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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


mehr ist. Darf ich hoffen, daß meine Wünsche Erhörung finden und daß ich bei meiner Rückkehr diese Hand auf’s Neue ergreifen und festhalten darf für das Leben?“

Er hatte in ruhiger, fast geschäftsmäßiger Art begonnen; aber der Ton steigerte sich allmählich zur Wärme, es lag eine fast gewaltsam unterdrückte Bewegung darin, und jetzt hing sein Auge in brennender Unruhe an ihrem Antlitz, als wolle er darin die Antwort lesen.

Miß Forest hatte schweigend zugehört. Keine Gluth der Ueberraschung, keine mädchenhafte Verwirrung, nicht der leiseste Wechsel in ihren Zügen verrieth, ob ihr der Antrag erwünscht oder unerwünscht kam; erst als er geendet, hob sie das Auge zu ihm empor; die Ruhe desselben bildete einen seltsamen Contrast zu dem seinigen, und die Antwort kam fest und klar, ohne das geringste Zögern oder Verbergen.

„Sie haben mich offen gefragt, Mr. Alison, und so soll auch meine Antwort sein. Ich kenne die Neigung, welche Sie für mich hegen, ich erwidere sie, und wenn Sie zurückkehren, werde ich meine Hand mit vollem Vertrauen in die Ihrige legen, für eine gemeinsame Zukunft.“

Ein Strahl der Freude brach heiß mitten durch die Kälte von Alison’s Zügen, aber sofort kehrte die gemessene Ruhe seines Wesens zurück, es war, als schäme er sich dieses unwillkürlichen Aufflammens.

„Ah, Miß Jane, Sie machen mich sehr glücklich; darf ich jetzt nicht Mr. Forest –?“

„Nein!“ unterbrach sie ihn rasch. „Nicht Sie, ich selbst werde es ihm mittheilen. Ich habe überhaupt eine Bedingung zu stellen, der Sie sich fügen müssen, Mr. Alison. Ich kann nicht Braut sein am Sterbebette meines Vaters, ich kann und will ihm auch keine einzige der Stunden entziehen, die dies neue Verhältniß beanspruchen würde. Lassen Sie daher das Gesagte vorläufig noch Geheimniß bleiben, wenigstens für jeden Fremderen. Bei Ihrer Rückkehr mag es ausgesprochen werden, bis dahin aber verlangen Sie keins von den Rechten, die Ihnen mein Jawort giebt – ich kann sie Ihnen jetzt nicht gewähren, und will es auch nicht.“

Es lag wenig von der Hingebung einer Braut in diesem entschiedenen „Ich will es nicht!“ das ihm gleich in der ersten Minute entgegentrat, und Alison mochte das fühlen, eine leichte Wolke des Unmuthes verdüsterte seine Stirn.

„Das ist eine harte Bedingung, Jane! Sie werden mir doch jetzt gestatten, meine Abreise zu verschieben und Ihnen zur Seite zu bleiben, wenn ein, wie ich fürchte, unabwendbarer Schlag Sie in nächster Zeit treffen sollte?“

Sie schüttelte verneinend das Haupt. „Ich danke Ihnen, aber ich bedarf keiner Stütze. Was mir bevorsteht,“ hier zuckte es zum ersten Male während der ganzen Unterredung heftig um die Lippen des Mädchens, „werde ich zu tragen wissen, und ich trage es am besten allein. Ich fordere, daß Sie Ihre Abreise um keine Stunde verschieben, und Ihre Rückkehr um keine Woche beschleunigen. In einem Jahre sehen wir uns wieder, bis dahin muß Ihnen mein Wort genügen, wie mir das Ihre.“

Sie hatte sich erhoben und stand ihm jetzt gegenüber, mit dem Ausdruck einer so völligen Entschiedenheit, daß Alison sofort die Unmöglichkeit einsah, gegen den mit so großer Bestimmtheit kund gethanen Entschluß anzukämpfen; er sah, daß sie in der That keiner Stütze bedürftig war, und jedenfalls fand er sich nicht allzu schwer in die ihm auferlegte Nothwendigkeit.

„Ich werde Ihnen zeigen, Jane, daß ich Ihre Wünsche zu ehren weiß, selbst wenn es mir schwer fällt. Aber wenn ich auch noch keines von meinen Rechten geltend machen darf, das erste und für jetzt einzige werden Sie mir wenigstens nicht versagen.“

Jane antwortete nicht, aber sie widerstrebte auch nicht, als Alison sie in seine Arme zog und einen Kuß auf ihre Lippen drückte. Es blitzte wieder leidenschaftlich auf in seinem Auge, und er preßte sie eine Secunde lang fest an sich, aber als er die Liebkosung wärmer, heißer wiederholen wollte, machte sie sich mit einer raschen Bewegung frei.

„Genug, Henry! Erschweren wir uns den Abschied nicht unnöthig. In einem Jahre finden Sie Ihre Braut, bis dahin – Schweigen.“

Er trat zurück, doch etwas erkältet durch dies schnelle Abbrechen, und auch seine Züge nahmen wieder den kühlen, stolzen Ausdruck an, der die ihrigen nicht einen Moment lang verlassen hatte. Mr. Alison war augenscheinlich nicht gemacht, Zärtlichkeiten zu erflehen, die man ihm nicht freiwillig zugestand.

