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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

„Ja, wenigstens ich nenne sie so!“ erklärte Jane, noch mehr gereizt durch diesen Blick, mit hochmüthiger Ueberlegenheit. „Wer, wie ich, an den Ufern des Riesenstromes gelebt hat, wer die Großartigkeit eines Niagara, die Majestät eines Urwaldes kennt, dem können diese deutschen Landschaften doch nur kleinlich erscheinen.“

In dem Gesicht des Professors stieg eine leise Röthe auf, ein Zeichen, daß auch er begann, gereizt zu werden.

„Wenn Sie es nach den großen Räumen messen – ja, Miß Forest. Wir pflegen einen anderen Maßstab anzulegen, der Ihnen vielleicht auch kleinlich vorkommt; ich versichere Ihnen aber, daß uns danach Ihre Landschaften unendlich leer und öde, daß sie uns völlig todt erscheinen würden.“

„Wirklich? Wissen Sie das so genau?“

„Allerdings!“

„Ich bewundere Sie aufrichtig, Mr. Fernow,“ sagte Jane mit beißender Ironie, „daß Sie ohne eigene Anschauung ein so begründetes Urtheil zu geben vermögen. Sie scheinen unsern Mississippi für eine Wüste zu halten und sollten doch mindestens aus Ihren Büchern wissen, daß das Leben, das sich dort regt, unendlich zahlreicher und großartiger ist, als hier an Ihrem Rheinstrom.“

„Ein Alltagsleben!“ rief der Professor immer erregter werdend, „ein Ameisenarbeiten, im rastlosen Ringen immer nur auf den Erwerb, auf den Augenblick gerichtet! Ihr Riesenstrom, Miß Forest, mit allen seinen tausend Dampfern und Booten, mit seinen volkreichen Städten und üppigen Ufern kann Ihnen doch niemals geben, was die kleinste Welle des Rheines uns entgegenrauscht, den Zauber der Vergangenheit, die Geschichte von Völkern, die Poesie von Jahrhunderten. Uns,“ hier fiel Fernow urplötzlich und unbewußt aus dem Englisch, in dem er bisher mit ihr gesprochen, in’s Deutsche, „uns weht und klingt das in tausend Sagen und Liedern aus jedem Waldesrauschen, aus jedem Felsgestein, uns schweben und steigen die mächtigen Gestalten der Vergangenheit nieder von den Burgen, erstehen in den Städten die alten Geschlechter mit ihrer versunkenen Macht und Herrlichkeit, ragen in den Domen die Denkmale unvergänglicher Pracht und Größe zum Himmel empor, uns winkt und lockt die Loreley hinab in die grünen Wogen, uns funkelt und glänzt tief unten in ihrem Grunde der Nibelungenhort – das Alles lebt und rauscht uns in den Wellen unseres Rheines, Miß Forest, und das freilich – kann er einer Fremden nicht sagen.“

Jane hatte anfangs mit Verwunderung, dann mit Staunen, zuletzt in förmlicher Bestürzung zugehört. Was war denn auf einmal mit diesem Manne vorgegangen? Er stand vor ihr, hoch aufgerichtet, das Antlitz überstrahlt von einer leidenschaftlichen Gluth, das Auge flammend in hinreißender Begeisterung, und dazu der machtvolle Klang dieser Stimme, das Feuer dieser Rede, wo sich Wort an Wort, Bild an Bild drängte – es war ihr, als sei auch hier ein Nebelschleier zerrissen, und sie thue einen Blick hinaus in die goldumstrahlte lichte Ferne. Die Hülle sank plötzlich von der bleichen Leidensgestalt, und ein lang Gebanntes trat heraus in seinem wahren Lichte. – Aber Jane Forest war nicht Weib genug, diesem seltsamen Zauber mehr als minutenlang zu unterliegen, und sich nicht sofort mit aller Kraft dagegen zu erheben; es wallte bereits in ihr auf, heiß und feindselig, der ganze Stolz und Trotz ihrer Natur empörte sich gegen diese Macht, der sie sich einige Secunden lang willenlos gebeugt, gegen diesen Bann, der sie so beängstigend umstrickt hielt. Sie mußte ihn zerreißen, koste es, was es wolle, und rasch entschlossen griff sie nach der ersten Waffe, die ihr zu Gebote stand, griff sie zum herbsten Spott.

