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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


sagen, „daß ich Dir den Blimelblamel geglaubt hab’, den Du mir selbiges Mal vorgemacht hast! Ich hab’ mir gleich denkt, was das für eine Waar’ sein wird, die Du aus Tirol herausgeschwärzt hast – ein Wildschütz bist, ein nixnutziger, und wenn Du noch eine Viertelstund’ länger in meiner Hütten geblieben wärst, hätt’ Dich der Jäger erwischt.“

„Ich weiß wohl,“ erwiderte der Zerlumpte, und die Base fuhr beim ersten Laute seiner Stimme zusammen, wie wenn ein Donner ihr Ohr berührt hätte. Die Hand, die sie nach dem Kruge erhob, sank wie blitzgetroffen vom Henkel zurück, und halbgewendet starrte sie weitgeöffneten Auges den Wilddieb an, dessen Gesicht nur seitwärts und auch da nur halb zu sehen war, weil er es in der aufgestemmten Hand verbarg. „Ich hab’s wohl gemerkt, daß Du mich gern hast durchrutschen lassen und daß Du halt ein braver Kerl bist, der nur mir so in der Gutheit durchg’holfen hat – das vergess’ ich Dir niemals, und weil ich Dir’s durch nix Ander’s zeigen kann als durch’s Danken, so hab’ ich Dich angered’t, wie ich Dir vorhin begegnet bin, damit ich Dir’s wenigstens nochmal hab’ sagen können, wenn ich auch ein alter Lump bin und dem, den ich anred’, schier eine Schand’ anthu’!“

„Verdächtig siehst freilich uns,“ sagte Martl mit einem Seitenblicke auf den Mann; „aber wenn Du schon ein Lump bist, mußt denn nachher auch ein Lump bleiben?“

„Wird schon so sein müssen,“ entgegnete der Mann finster; „ich denk’, es ist einem Jeden aufgesetzt, wie’s ihm gehn soll in seinem Leben. Das ist, wie wenn man in ein Moos hineinfallt; da verschwind’t Einem der Boden unter’n Füßen, und je mehr man sich abarbeitet, um herauszukommen, um so tiefer sinkt man hinein, bis Einem der Morast zusammenschlägt über’m Kopf … meinetwegen,“ fuhr er fort, indem er den Krug gierig faßte wie Einer, der sich zu betäuben im Sinne hat. „Einmal muß ein End’ hergehn – bei mir wird’s bald so weit sein!“

„Was thust nachher in München?“ fragte Martl. „Bist nit in Tirol daheim?“

„Ich bin gar nirgends daheim – ich darf mich nirgends mehr recht sehn lassen! Aber nach München bin ich herein, weil ich ’denkt hab’, ich könnt’ vielleicht ein Platzl finden – aber es ist nix; es will halt nit sein, daß ich ein Glück hab’.“

„Du bist ein narrischer Kund’,“ sagte Martl theilnehmend. „Du kommst mir vor wie ein rechter Hallodri, und nachher ist doch wieder was in Deiner Art, daß ich mein’, es könnt’ noch nit ganz und gar gefehlt sein mit Dir … Wie ist’s denn nachher kommen, daß Du so hast werden müssen?“

„Wie ich so worden bin?“ sagte der Mann vor sich hin, als müßte er sich selbst erst darauf besinnen. „Das weiß ich schier selber nimmer. Ich kann’s nit sag’n – das ist, wie wenn Du eine Schüssel in’ Regen hinstellst: es fällt nur Tropfen für Tropfen hinein, und doch wird sie nach und nach voll und läuft über; oder wie wenn in einem G’wand ein Fädel reißt: das giebt erst nur ein kleines Löch’l, auf das man nit acht’t; bald aber wird’s größer, bis zuletzt die Fetzen herunterhängen … Man merkt’s anfangs gar nit, wenn’s bergab geht mit Einem; man hat wohl gar noch seine Freud’ daran, daß’s so gar lüftig dahingeht, bis man nachher in’s Fallen kommt, in’s Kugeln und Stürzen – da möcht’ man freilich anhalten, aber da hilft kein Besinnen mehr; und so ist’s besser, man schlagt sich gleich Alles aus’m Sinn und purzelt freiwillig kopfüber, kopfunter … Freilich,“ fuhr er nach einer Weile in einem Tone fort, der fast wie Rührung klang, „wenn man mich in meiner Jugend gefragt hätt’, hätt’ ich auch nit geglaubt, daß’s so weit mit mir kommen müßt’ … vielleicht hätt’ es auch nit so kommen müssen, aber ich hab’ halt kein Glück! Ich bin auch einmal ein junger Bursch gewesen, frisch und gesund und alert wie Du – Mein Unglück ist ein Madel gewesen; das will ich Dir erzählen, damit Du Dir’s merkst, damit Du nit auch so hineintappst … sie war eine reiche Bauerntochter, und ich bin nix als ein armer Jagdgehülf’.“

„Was Du mir da sagst!“ rief Martl mit eigenthümlicher Betonung. „Ich glaub’, ich kenn’ mich schon aus in der Geschicht’; aber erzähl’ nur zu – sie war reich und Du arm; ja, ja, das thut niemals nit gut. Sie ist wohl stolz und hoffärtig gewesen gegen Dich?“

