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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


… nach dem Memorial von St. Helena, … eine junge Dame aus dem Faubourg St. Germain geheirathet, „une de ces belles tiges de l’aristocratie française.“ Die anderen „schönen Schößlinge“ des Adels wollte er dann adoptiren und sie mit europäischen regierenden Fürsten vermählen! Eine solche Aussicht für seine Töchter würde allerdings den schmollenden Adel Frankreichs ihm gänzlich gewonnen haben!

Trotzdem Napoleon anfangs sehr in seine zweite junge Frau verliebt schien, hat er auf St. Helena diese Heirath ausdrücklich eine „unglückliche“ genannt. Vielleicht hatte er die Vorahnung von Maria Louisens Treulosigkeit, den bekanntlich vermählte sie sich später mit einem Grafen Neipperg. Seinem Sohn, den er nur als rosiges goldgelocktes Kind gekannt hatte, bewahrte Napoleon bis zum letzten Athemzuge abgöttische Liebe.

An seinem Todtenbette saßen zwei fremde Frauen, durch Hochherzigkeit und Treue an ihn gefesselt, die Gräfin Montholon und die Generalin Bertrand. Keine verwandte Hand linderte den tragischen Schmerz seines letzten Augenblicks.




Mein Einzug in Paris.
Vom Feldmaler F. W. Heine.


Margency, Anfang März.

Die schönen Tage von Margency sind nun zu Ende! Ich schreibe Ihnen zum letzten Male von hier aus und verlasse morgen in aller Frühe das schlichte Gemach, in welchem ich unter der schützenden Obhut des Hauptquartiers der Maasarmee monatelang alle Freuden und Leiden eines berichterstattenden Malers und eines malenden Berichterstatters gründlich durchgekostet und, eingeschneit und eingefroren, so manche Stunde lang den Fall der „heiligen Stadt“ mit aller Inbrunst meines Herzens herbeigesehnt habe. Nun ist er gekommen, ist wirklich zur Wahrheit geworden, und wenn die eitlen Pariser noch immer nicht daran glauben wollten, so mußten sie sich in diesen Tagen wohl in das Unvermeidliche fügen, da der stramme Schritt der deutschen Regimenter auf dem Macadam der Boulevards dröhnte und die Melodie der „Wacht am Rhein“ von den stolzen Wölbungen des Triumphbogens widerhallte.

Ich war mitten dabei und war mitten drin und habe meine Zeichnung an Ort und Stelle aufgenommen – aber da über jene in der Geschichte Deutschlands für immer denkwürdigen Stunden, wenn Sie diese Zeilen veröffentlichen, gewiß schon unendlich viel gedruckt und gelesen worden ist, so kann es hier nur darauf ankommen, daß ich Ihnen von mir selbst erzähle, was ich bei meinem „Einzug in Paris“ Besonderes sah und hörte, und das allein will ich denn auch in den nachfolgenden Zeilen thun.

Ich war schon in der frühesten Morgenstunde des ersten März in Margency aufgebrochen und hatte mich über Argenteuil, Colombes und Courbevoie an die Brücke bei Neuilly begeben, da man mir gesagt hatte, daß von hier aus der Einzug stattfinden solle. Indessen fand ich an dem genannten Orte so wenig Leben, daß ich stutzig wurde, um auf verschiedene Anfragen endlich zu erfahren, wie bereits seit dem ersten Morgengrauen Truppen auf Truppen über die erst Tags zuvor geschlagenen Pontonbrücken bei Suresnes, St. Cloud und Sèvres marschirt seien und wie ich also jedenfalls nach dieser Richtung hin – schon Suresnes liegt weit südlicher als Neuilly am Fuße des Mont Valerien – meinen Weg zu nehmen habe. Ich hatte das Richtige getroffen. Als ich mich der Brücke von Suresnes näherte, drängte sich mehr und mehr Militär zusammen, Patrouillen streiften längs der Landstraße hin und Gensd’armen ritten dieselbe unaufhörlich ab. Plötzlich – es ging wohl schon auf elf Uhr – ward unter den Posten haltenden Soldaten eine eigenthümliche Bewegung bemerkbar. Schon kurz vorher hatte die Cavallerie- und Infanteriestabswache sammt den Pferden des Kaisers die von einer Schwadron Königshusaren besetzte und an ihren Pfosten mit flatternden Preußenfahnen geschmückte Brücke passirt. Jetzt aber drängten die Gensd’armen die wenigen Zuschauer, welche sich im Laufe der Zeit eingefunden hatten, mit ihren Pferden zurück und „Der Kaiser kommt!“ lief es lauter und lauter von Mund zu Mund. Da ward auch schon der Vorreiter des Kaisers sichtbar, staubaufwirbelnd und von einem schallenden Hurrah der Soldaten empfangen näherte sich rasch ein vierspänniger Wagen und in ihm der Kaiser in Generalsuniform mit Helm, Waffenrock und Schärpe und gefolgt von einer kleinen Suite. Nach kurzem Aufenthalt setzte der schimmernde Zug über die Brücke, Soldaten aller Waffengattungen strömten und drängten nach, und mitten unter ihnen nahm auch ich meinen Weg hinüber zur Rennbahn von Longchamps, wo der Kaiser Heerschau über die zum Einmarsch in Paris bestimmten dreißigtausend Mann hielt.

