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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


an der menschlichen Vernunft, und es erfüllt mit wehmüthigen Betrachtungen, daß die Menge Derer, welche solchen Unsinn nicht blos dulden, sondern als Evangelium und Trosteshort hinnehmen, sich noch immer nach vielen Tausenden berechnen läßt. Daß der Hokuspokus mit „bischöflicher Approbation“ von Stapel gelassen wird, kann nicht überraschen; wessen man sich von dieser Seite zu versehen bat, weiß ja alle Welt und haben uns die Bestrebungen des jüngsten Concils und seine Unfehlbarkeitsspielerei zum Ueberfluß von Neuem dargethan.

Weß Geistes Kind nun dies unser Eichstädt-Regensburger Machwerk ist, werden unsere Leser, von denen, wie wir hoffen, es keiner aus eigenem Gebrauche kennt, aus einigen Auszügen erfahren. „Hier sehen also,“ hebt das Vorwort des classischen Erzeugnisses an, dessen Stillosigkeit und schülerhafter Satzbau auf einen nicht eben bedeutenden Bildungsgrad seines nun in Gott ruhenden Verfassers hinzudeuten scheinen, „die wahren Verehrer der heiligen Jungfrau und Aebtissin Walpurg ihren frommen Wunsch erfüllet. Hier können sie lesen, empfinden und den Ruhm der großen Wohlthäterin erheben helfen; den Ruhm, den die Güte des Ewigen selbst gegründet, den die Heiligen mit ihren Lobsprüchen verherrlichet, die Geheilten mit ihren Dankliedern noch mehr ausgebreitet und alle Gutgesinnten mit einer edlen Unerschrockenheit nach den echten Grundsätzen der Wahrheit von jeher vertheidiget haben.“ „Was soll man,“ heißt es an einer anderen Stelle der Schrift, „gar von Katholiken sagen, die sich bei jeder Gelegenheit mit gelehrter Miene über die Lebens- und Wundergeschichte der heiligen Walpurg lustig machen, die ihre schmutzigen Gesinnungen über die Andacht gegen die Heilige sogar an die Zeitungsschreiber übersenden, um nur desto geschwinder an den Tag geben zu können, wie viel ihnen daran gelegen sei, ehrenrührerische Unwahrheiten in die Welt zu verbreiten, die Tugenden und Verdienste der Heiligen herabzusetzen, Protestanten und Maulchristen zu gefallen, armen Elenden ihre Zuflucht und allen Trost in ihrer Bedrängniß zu rauben, den Gläubigen den Grundsatz, daß es gut und nützlich sei, die Auserwählten als Freunde Gottes um Hülfe anzuflehen, zu tilgen und den Schwachen, die nicht im Stande sind, widrige Einwendungen nach der Strenge der Wahrheit zu prüfen, Ekel, Mißtrauen und Verachtung gegen alles Heilige einzuflößen!“

Die bösen „Zeitungsschreiber“ haben also schon damals den geistlichen Herren viel Sorge und Herzeleid bereitet und wir dürfen uns daher nicht wundern, wenn heutzutage, wo der Einfluß der Presse ein so gewaltiger geworden ist, auch jene Sorge und jenes Herzeleid eine nicht geringe Vergrößerung erfahren hat. Doch hören wir unsern frommen Pater noch weiter.

„Unverschämt genug,“ fährt derselbe in seiner Oelbegeisterung fort, „die ersten Augenzeugen dieses Wunders als Urheber eines so groben Betruges ohne allen Grund zu beschuldigen; unverschämt genug, die würdigsten Bischöfe und Regenten von Eichstädt, die von jeher bis auf diese Stunde gegen dies heilige Oel die größte Ehrfurcht geheget, als Beihelfer eines so groben Betruges anzuklagen; unverschämt genug, einem so zahlreichen Menschengeschlechte, das gegen neunhundert Jahre in Eichstädt gelebt, den gesunden Verstand und die Macht, Betrug von Wahrheit zu unterscheiden, alle Beurtheilungskraft abzusprechen; unverschämt genug, so vielen Auswärtigen, wer sie auch sind, die so deutliche Denkmale ihres vollen Vertrauens und redende Beweise ihrer innerlichen Ueberzeugung zurückgelassen und es noch thun, in das Angesicht zu sagen: Eure Voreltern waren hierin die dümmsten Leute; ihr seid es noch mehr, ihr seid betrogen!“

Und in diesem Feuereifer wider die Ketzer, welche so ruchlos sind, an das Wunderöl der heiligen Walpurg nicht zu glauben, und gar fromme Gemüther vom Glauben daran abtrünnig zu machen suchen, geht es noch Seiten lang fort. Das Wunderöl ist ja ein viel zu gutes Geschäft, als daß man sich einen so gewinnbringenden Handelsartikel, jedenfalls den besten und leichtest zu erzeugenden im ganzen Bisthum Eichstädt, ohne Weiteres in Mißcredit bringen lassen sollte.

Das Köstlichste des Buches sind indeß die Geschichten und Berichte von einer Menge der wunderbarsten Heilungen und Rettungen, welche mittelst des heiligen Walpurgisöles vollzogen worden sind. Ein paar Beispiele, die wir auf das Gerathewohl aus der umfänglichen Sammlung herausgreifen, werden unsere Leser von der unvergleichlichen Kraft des heiligen Gnadenbornes überzeugen.

