die Preiße sind doch keine Unmensche, das sind polirte, honette Leut’. Ei, mer kenne sie doch von Saarbrück her, ,ihr thut hier bleibe, ihr faudirt euch nicht` hab' ich zu meine Demoiselles gesagt.“

„Sehr wahr. Ihre Demoiselles werden von den Unsrigen nichts riskiren.“

„Ach, Herr, wenn nur endlich Friede werde thät'! Ob wir Preiße, ob wir Baschkire werde, das ist uns toute la même chose, wenn als nur das Geschäft in eme gute Train geht.“

Die Frau und die Töchter seufzten schon nach Frieden, ehe nur der Krieg angegangen war.

Diese Jeremiade war mein Willkomm in dem Hause. Die Aufregung der Damen legte sich indessen und machte einer höchst freundlichen Stimmung Platz, als ich den Dreien erklärte, daß ich nur ein Zimmer zum Wohnen, ein Bett zum Schlafen, einen Tisch zum Schreiben beanspruchte, allenfalls Morgens Kaffee, den ich ihnen jedoch bezahlen würde, sonst kein Frühstück, kein Diner. Wie glücklich waren sie darüber! Das heiße Dankgefühl ihres Herzens ließen sie an meinen Stiefeln aus. Ich wollte nicht zugeben, daß dieselben Hände, die sonst stur mit Gaze und zarten Blumen hantirten, die Arbeit des Schuhputzens übernähmen. Aber sie machten es wie weiland Nürnbergs Jungfrauen mit Kaiser Maximilian dem Ersten: um ihn an der Abreise zu verhindern, um ihn zu zwingen, während der Fastnacht noch einem Tanze auf dem Rathause in Nürnberg beizuwohnen, nähmen sie ihm heimlich die Stiefel weg. So geschah es auch mir; wenn ich noch schlief, schlich sich die Alte in das Zimmer, holte die Stiefel, und wenn ich erwachte, konnte ich mein verschlafenes Gesicht in ihrem Glanze sich spiegeln lassen. Das rührte mich tief und bezwang zuletzt meinen Unmuth, den ich über mich selbst hatte, daß ich nicht lieber bei den Fleischtöpfen des Schlächters mich niedergelassen hatte, als bei verhungerten Putzmacherinnen.

In Puttlange, was ein alter deutscher Ort ist, genannt Püttlingen, wohnte ich nach Verhältniß des kleinen Ortes recht gut und wurde ebenso gut verpflegt und bedient, jedoch bei wem und von wem? das möchte ich heute noch wissen; das habe ich nicht erfahren können. Das Haus, in das ich eintrat, war bewohnt; überhaupt hatten hier zwischen Saar und Mosel die Leute, zum größten Theile wenigstens, ihre Wohnungen noch nicht verlassen; die Ereignisse rückten ihnen zu schnell auf den Hals. Sie hatten allenfalls nur noch Zeit, ihr Geld und ihr Silberzeug bei Seite zu bringen; aber die Insassen selbst mußten bleiben, und sie erwarteten zitternd die in ihrem Wahne so furchtbaren Feinde. Man sah in den Orten nur ganz alte Leute; alle Bevölkerung unter vierzig Jahren hatte sich „sauvirt“; auch die Frauen, selbst wenn sie das kanonische Alter, das heißt die Vierzig bereits erreicht hatten, hielten ihre Ehre und Tugend dennoch gefährdet; namentlich schienen sämmtliche Kinder ausgestorben zu sein. Kein Wunder auch, unsere Soldaten waren in den Ruf gekommen, daß sie Kinder besonders schmackhaft fänden – die Tollheit war um diese Zeit in einem französischen Gehirne der normale Zustand, und jetzt ist es noch nicht viel besser geworden.

Wie bereits bemerkt, deuteten alle Anzeichen darauf hin, daß

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_270.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)