Ein Räuspern und ein nahender Tritt im Nebenzimmer veranlaßte Beide, sofort wieder die Gesellschaftshaltung anzunehmen, die junge Dame saß wie vorhin im Fauteuil und Alison ihr gegenüber, als der, welcher sich soeben bemerklich gemacht, in’s Zimmer trat. Es war ein kleiner ältlicher Mann mit ergrautem Haar und scharfen durchdringenden Augen, in denen ein unverhehlter Spott aufblitzte, als er das junge Paar so fremd nebeneinander sitzen sah.

„Der Arzt ist soeben im Begriff fortzufahren, Miß Jane; Sie wünschten ihn vorher noch zu sprechen.“

Jane erhob sich schnell. „Verzeihen Sie, Mr. Alison, ich muß zu meinem Vater. Ich werde ihn auf Ihren Besuch heute Abend vorbereiten.“

Sie reichte ihm die Hand, ein bedeutsamer Druck, ein Blick tiefen ruhigen Einverständnisses, dann schieden sie mit einem flüchtigen Gruße und Jane verließ das Zimmer.

Als die Thür des Nebengemaches sich hinter ihr geschlossen hatte, trat der zuletzt Gekommene zu Alison und legte die Hand auf seine Schulter.

„Ich gratulire!“

Der junge Mann wendete sich hastig um. „Wozu?“ fragte er scharf.

„Zur Verlobung!“

Alison zog finster die Augenbrauen zusammen. „Es scheint, Mr. Atkins, daß es Ihnen beliebt hat, zu spioniren.“

Der Genannte nahm den Vorwurf in großer Gemüthsruhe hin.

„Möglich! Aber Sie sollten doch wissen, Henry, daß ich nicht unter die ‚Fremderen‘ gehöre, denen die Sache noch geheim bleiben soll.“

Die Stirn des jungen Mannes glättete sich etwas. „Sie sind allerdings eine Ausnahme, also –“

„Also nehmen Sie meinen Glückwunsch ohne Weiteres an,“ ergänzte Atkins. „Schnell genug waren Sie übrigens Beide mit der Sache fertig! ‚Willst Du mich? Ich will Dich! Abgemacht! Ueber’s Jahr ist die Hochzeit!‘ Alles kurz, glatt, klar, ohne viel Redensarten und Sentimentalitäten, ganz im Geschmacke von Miß Jane. Unsere verstorbene Missis wäre freilich außer sich gerathen über eine solche Verlobung.“

Alison’s Lippen kräuselten sich verächtlich. „Wenn Miß Forest ihrer Mutter gliche, würde ich mich schwerlich um sie beworben haben.“

„Da haben Sie Recht!“ sagte Atkins trocken. „Mein Geschmack war sie auch nicht! Immer krank, immer zu Thränen und Scenen geneigt, voll Sentimentalität und Ueberspanntheit – eine echte Deutsche, ist auch schließlich am Heimweh gestorben. Zum Glück hat ihre Tochter nichts von all’ dem Zeuge geerbt, die ist der Vater, Zug um Zug!“

„Ich weiß es! und Mr. Forest wird schwerlich Jemand einer überflüssigen Sentimentalität beschuldigen.“

„Nein!“ sagte Atkins ruhig, „aber wie mir scheint, hat er auch sein gehöriges Theil davon besessen, zum Glück war er einsichtig genug, dies und alles Andere, was wir hier nicht brauchen können, drüben zu lassen. Als Mr. Forest vor zwanzig Jahren hier anlangte, mußten sie ihm in der Heimath wohl arg mitgespielt haben, denn er brachte einen ganz gesunden Haß gegen sein Deutschland und gegen Alles, was damit zusammenhing, mit herüber. Er warf denn auch den ganzen Erinnerungskram mit aller Energie hinter sich, amerikanisirte sogar seinen Namen – Sie wissen doch, daß er früher Förster hieß – und als unsere Colonie sich ausdehnte, und die Deutschen natürlich wieder zusammenhielten wie die Kletten, ging er ihnen gründlich aus dem Wege und hielt sich zu den Amerikanern. Das aber ertrug nun wieder die Frau nicht, die sich an das Leben hier nie gewöhnen konnte; es gab Streit und Bitterkeit ohne Ende, und als das Kind heranwuchs, wurde die Sache noch schlimmer. Der Vater wollte sie zur Amerikanerin erziehen, und er setzte denn auch seinen Willen durch, zumal Miß Jane sich bald genug mit aller Entschiedenheit auf seine Seite stellte; das brach nun aber der Mutter vollends das Herz. Wir haben oft genug arge Scenen gehabt, sage ich Ihnen; es wurde erst Ruhe, als Mrs. Forest dem Heimweh erlag; aber wie die Sachen jetzt stehen, fürchte ich, er wird sie nicht lange überleben.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_226.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2017)