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verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

und nach wie vor wird an St. Walpurgis in Eichstädt gewöhnliches Wasser zu theurem Preise als heiliges Wunderöl verkauft und von unzähligen Menschen innerhalb und außerhalb Baierns als solches bezahlt und vertrauensvoll gebraucht!

Die Daubitz und die Hoff nebst Consorten übervortheilen das Publicum zwar auch, insofern als sie für ihre Producte einen drei- und vierfach höheren Preis verlangen, als der Werth der Artikel rechtfertigt, und indem sie ihren Schnäpsen und Bieren Eigenschaften und Wirkungen andichten, welche diese selbstverständlich nicht besitzen und nicht besitzen können, aber die industriösen Herren geben uns doch wenigstens etwas Substantielles und Genießbares für das Geld. Die heilige Walpurgis zu Eichstädt hingegen liefert uns für unsere guten Gulden ein vollständiges Nichts, das auch nicht den reellen Werth eines halben Kreuzers in Anspruch nehmen kann, und bedient sich, um ihren Schwindel auszuführen, überdies noch des Deckmantels der Religion, jener dehnbaren sanften Hülle, die zu allen Zeiten noch viel nichtswürdigeren Gaukeleien zu Gute gekommen ist und ferner zu Gute kommen wird. Und die höchsten geistlichen Behörden widersetzen sich dieser frechen Geldschneiderei – anders kann man den Hokuspokus nicht wohl bezeichnen – nicht nur nicht, sondern ertheilen ihr in aller Form die ausdrückliche Sanction!

So geschieht es in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, nicht in dem an Wundern so reichen Italien, nein, mitten im Herzen des aufgeklärten deutschen Reiches, in demselben speciellen „Vaterlande“, welches der Welt einen Feuerbach geschenkt hat!

H. S.


Vierundzwanzig Stunden im Paris der bittern Noth.[1]

Von Friedrich Hofmannn.
Orleans, den 9. Februar 1871.

Sie wissen bereits, daß es nicht meine Absicht war, nach Paris zu gehen, sondern mein kühnstes Ziel eines Abstechers von dem Sanitätszug war Versailles. Dorthin lautete auch der Reisepaß, welchen ich mir von der Präfectur in Orleans hatte ausstellen lassen und auf welchen hin ich eine Fahrkarte bis Vitry erhielt, der nächsten durch die Eisenbahn von Orleans zu erreichenden Station vor Versailles. In Juvisy, einem Knotenpunkt, wo die Pariser Bahn nach Orleans und nach Corbeit abzweigt, versorgte ich mich, auf den Rath deutscher Landsleute, mit einem Proviant an Brod, Butter und Wurst für die Weiterreise und fuhr dann mit dem Mittagszuge nach Vitry.

Das Etappen-Commando zu Vitry hatte, wie alle diese Commandos um den Pariser Mauergürtel, die Verpflichtung, Niemanden französischer Nation nach oder von Paris passiren zu lassen, der nicht im Besitz der ganz bestimmt vorgeschriebenen Legitimation war – dem leichtfertigen Franzosenvolk gegenüber allerdings eine Aufgabe, deren Durchführung nicht zu den Freuden dieses Lebens gehörte. – Ich für meine Person war in Vitry am ersten Ziel meiner Reise angelangt. Jetzt galt es, von da nach Versailles zu kommen. So fest stecken in unsern deutschen Köpfen die Friedensvorstellungen, daß ich mir nicht anders denken konnte, als in Vitry könne es an Fahrgelegenheit nach dem deutschen Hauptquartier gar nicht fehlen. Statt dessen konnte ich kaum einen Weg dahin entdecken. Die Aussicht, fünf bis sechs Stunden querfeldein stampfen zu müssen, verführte mich zu einem Gedanken, den ich dem Herrn Commandanten mit der Frage vorlegte: „Sollte ich denn von Paris aus nicht leichter nach Versailles gelangen können?“

„Das ist wohl möglich,“ meinte er. „Zeigen Sie doch mal gefälligst Ihren Paß.“ Nachdem er ihn gelesen, fragte er mich in theilnehmendem Tone: „Ist es Ihnen wirklich darum zuthun, nach Paris zu gelangen?“ Und als ich dies bejahte, sagte er: „Aus Achtung vor der Gartenlaube gestatte ich Ihnen die Weiterfahrt nach Paris, ich will sogar Ihrem Paß auch noch meine Unterschrift beifügen; nach Paris kommen Sie, wie Sie aber in Paris damit zurechtkommen, das ist Ihre Sache. Jedenfalls thun Sie am besten daran, über Vitry zurückzukehren.“

Ich sprach meinen Dank für die außerordentliche Vergünstigung aus und wenige Minuten später rollte der Zug, von da an nur noch voll Stockfranzosen um mich herum, der weltberühmten „Enceinte“ entgegen. Jetzt erst, wo man „die schreckliche Tyrannei der preußischen Barbaren“ überstanden hatte, zeigten alle Zungen, und zwar auf einmal, daß sie gelöst waren; es gab ein ohrzerreißendes Durcheinanderschreien in allen Tonlagen und Tempi, haarsträubende Wuthausbrüche und Drohungen gegen die Preußischen Räuber und Mörder, – und da saß Einer mitten unter ihnen – und sagte es nicht! – Wie vollkommen mit Allem einverstanden, was man da zusammen und durcheinander parlirte, hielt ich’s mit einem wahrhaft Moltke’schen Schweigen und ließ um so eifriger die Augen links und rechts hinaus nach den neuen Eindrücken haschen.

