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verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


rothen, langen Schlafrock, der den Hermelin des Kaisers ersetzte, thronte Follenius vor mir auf einem kleinen Sopha, das kahle Haupt mit einer leichten, großbeschirmten Mütze von weißem Pferdehaar bedeckt. (Bei feierlichen Gelegenheiten zierte ihn ein schwarzer, altdeutscher Rock und statt der Krone ein Sammetkäppchen, das die geistreichen Züge trefflich gab.) Um seinen Mund spielte die leichtgekrümmte, nach beiden Seiten herabgezogene Halbmondlinie, die uns in der Regel die Launen eines unumschränkten Gebieters ankündet, besonders wenn, wie hier, eine scharfgebogene, hochbewurzelte Römernase darüber thront. Zu deren Seiten blitzten zwei große, blaue Augen, die einen Himmel und eine Hölle bargen. Ueber ihnen wölbten sich kühn die blonden, buschigen Augenbrauen und eine schmale, aber hohe und glücklich gewölbte Stirn vollendete nach oben, ein markiges, vorstehendes Kinn nach unten, das Antlitz. Im wohlthuenden Contraste prangte über ihm in Lebensgröße ein wunderholdes Frauenbild, voll inniger Sanftmuth und Milde in allen seinen edeln Zügen: sein verstorbenes Weib, die Tochter eines reichen Landmüllers, in ihren ledigen Jahren nach der militärischen Rangstufe ihres Vaters und nach der Titelsucht jener Gegenden überhaupt mit dem seltsamen Titel einer „Jungfer Lütenant“ beglückt.


Das Schlößli zu Beromünster – die erste Buchdruckerei in der Schweiz.


Der deutsche Kaiser, wie wir nun den alten, wohlbekannten Burschenschafter nennen wollen, konnte der gemüthlichste und unterhaltendste Mensch von der Welt sein. Einen Schatz geistiger Perlen nach dem anderen holte er, halbe Nächte lang, aus der tiefsten Tiefe seiner Seele herauf. Sprudelnder Humor, von den hellsten Funken durchwirkt, zog Jeden unwiderstehlich zu dem „Tyrannen“ hin. Er war die Liebe, die hingebende Freundschaft selbst, glücklich, überschwenglich, begeistert bei jeder neuen, einigermaßen ansprechenden Bekanntschaft. Allein, handkehrum, das Gegentheil, dann rollte der Donner seines Zornes fürchterlich durch die Hallen der Burg. Die blauen Augen schossen wie Blitze hernieder, die Fäuste ballten sich. Das blaurothe Schnupftuch – nebst der Schnupftabaksdose sein steter Begleiter – „flatterte im Winde“ und seine sonst so hochpoetische Sprache verwandelte sich in ein prasselnd Hagelwetter.

Er haßte den Weihrauch im Allgemeinen, der specielle that ihm wohl. Er duldete nicht gern Widerspruch, desto kräftiger opponirte er. Er zog an, wie der stärkste Magnet, stieß aber auch ab, wie der gleichnamige Pol. Seine Freunde gewann er mit der Schnelle des Sturmes, um sie mit der des Blitzes zu verlieren. Er achtete keine Kritik, er selbst war der ausgezeichnetste Kritikus. Arm, mit dem Buche in der Hand, als „fahrender Schüler“, direct aus der berüchtigten Berliner Hausvogtei, hat er, spazieren gehend, die Schweiz betreten. Arm, nur noch von Büchern und den Ueberresten eines beträchtlichen Heirathsgutes umgeben, starb er, im Kreise seiner Kinder, zu Bern, nachdem er seine geliebte „Herrschaft“ Liebenfels – wie er sie so gern schrieb und mit einem alten Petschafte aufmerksamst besiegelte (zum Aerger geborener Junker) – wohlfeil verkauft hatte. So ging der letzte, nun der vorletzte, deutsche Kaiser, August Adolph, der Gelehrte, ein zu seinen Vätern und zu den Ruhmeshallen Walhallas.

So oft ich die alten, grauen, damals so gastlichen Zinnen dieser Kaiserburg erblicke vom blauen Bodensee herauf, beim wunderschönen Dörflein Mammern, wie sie so hoch über die dunkelgrünen Tannenwipfel dem deutschen Ufer jenseits des schwäbischen Meeres ihren ehrwürdigen Gruß vermelden, so muß ich immer und immer wieder des alten wunderbaren Mannes und seiner treuen Kinder freundlich und dankbar gedenken, die dort manch deutsches Herz erquickten und manch armem Teufel von Flüchtling ein tröstend Wort, ein gastlich Obdach boten. Begraben aber liegt dieser deutsche Kaiser auf dem wunderschönen Friedhofe der Schweizer Bundesstadt, prachtvoll umstrahlt von dem Silber- und Diamantenglanze einer zauberischen Alpenwelt. –

Es war um das Jahr 1386, vor fünfhundert Jahren. Die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1871, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_253.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)