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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Im Umsehen war mir meine Baarschaft von sechsunddreißig Thalern geraubt, meine schöne goldene Uhr, mein Album, das ich für Euch zum Andenken bestimmt hatte, und das mit Ansichten hervorragender Gebäude aller der Städte geschmückt war, die ich in diesem Feldzuge gesehen, und was mich am meisten schmerzte, das prachtvolle goldene Bandelier, das mir mein Regiments-Commandeur als Andenken an Artenay auf dem Schlachtfelde geschenkt hatte. Als in meinen Taschen nichts mehr zu finden war, riß man mir die Kleider vom Leibe, bis ich buchstäblich im bloßen Hemde dastand. In diesem Aufzuge führte man mich barfuß durch die Stadt, der Pöbel bewarf mich mit Steinen und Unrath aller Art, und unter wahnsinnigem Geschrei „Prussien caput“ wurde ich außerhalb der Stadt an einen Pfahl gebunden. Man schlang mir einen Strick um den Hals, umwickelte meine Arme und Beine mit Binden, und die Rotte schritt dazu, ihrer Grausamkeit ein Ende zu machen. Sechs Mann stellten sich mir gegen über auf und unter betäubendem Geheule der entmenschten Zuschauer legten sie ihre Gewehre an. Da, in dem Augenblicke, als ich meine Seele Gott empfahl und Euer, wie ich glaubte, mit inniger Liebe zum letzten Male gedachte, Euch von Herzen beklagte, daß nun auch Euer zweiter Sohn sein Leben lassen müsse für seinen König, da sprang ein Officier herbei, der seitwärts hinter einer Hecke gestanden hatte, stellte sich vor mich hin, und soviel ich aus seiner schnell gesprochenen Anrede verstand, protestirte er energisch gegen meinen Tod, den ich als Kriegsgefangener nicht verdient hätte. Wie ich später erfuhr, war dieser edle Mann ein preußischer Pole, der 1848 sein Vaterland verlassen hatte und in französische Dienste getreten war. Seinen Namen habe ich leider nicht behalten können, doch das Andenken an ihn werde ich hoch und heilig halten. Mein Retter hatte nicht umsonst gesprochen. Man band mich vom Pfahl los, warf mir ein Paar alte leinene Hosen zu, gab mir ein Paar Holzschuhe und führte mich nach der Stadt zurück, wo man mir einen tiefen, stockfinstern Keller zum Aufenthalt anwies. Nach einer halben Stunde kamen zwei Männer zu mir, die mir beide Hände mit eisernen Fesseln zusammenbanden und mich wieder meinem Schicksal überließen. In dieser Einsamkeit brachte ich schreckliche Stunden zu. Ich habe dem Tode oft in’s Auge gesehen, er hat mich in der Schlacht nicht geschreckt, aber unter der Erde in trostloser Oede sterben zu sollen, das war mehr, als ich mit Gleichmuth ertragen konnte. Endlich nach wohl fünf bis sechs Stunden, die ich ohne Wasser und Brod, vor Kälte zitternd, in der Eisesluft des Kellers zugebracht hatte, that sich wieder die Thür auf und ich blieb nicht mehr allein.

Ein Camerad vom sechsten Kürassierregiment, Klauck mit Namen, theilte mein Schicksal. Ehe wieder eine Stunde verflossen war, wurden wir an das Tageslicht geholt. Man legte uns eiserne Klammern um den Arm, die mit einer etwa acht Zoll langen Kette verbunden waren, und so aneinander gefesselt, ohne weitere Kleider in kalter, nasser Witterung wurden wir nach Chateaudun getrieben, wo wir ebenfalls einen Keller als Nachtlager angewiesen erhielten.

Die Ketten nahm man uns nicht ab, nicht einen Augenblick, hier nicht, wie auf dem ganzen langen Marsch, der uns noch bevorstand. Nicht lange waren wir in diesem Nachtlager angekommen, als man uns herauszukommen befahl, da General Garibaldi uns verhören wolle. Wir wurden vor einen Mann geführt, der über dem linken Auge einen schwarzen Flor trug und ziemlich gut deutsch sprach. Er befragte uns über die Zahl und Stärke der ihm gegenüberstehenden Armee, Fragen, die wir nur sehr unvollständig beantworteten, und wollte namentlich bestimmte Auskunft von uns darüber haben, ob die Armee des Prinzen Friedrich Karl zu unseren Truppen gestoßen sei. Diese Frage beantworteten wir mit aller Bestimmtheit bejahend, er bezweifelte aber immer noch und erklärte uns mit dem allergemüthlichsten Tone, daß wir erschossen werden würden, wenn wir gelogen haben sollten. Einer seiner Begleiter, der mir als Sohn Garibaldis bezeichnet wurde, sagte mir, er habe mit unseren Officieren in Alençon Billard gespielt, ohne erkannt worden zu sein, worauf er sich viel zu Gute zu thun schien. Der alte Herr, ob Garibaldi oder nicht, das weiß ich nicht, war trotz seiner Kürze und Entschiedenheit nicht unfreundlich; das gab mir Muth, mich über die mir widerfahrene Behandlung zu beklagen und ihn zu bitten, dafür zu sorgen, daß ich meine Kleider und mein Eigenthum wieder erhalte.