L’enceinte, l’enceinte!“ schrieen plötzlich die Glücklichen an den Fenstern, und husch! steckten so viel Köpfe in den Luken, daß es Nacht in den Wagen wurde. Das Donnern derselben im Walldurchgange sagte mir: jetzt bist du drinnen! Mit einem Blick zurück glaubte ich noch zu Geschützständen führende Rampen und allerlei wild durcheinander liegendes Schanzzeug zu erkennen. Das Erste, was ich von Paris sah, war eine Reihe kleiner Vorstadthäuser, die Neugierigen an Fenstern und Thüren, die Kinder auf der Straße, gerade wie bei uns; dann große, rauchgeschwärzte, aber leere Niederlagen und Waarenhallen, todte Maschinenbauwerkstätten und endlich die offene Aussteigehalle mit einem großen umgitterten Hof. – Fünfzig Centimes Nachzahlung für die Fahrt von Vitry her – und nun noch Befriedigung des Octroibeamten. Meine verehrten Mitreisenden waren meist mit sehr vielen Säcken, Bündeln und Schachteln behaftet, so daß ich es für zweckmäßig fand, mit meiner leichten Last mich vorzudrängeln. Ich eröffnete dem Manne am Gitterthor einen Einblick in mein Paketchen mit dem erklärenden Zusatz – und meinem ersten Französisch in Paris! –: „Un peu de pain!“ – „Entrez, Monsieur!“ Und so geschah’s, und da war ich! –

„Du bist in Paris!“ Das mußte ich mir immer und immer wieder sagen, und ich hatte Grund dazu, denn die Boulevards (B. de l’Hopital, Place und B. d’Italic), die ich, um nach dem Linken-Ufer-Bahnhof von Versailles zu suchen, zuerst durchwanderte, erinnerten keineswegs an die Großartigkeit und Pracht, die für unser Ohr an den Namen hängt. Ein- und zweistöckige Häuser, gepflasterte Trottoirs oder mit Steinen eingefaßte Asphaltwege, Parterre Laden an Laden sehr gewöhnlicher Art, viel Schmutz

  1. Seitdem wir Hofmann’s ersten Brief aus Paris in der Gartenlaube veröffentlicht, sind auch einzelne Berichterstatter großer Tageszeitungen von Versailles aus dort zugelassen worden und haben ihr Erschautes mitgetheilt. Die Data dieser Berichte nun geben uns die überraschende Ueberzeugung, daß, ausgenommen einige Deutsche, die mit einem Schweizer, letzterer unter dem Gesandtschaftsschutze des Dr. Kern, schon vor dem siebenten Februar nach Paris kamen, Fr. Hofmann der erste deutsche Berichterstatter war, der sich, und zwar ohne Paßschutz für das Innere von Paris und nicht von Versailles aus, sondern auf einer Seitenstraße her, in das Paris des Waffenstillstandes gewagt hatte. Selbst jener Engländer, welcher sich rühmte, mit seinem Schinken der erste Fremde in Paris zu sein, hat seinen Ritt erst am siebenten Februar ausgeführt, also an demselben Tag, an welchem Hofmann mit seinem Brodpaketchen unterm Arm dort einzog. Kann nun auch Das, was Hofmann in anderthalb Tagen Sturmlaufs durch die große Stadt sah und noch als besondere Merkmale der Belagerungszeit und der Kriegsnoth erkannte, nur ein flüchtiges Bild von der Stadt im Augenblick nach ihrem furchtbarsten Schicksal geben, so ist es doch ein Bild aus erster Hand, ein Bild, an welchem seit dem „Ravitaillement“ (der Neuverproviantirung) jede Stunde die größten Veränderungen bewirkt: jede Getreidezufuhr, jeder Viehtransport, jeder Pferdeeinzug, jeder Menschen-Aus- und Eingang, jede Schaufelführung der Tausende von Händen auf Straßen und Plätzen – Alles verwischt das Bild der Zerstörung, in welchem namentlich jedes deutsche Auge Paris nach dem Bombardement glaubt sehen zu müssen. Daß nun Hofmann dieses Paris zuerst gesehen, giebt seinem Berichte einen nicht mit dem Tag vergehenden Werth, und das berechtigt uns auch jetzt noch, nachdem die Berichterstatter, wenigstens die nichtdeutschen, in Schaaren die nun für Alle offenen Straßen durchschwärmen können, unsern Lesern wenigstens Einiges von seinen dortigen Erinnerungen mitzutheilen; das Ausführlichere wird er demnächst in einem besonderen Buche „Fünf Wochen im Sanitätszug. Eine Fahrt durch Frankreich vom 12. Januar bis 14. Februar 1871, mit Abstechern nach Straßburg, Nanzig, Orleans und Paris“ veröffentlichen.
    Die Redaction.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1871, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_204.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)