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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


den eigenen Gedanken und Empfindungen so viel zu thun, daß sie ein Gespräch darüber wie eine Störung fürchtete.

Zehnmal hatte Stasi sich am Fenster zu schaffen gemacht oder war unter die Thüre getreten, wie wenn sie nach dem Wetter aufsehen wollte, obwohl der Himmel so klar und heiter blaute, daß auf lange Zeit hinaus ein Umschlag nicht zu befürchten war. Endlich rollte das ersehnte Fuhrwerk aus dem Gebüsche beim Kramerhause hervor. Stasi sah es vom Fenster aus und konnte nicht begreifen, warum es gar so langsam damit vorwärts ging; wie eine Schnecke kroch das Wägelchen den Hang herauf; es schien ihr eine Ewigkeit zu dauern, bis es vor der Thür hielt, und der Vater, dem Knechte Zügel und Peitsche zuwerfend, von demselben herunterstieg. Die Schwester empfing den Ankommenden, dessen geröthetes Angesicht verrieth, daß er beim Scheibenschießen auch nicht müßig gewesen und sich statt mit der Büchse tüchtig mit Krug oder Flasche zu schaffen gemacht hatte. Er hatte jenen Grad künstlicher Heiterkeit erklommen, bei welchem die Herrschaft über Gedanken und Glieder zwar noch nicht verloren, der Zügel Beider aber locker geworden, und das Gespann im Begriffe ist, durchgehend dem Zurufe des Lenkers nicht mehr zu gehorchen. Stasi vermochte nicht, ihm entgegenzugehen; so sehr sie den Tag über sich nach dem Augenblicke gesehnt hatte, der die Entscheidung bringen mußte, von der ihr weiteres Thun und Lassen abhing, fühlte sie sich doch im Momente selbst von einem unerklärlichen Bangen erfaßt und suchte die Entscheidung noch um eines Pulsschlags Dauer zu verzögern. Sie sollte indeß so bald nicht erfahren, was sie wissen wollte; denn der Vater war so sehr mit den Erinnerungen an die genossenen Freuden beschäftigt, daß er vor Lachen und Plaudern nicht dazu kam, das Erlebte zusammenhängend zu erzählen. „Schön ist’s gewesen,“ rief er und schlug auf den Tisch, daß die Stube dröhnte. „Die Musikanten haben aufgerebellt, daß es nur so gehallt hat! Kaum haben s’ einen Punktschützen angeblasen gehabt, hat schon wieder ein Anderer die Maschin’ aufgeweckt; das Burschet (die Burschenschaft) hat geschossen, daß ’s eine wahre Freud’ ist! Kreuzbirnbaum und Hollerstaud’n – heut’ wann’s den Tirolern wieder einfallen thät’, zu uns hereinzukommen, die thäten sich wundern, wie wir ihnen auf’n Pelz brennen wollten! Die Zieler und die Böller und die Musikanten sind den ganzen Tag nicht zur Ruh’ ’kommen – kannst Dich’s reuen lassen, Stasi, daß Du nit mitgegangen bist – Du hätt’st Dich gewiß auch gut unterhalten.“

„Das glaub’ ich nit,“ sagte Stasi. „Ich kann das Gepulver und Geknall nit leiden. Hat’s denn sonst nix Merkwürdig’s ’geben?“ setzte sie mit Betonung hinzu, um den Vater auf den Punkt zu lenken, den er wie absichtlich zu übergehen schien.

„O, noch genug hat’s ’geben,“ rief der Vater wieder. „Laßt mich nur erst in’s Erzählen recht ’neinkommen! An dem Einen End’, da haben die Kramer ihre Stand’ln aufgeschlagen gehabt, am andern End’ war der Bräu von Hohenburg mit seiner Schenk’, und zu’gangen ist’s wie auf’m Kirta! Da haben’s Cithern geschlag’n und gesungen – die allerschönsten Gesangeln und Schnaderhüpfln, – ’s Herz im Leib hat mir mitgehupft, daß ich hätt’ juchez’n mög’n wie ein achtzehnjähriger Bursch. Besonders ein Schnaderhüpfl hat mir gar so gut gefallen – wart’ nur, wie heißt es denn gleich … ich werd’s wohl nit vergessen haben …“ Er fing zu singen an, brachte aber immer nur die ersten Zeilen des Liedes heraus:

„Ueber’n Baum, unter’n Baum
’S Eichkatzl springt,
Und jetz’ und jetz’ …

Kreuzbirnbaum, jetzt weiß ich richtig nimmer weiter! Gerade das Schönste, die Hauptsach’ fallt mir nimmer ein … Unter’n Baum, über’n Baum …“

„Ah mein, Vater,“ rief Stasi ärgerlich dazwischen, „das sind Dummheiten! Wenn das die ganze Schönheit gewesen ist –“

„Das verstehst Du nit,“ sagte der Bauer, noch immer nachsinnend und halblaut summend: „Ueber’n Baum, untern’ Baum –“

Stasi aber griff unwillig nach dem Licht, um zu Bette zu gehen. „Ich seh’ schon,“ sagte sie, „heut’ ist nix mehr zu reden mit’m Vater … ich will morgen fragen, wenn er ausgeschlafen hat. Gute Nacht!“

„Halt – da bleiben!“ rief der Bauer, indem er sie am Arme hielt. „Jetzt hab’ ich’s, jetzt ist es mir auf einmal eingefallen,“ und nun sang er mit voller Stimme, daß die Scheiben klirrten:

„Ueber’n Baum, unter’n Baum
’S Eichkatzl springt,
Sucht sich ein’ and’re Nuß,
Wenn’s die ein’ nit aufbringt.