Garibaldi, so will ich den alten Herrn nennen, antwortete nicht gleich, dagegen ergriff ein anderer seiner Begleiter das Wort und erklärte kurz und bündig, mein Eigenthum sei rechtmäßige Beute der Franctireurs. Ich glaubte auf diese Aeußerung eine unwillige Miene an Garibaldi zu bemerken, der bald darauf mir sagte, er werde sehen, was sich meiner Kleider wegen thun ließe.

Nicht lange nachher konnte ich meinen Attila wieder anziehen, die Mütze aufsetzen und mich in meinen Mantel hüllen. Gott segne es dem alten Herrn. Meine Werthsachen blieben in den Händen der Räuber. Man führte uns wieder in den Keller zurück, wo wir bis zum andern Morgen ruhten. Schlaf kam nicht in unsere Augen; wir hatten beständig an unserem Armringe hin und her zu drehen, weil wir nur dadurch unsere unsäglichen Schmerzen lindern konnten.

Am andern Tage führte man uns nach Vendôme und sperrte uns, Abends 9 Uhr dort angekommen, natürlich immer an einander gekettet, in einen Verschlag, der sich in nichts von einem Schweinestall unterschied, aber doch nicht so wohnlich eingerichtet war, da er uns statt der Streu nur die blanke Diele als Lager bot. Wir erhielten Reis in warmem Wasser und ein winziges Stück Fleisch; unterwegs hat man uns nur Brod gereicht. Von Vendôme ging unser Weg nach Tours, wo wir gegen 6 Uhr Nachmittags vor der Präfectur anlangten. Nachdem unser National aufgenommen worden war, wurden wir in das Gefängniß geführt, um wenigstens auf einer Matratze unsere müden, zerschlagenen Glieder ausstrecken zu können. Ich sage „zerschlagen“: denn mit Wunden, die uns mit Steinen, Stöcken und Messern zugefügt worden waren, von Koth starrend, mit dem uns hoher und niederer Pöbel aller Orten beworfen hatte, glichen wir kaum noch menschlichen Wesen. Dazu der ewige Druck des Armringes, das uns als Cavalleristen ungewohnte angestrengte Marschiren in plumpen Holzschuhen, die Aussicht, fort und fort Mißhandlungen ausgesetzt zu sein, Hunger leidend und Durst, es war fast zum Verzweifeln! Aber ganz so trostlos sollte unsere Lage doch nicht bleiben.

Ein Officier der päpstlichen Leibgarde, Franzose von Geburt, besuchte uns, schenkte jedem von uns einen Frank und ließ eine Flasche Wein holen, die er mit uns austrank. Mit freundlichen Worten schied er von uns, uns von Herzen beklagend, der brutalsten Behandlung ausgesetzt gewesen zu sein.

Am andern Morgen wurden wir früh aus dem Gefängniß geholt und zwei Minuten später saßen wir in Begleitung eines Gensdarmen auf einem Wagen, der uns nach Nantes brachte. Die Mißhandlungen seitens des Pöbels wollten kein Ende nehmen. Mit Furcht und Zagen sahen wir jedem Dorfe entgegen. Ich habe nur einmal gezittert, vor dem ersten Gefecht, später nicht mehr. Aber geschlossen in Eisen, wehrlos einem wüthenden Menschenhaufen gegenüber, gefoltert von unerhörten Schmerzen in meinem, wie Ihr wißt, sehr umfangreichen Arm, für den französisches Maß zu klein war, habe ich gebebt vor Furcht und Schmerz und Zorn und gern hätte ich in jedem Dorfe mein Leben hingegeben für einen guten Säbel und eine Minute Freiheit! In Nantes endlich war die Stunde der schwersten Prüfung überstanden. Wir wurden im Gefängniß abgeliefert, bekamen etwas Essen und wurden vom evangelischen Prediger besucht, der in freundlicher Weise uns Schreibmaterial anbot und uns versprach, unsere Briefe getreulich zu besorgen. Er hat Wort gehalten, der brave Mann, wie ich aus Eurem lieben Schreiben ersehen konnte. In Nantes trafen wir zahlreiche Gesellschaft. Zwei Züge vom vierten Ulanen-Regiment waren in der Nacht gefangen eingebracht worden. Sie hatten alle ihre Werthsachen bei sich, da sie in die Hände von regulären Truppen gefallen waren, aber ihre Freude darüber sollte nur von kurzer Dauer sein. Vor ihrem Weitertransport wurden sie untersucht, alles dessen beraubt, was aus Frankreich zu stammen schien, und wie sich von selbst versteht, wurde Alles, was sie bei sich trugen, unzweifelhaft als französisches Eigenthum anerkannt. Arm wie Hiob gingen auch sie aus Nantes, aber sie hatten doch Stiefeln und sahen stattlich aus gegen uns Reiter mit Holzschuhen.

Nach abermals einer bösen Nacht ging es auf der Eisenbahn nach Vannes. Beim Anhalten des Zuges wurden ich und mein unzertrennlicher Gefährte aus dem Wagen herausgerufen, drei Gensdarmen nahmen uns in Empfang und zurück ging es wieder nach Tours. Unsere Begleiter kannten nicht den Zweck unserer Rückreise, wir aber wußten, daß wir wieder einmal dicht beim Galgen vorbei laufen sollten. Garibaldi hatte uns holen lassen, um uns zu sagen, daß wir ihm hinsichtlich des Anmarsches der Metzer Armee die Wahrheit mitgetheilt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_249.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)