„Ich wußte nicht, daß Sie Dichter sind, Mr. Fernow!“

Der Professor zuckte zusammen, als habe ein schneidender Mißton ihn berührt; der Schimmer in seinem Antlitz erlosch, sein Auge sank zu Boden.

„Ein Dichter! Ich?“ sagte er leise mit halberstickter Stimme.

„Nun, was Sie eben sprachen, klang doch nicht wie Prosa.“

Fernow athmete tief auf und fuhr sich mit der Hand über die Stirn.

„Ich bitte um Verzeihung, Miß Forest, Sie mit dieser Poesie gelangweilt zu haben. Schreiben Sie es meiner Unbekanntschaft mit den Gesellschaftsregeln zu, deren erste ja wohl ist, daß man mit einer Dame nicht von etwas sprechen darf, wofür sie nicht empfänglich ist.“

Jane biß sich auf die Lippen. Dieser „gelehrte Pedant“, wie sie ihn noch heute Morgen genannt, entwickelte sich immer seltsamer: in einem Augenblick poetisch, konnte er im nächsten schon beißend sein; aber gleichviel, diesem Tone war sie besser gewachsen, da konnte sie ihm gleich auf gleich begegnen! Die junge Dame übersah in ihrem Aerger völlig die tiefe und qualvolle Erregung, die den Professor allein zu dieser ihm sonst ganz fremden Bitterkeit aufstachelte, und sie ließ es an dem Stachel nicht fehlen. Jane konnte bereits nicht mehr auf das, wie sie doch wußte, gefährliche Vergnügen verzichten, aus der ruhig träumenden Oberfläche dieses Mannes jene blitzartigen Erregungen hervorzurufen, die eine ihm vielleicht selbst unbewußte leidenschaftliche Tiefe verriethen. Sie fühlte, daß er nur in Augenblicken höchster Begeisterung oder höchster Gereiztheit dessen fähig war, und da es nicht in ihrer Macht stand, ihn zu begeistern, nun, so reizte sie ihn dafür.

„Ich bewundere um so mehr, Mr. Fernow, daß Sie sich diese Empfänglichkeit so außerordentlich bewahrt haben, aber freilich, im Träumen und Dichten waren uns die Deutschen stets voraus!“

„In zwei Dingen, die unendlich tief in Ihrer Achtung stehen.“

„Wenigstens bin ich der Meinung, daß der Mann zu Thaten und nicht zum Träumen geschaffen ist! Das Dichten ist ja nur thatenloses Träumen!“

„Und folglich verachten Sie es?“

„Ja!“ Jane war sich vollkommen der Härte bewußt, mit der sie dies schroffe Ja aussprach, aber sie war herausgefordert worden, sie wollte jetzt verletzen, und es schien in der That, als gelänge ihr das. Auf der Stirn Fernow’s brannte eine dunkle Röthe; seltsam – er hatte es so ruhig hingenommen, als sie versuchte, seine Wissenschaft herabzusetzen, ihren Angriff auf das Dichten ertrug er nicht.

(Fortsetzung folgt.)




Frühlingslust.
Von Fr. Rückert.

Der Frühling lacht von grünen Höh’n,
      Es steht vor ihm die Welt so schön,
      Als seien eines Dichters Träume
      Getreten sichtbar in die Räume.

Wann schöpferisch aus Morgenduft
      Der Sonne Strahl die Wesen ruft,
      Kehrt jedes Herz sich, jede Blume
      Empor zum lichten Heiligthume.

Der Frühling giebt im Walde Tanz,
      Und alle Blumen nah’n im Glanz,
      Wo Mädchen vorzustellen haben
      Die Rosen, und Jasmine Knaben.

Des Paradieses Pforten sind
      Nun aufgethan im Morgenwind,
      Und auf die Erde strömt vom Osten
      Der Duft, den sonst die Sel’gen kosten.

Nun lebt, berührt vom Liebeshauch,
      Das Leben neu, und Todtes auch;
      Der starre Fels vor Sehnsucht bebet,
      Bis auch ein Epheu ihn umwebet.

O Frühlingsodem, Liebeslust,
      O Glück der felsentreuen Brust,
      Die ein Geliebtes an sich drücket,
      Das dankbar sie mit Kränzen schmücket!


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_266.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2017)