„In Thierhaupten schien ein wütendes Feuer das ganze Bräuhaus einäschern zu wollen, ohne eine Hoffnung der Rettung übrig zu lassen. Man warf nun durch die Hand eines Priesters heiliges Walpurgisöl in die Flammen, und gleichsam in einem Augenblicke wurde die Wuth des Feuers so mächtig zurückgehalten, daß es sozusagen stille stand und sich willig den Auslöschern ergab.“

„Ein vierzehnjähriger Knabe in Amberg hatte das Unglück, bei einem Strohaufzug von einem schweren Balken so gewaltig an den Kopf geschlagen zu werden, daß die Hirnschale zerschmettert und daraus eine Menge Blut und Hirn verspritzt wurde. Vier volle Tage lag der Knabe in einer jämmerlichen Ohnmacht, woraus ihn zu ziehen alle menschliche Hülfe umsonst bemüht war. Endlich verschaffte sich sein Vater ein Fläschchen vom heiligen Walpurgisöl, goß dem Knaben einige Tropfen desselben ein und bestrich damit die Wunde. Und siehe da! es geschah dies mit so guter Wirkung, daß der Halbtodte allsogleich ein Lebenszeichen gab und die erschreckliche Wunde in wenigen Tagen geheilt war.“

„In Augsburg erkrankte eine angesehene Bürgersfrau an einem bösartigen krebsähnlichen Geschwüre, und vergeblich suchten mehrere Aerzte dem Uebel Einhalt zu thun. Da nahm sie zur Wunderheiligen von Eichstädt ihre Zuflucht, bestrich die kranken Stellen mit dem heiligen Oele, und was alle ärztlichen Mittel nicht hatten erreichen können, das vollbrachte das heilige Walpurgisöl in ganz kurzer Zeit.“

Doch die Macht des heiligen Oeles ist eine so überschwängliche, daß schon der feste Vorsatz, sich seiner bedienen zu wollen, öfters hingereicht hat, die gewünschte Hülfe zu leisten. Man höre und staune:

„Ein Knabe fiel von einem hohen Thurme. Während des Fallens kam ihm der Gedanke, sich der heiligen Walpurgis zu verloben, und frisch und gesund kam er unten auf dem Erdboden an. Ein wahres Wunder!“

„Ein Mädchen von Bregenz im Vorarlberg hatte das Unglück, in den Bodensee zu fallen. Sechs (!) Stunden lang kämpfte sie mit den Fluthen, und schon war sie dem Ertrinken nahe, da verlobte sie sich der heiligen Walpurgis, und alsbald belebte sich ihre Kraft von Neuem und glücklich und – trockenen Leibes gelangte sie wieder an’s Land.“

Derart stehen noch Dutzende von Wundermärchen in dem Reichmayer’schen Opus, welches mit bischöflicher Genehmigung von Jahr zu Jahr neu aufgelegt und zur Erbauung der frommen Seelen und zum Preise der großen Eichstädter Heiligen in die Welt geschickt wird. Die Bischöfe des nämlichen Bisthums befördern das Buch, dessen Diöcese einst, schon im vierzehnten Jahrhunderte, jener wackere Philipp von Rathsamhausen verwaltete, welcher „gegen das unaufhörliche Predigen und Hörensagen von abgeschmackten Miraculn“ eiferte und fast zweihundert Jahre vor Luther nicht müde ward, darauf zu dringen, daß „die christliche Religion von den römischen Schlacken gereinigt werde.“

Was ist nun aber dies heilige Wunderöl? werden die Leser fragen. Auch darauf können wir ihnen Antwort ertheilen. Zunächst müssen wir bemerken, daß der merkwürdige Eichstädter Artikel äußerlich höchst zierlich und elegant in den Handel kommt. Jedes einzelne Gläschen wird in ein niedliches, mit buntem Papiere überzogenes Holzkästchen verpackt. Auf dem Deckel dieses Behälters stehen in goldenen Buchstaben ein S und ein W (Sancta Walpurgis), unter dem Deckel aber findet man auf einem Zettel das nachstehende Gebet gedruckt:

„Verleihe, o gütigster Gott! auf den wir allein hoffen und vertrauen, daß wir durch die großen Verdienst und Fürbitt der heiligen Jungfrau und Aebtissin Walpurgis, welche du mit unzählbaren Wunderwerken gezieret hast, von allen Leibes- und Seelenbeschwerden auf den Gebrauch ihres heiligen Oeles erlediget werden. Durch Jesum Christum unsern Herrn. Amen. Lobet den Herrn in seinen Heiligen. Ps. 150.“

Die Gläschen selbst sind überaus niedlich, je einen Zoll hoch, mit ein wenig Wachs zugepfropft und in reine weiße Baumwolle eingehüllt. Ebenso rein und weiß und ebenso durchsichtig wie das Glas ist auch die darin enthaltene Flüssigkeit. Und woraus besteht diese letztere? Aus einem sehr unschuldigen Material – aus destillirtem Wasser! dies haben verschiedenfache chemische Untersuchungen unwiderleglich dargethan, ja ein ehemaliger Benedictiner hat bereits vor siebenzig Jahren auf diesen Schwindel die öffentliche Aufmerksamkeit hinzulenken gesucht, allein die Herren Geistlichen, unter Vorgang des Bischofs, haben seine Schrift confiscirt,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_203.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)