Was soll ich Ihnen nun über diese Heerschau schreiben! Es war ein geradezu überwältigender, in seiner Art unbeschreiblicher Anblick, als der greise Kaiser, zur Linken den Sohn, und gefolgt von einer wohl über vierhundert Köpfe zählenden, in allen Farben glänzenden, den ersten Geschlechtern Deutschlands angehörenden Suite, die lange Front der in zwei Treffen aufgestellten Truppenmassen von der Rechten zur Linken hinabgaloppirte. Ein donnernder Jubelruf empfing ihn, die Musikchöre der ganzen Armee intonirten „Heil dir im Siegerkranz“, wie ein Sturm sauste und glänzte und blitzte der kaiserliche Zug an den Augen der Zuschauer vorüber und die Standarten wallten im Winde, manche freilich nur mit ihren zerfetzten Resten, so gut es eben gehen wollte – es war ein großartiger Moment und gewiß Jedem unvergeßlich, der das Glück hatte, ihn zu erleben und seiner Zeuge zu sein. Ja, Mancher trug es vielleicht in diesem Augenblick leichter, daß der „Einzug in Paris“, wie er eben stattfinden sollte, doch nicht so ganz alle Wünsche erfüllte, und daß der berechtigte Triumph des deutschen Volkes über das gedemüthigte Paris nur ein unvollkommener sei, so lange nicht von den Tuilerien das deutsche Banner wehe und so lange nicht in Notre-Dame ein Te Deum für die Verleihung des Sieges angestimmt werde. Nachdem der Kaiser das zweite Treffen wieder heraufgeritten war, nahm er Stellung etwas rechts von der großen Tribüne, und nun begann bekanntlich der Vorbeimarsch der einziehenden Truppen unter der Anführung des Kronprinzen als preußischen Feldmarschalls und Oberbefehlshabers der dritten Armee. Den Beginn machte das sechste Corps (General v. Tümpling), dann folgte das elfte Corps unter General v. Schachtmeyer und den Schluß bildete das zweite bairische Corps unter dem General v. Hartmann. Da die Truppen in Bataillonscolonnen vorbeimarschirten, so dauerte die Parade wohl an zwei Stunden, und so sehr denn auch die einzelnen Corps, die in strammster Haltung Regiment um Regiment vorbeidefilirten, meine ganze Aufmerksamkeit und Bewunderung auf sich zogen, so viel Interesse erregte es mir auch, den Kaiser selbst während dieses merkwürdigen, aber auch höchst anstrengenden Schauspieles zu beobachten. Und wahrlich, es gehörte eine echte Soldatennatur, wie die des Kaiser Wilhelm ist, dazu, eine so mächtige Siegerschaar während so langer Dauer mit immer gleichem Interesse an sich vorbeidefiliren zu lassen, nie müde, die Rechte grüßend an den Helm zu führen, nie ein Auge von der Mannschaft verwendend, und noch die letzte Schwadron mit derselben Aufmerksamkeit musternd, mit welcher er dem Vorbeimarsch des ersten Bataillons gefolgt war.

Kaiser und Kronprinz kehrten nach der etwa um ein Uhr zu Ende gegangenen Parade nach Versailles zurück; die Kriegerschaaren aber zogen sich in langen Linien und in staunenswerther Ordnung durch das Boulogner Hölzchen und mit ihnen nahm ich meinen Weg in der Richtung nach dem Triumphbogen. Kurz vor der Stadtmauer kamen wir an einem großen abgeholzten Theil des Hölzchens heraus, an dem Flecke, der den Parisern während der Belagerung zur Gewinnung des nöthigsten Feuerungsmaterials angewiesen worden war. Es war bald ein halb zwei Uhr, als wir in die Nähe der Stadtmauer kamen. Hier hatte sich schon eine ziemliche Anzahl neugieriger Pariser eingefunden, viele von ihnen saßen auf den Wällen, alle aber waren offenbar in der muntersten Laune, als handle es sich für sie um das fröhlichste Schauspiel von der Welt. Nun hielt ich es auch für angemessen, mich definitiv einer bestimmten Truppenabtheilung anzuschließen, um in ihrem Schutze allen möglichen Fährlichkeiten zu begegnen. Ich stieß zu den Sechser Jägern und marschirte mit ihnen strammen Schrittes die schöne breite avenue de la grande armée entlang bis kurz vor den Triumphbogen, wo wir Halt machten,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_234.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)