Bleib’ nur da!“ fuhr er fort, das widerstrebende Mädchen noch immer festhaltend. „Ist das G’sangl nit eins von den ganz ausgestochenen? Und dann hat’s noch das Gute – das Schnaderhüpfl gemahnt mich jetzt erst d’ran, wegen was für einer Nuß ich eigentlich nach Länggries gegangen bin.“

„So?“ entgegnete das Mädchen anscheinend gleichgültig. „Ich hab’ schon geglaubt, der Vater hätt’ ganz d’rauf vergessen, oder hätt’ nit Zeit gefunden vor lauter Lustbarkeit …“

„Kreuz-Birnbaum, wär’ mir nit lieb, wenn mein eignes Fleisch und Blut so was von mir denken thät! Der Kurz am Berg hat noch allemal seine Sach’ ausgericht’t, wenn er sich um was angenommen hat. Das Schnaderhüpfl, mußt wissen, ist von demselbigen. No, Du wirst schon wissen, wen ich mein’ – von dem Gewissen halt, der sich so gut auf die allerhand Wurzen versteht, die in den Bergen herin wachsen. Er ist mitten unter den Burschen drinnen gesessen und hat Schnaderhüpfeln nur so daher gesungen, wie man die Birnen schüttelt, eins schneidiger und frischer, als das andere, und wie ich ihn recht anschau’ – richtig hat er um den Hals das Ding anhängen gehabt – Du weißt es schon.“

Stasi klemmte die Unterlippe zwischen die Zähne. „Und wie ist’s damit?“ fragte sie halblaut. „Hat’s der Vater? Bringt er mir’s mit?“

„Na, dasselbige just nit,“ erwiderte der Bauer, indem er etwas verlegen über den kahlen Kopf fuhr. „Der Bursch ist ein gar bockbeiniger Ding – er könnt’ in Deine Freundschaft gehören. Ich wollt’ nit vor allen Leuten davon anfangen, drum bin ich ihm zu Gefallen ’gangen, und wie ich ihn so auf der Abseiten erwischt hab’, da hab’ ich g’rad herausgered’t, frisch von der Leber weg, er soll mir das Büchsel, das er anhängen hat, zum Kaufen geben, hab’ ich gesagt; es gefallt mir so gut. Zuerst hat’ er mich angeschaut nach der Seite, als wenn er mich nit kennen thät, und gar nit wüßte, von was die Red’ ist; nachher hat er gelacht und hat gesagt, das Büchsel gebet er nit her, es gefallt ihm selber grad’ so gut wie mir! Nachher hab’ ich wieder gesagt, ich wär’ halt ganz versessen auf das goldene Ding – er sollt’ mir’s doch ablassen, ich wollt’s gut zahlen, und wollt’ ihm hundert Gulden dafür geben. Er aber hat alleweil nur den Kopf geschüttelt und hat gelacht und mir seine Zähn’ gezeigt, wie ein Holzfuchs, der aus seinem Loch herausguckt! So gib ich Dir zweihundert, – dreihundert, ich gib Dir fünfhundert, hab’ ich gesagt, er aber hat sein Hüt’l geruckt und ist dabei blieben. ‚Und wann Du mir tausend Gulden gäbest, Kurzenbauer,‘ hat er gesagt, ‚so wär mir das Büchsel nit feil! Ich hab’ eine Verlöbniß gemacht, daß ich’s meiner Lebtag anhängen und tragen will, und daß ich’s keinem andern Menschen gib, als meinem Schatz – wenn ich einmal einen krieg.‘ Dabei hat er mich auf die Achsel aufgehaut und fort ist er gewesen und hat mich stehen lassen wie einen Maulaffen. Na, was ist denn aber mit Dir, Stasi?“ unterbrach er sich, „Du zitterst ja, als wannst umfallen wollt’st, Du bist käsweiß bis in den Mund hinein.“

„Ja, ich weiß nit, was es ist, aber es wird mir völli nit recht gut,“ sagte Stasi und wankte ihrer Kammer zu. „Laß mich der Vater nur! Es wird schon wieder vergehn – es vergeht ja Alles mit der Zeit.“

„Kreuzbirnbaum, jetzt wird mir die Geschicht’ dumm,“ sagte der Bauer, der wieder, wie so oft, das Nachsehen hatte und sich der danebenstehenden Schwester zuwandte. „Begreifst Du, was das Dirndl hat?“

„Ich schon,“ war die Antwort. „Ich will Dir auch sagen, wann Du’s hören willst.“

„Ah, da bin ich doch neugierig … Sie ist also nit krank?“

„Ein Fisch im Wasser ist nit gesünder – sie hat die Krankheit, die alle Mädeln in denen Jahren haben – es ist, wie ich Dir gestern schon gesagt hab’ … Sie ist verliebt.“

„Verliebt?“ rief unter lautem Lachen der Bauer. „Also hörst nit auf mit Deine Flausen? In wen sollt’ sie denn verliebt sein – da hätt’ ich doch auch was merken müssen!“

„Ja,“ sagte die Schwester, indem sie sein Lachen spöttisch erwidernd an ihn herantrat und ihn auf die Schulter klopfte, „Du

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