„Nein,“ sagte der Alte kopfschüttelnd; „das Madel war gut und lieb und hat mich gern gehabt für sein Leben, und wie ich ihr mein Lieb’ gestanden hab’, hat sie das schlechte silberne Ring’l, das Einzige, was ich ihr hab’ geben können, angenommen und hat’s ’küßt, wie wenn’s das kostbarste Geschmeid’ wär’ … sie hätt’ wohl auch nit von mir gelassen; aber ihre Leut’ haben’s nit zugeben! Sie haben s’ gemartert bis auf’s Blut, mir aber haben s’ mit’m Erschießen gedroht, und weil mich das nit erschreckt hat, haben s’ mich beim Förster verklamperlt, daß er mich fortgeschickt hat und hat gemacht, daß mich kein Forstner in der Gegend mehr angenommen hat. Da bin ich eine Zeitlang herumgestrichen in der Irr’ voll Aerger und Verdruß, bis das Gerstel verklopft war, das ich mir zuvor zusammengehaust hab’ – und wie ich nix mehr gleich gesehn hab’, hab’ ich auch keinen mehr gefunden … Da ist das Schwärzen und ’s Wildschießen noch das einzige Geschäft gewesen, das mir frei war und bei dem sich wenigstens das Maul hat fortbringen lassen – so hab’ ich halt zu’griffen; es ist mir ja sonst auch nix Ander’s übrig geblieben.“

Martl erwiderte nichts; das Schicksal des Alten gab ihm überraschend viel zu denken und zu vergleichen.

„Bin mit allerhand Leuten in der Welt herumgefahren,“ begann der Alte wieder, „und jetzt, wie ich wieder in die Gegend gekommen bin, da hat’s geheißen, in München wär’ ein reicher Graf, der hätt’ große Güter in Ungarn oder gar in der Walachei und braucht tüchtige Jäger und Förster – da hab’ ich gemeint, so weit weg thät’ man’s vielleicht nit so genau nehmen und nit so viel nach der Kundschaft und nach’m Testimoni fragen; ich hab’s probiren wollen, ob ich nit wieder ein ehrlicher Kerl werden könnt’, wie ich einmal einer gewesen bin, aber mein Unstern will’s halt nit haben. Ich hab’ das Palais richtig gefunden, wo der Graf logirt, es ist auch Alles wahr gewesen, wie man mir’s gesagt hat; aber der Graf ist schon fortgereist nach Wien, und wenn ich aufgenommen werden wollte, so hat’s geheißen, müßt’ ich ihm halt nach Wien nachreisen. Wie soll ich armer Teufel das machen? Morgen geht freilich am Grünen Baum der Ordinarifloß hinunter – aber wenn ich mich auch zum Rudern verdingen wollt’, damit ich die freie Fahrt hätt’, was sollt ich drunten in Wien anfangen ohne einen Kreuzer Geld und in dem Aufzug? Sie thäten mich für einen Bettelmann halten oder gar für –“

„Sonst ist’s nix?“ rief Martl fröhlich. „No, wenn’s Dir blos da fehlt, Alter, da ist Dir g’holfen – ich hab’ freilich nit so viel bei mir; aber der Floßer-Martl von Länggries, der hat schon so viel Credit! Komm wieder daher, wenn das Pferd’rennen vorbei ist – ich will derweil’ schaun, daß ich so viel zusammenbring, als Du brauchst zu der Wienerreis’ und zu einer Ausstaffirung!“

Dem alten Jäger war es, als ob er plötzlich aus einem bösen Traume erwachte; er wußte sich in die Wirklichkeit nicht zu finden. „Wie? was?“ rief er lachend, während ihm zugleich ein paar dicke Thränen in den grauen Karl kugelten. „Mir sollt’ wirklich noch geholfen werden? Es giebt wirklich noch Jemand auf der weiten Gotteswelt, der sich um mich alten Kerl annimmt? Und Du wolltest es thun, der selber nichts hat, als was er mit seiner schweren Arbeit verdient?!“

Ein Kanonenschuß, der aus dem Wäldchen unweit der Schenke aus den Geschützen der dort aufgestellten Bürgerartillerie erdröhnte, unterbrach die Unterhaltung und verkündete, daß der König, dem das Fest gegeben wurde, sich von der Tafel erhoben und die Residenz verlassen habe. Einige Bergschützen kamen eilig heran, den Hauptmann zu rufen; sie mahnten, es sei hohe Zeit, sich aufzustellen; Martl hatte nur noch Zeit, flüchtig seine Zusage zu wiederholen, und eilte hinweg.

In dem Reden und Drängen hatte kein Mensch beachtet, daß auch die alte Base sich stillschweigend erhoben und davon gemacht hatte, nachdem sie zuvor einen Augenblick an dem Hute des Jägers herumgenestelt. Dieser blieb eine geraume Weile allein; er stützte den Kopf in beide Hände, wie um sich durch Nachsinnen zu überzeugen, daß, was er gehört, nicht Spott und Scherz war, daß wirklich Jemand noch an ihm Antheil nahm, daß am späten Abend seines Lebens noch das Gewölk sich zertheilen und die Sonne durchbrechen lassen wolle. Dann sprang er hastig auf und griff nach seinem Hute, zog aber rasch die Hand wieder zurück; denn der leichte Filz war plötzlich schwer geworden, und als er näher zuschauend die ungewohnte Last untersuchte und das im Hute befindliche Päckchen behutsam öffnete, blinkte ihm ein stattliches Häufchen Kronenthaler entgegen – er hielt mit ihnen die sichere Erfüllung seiner Lebenshoffnung in der Hand. „Ja, wie ist denn

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