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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


daß an einem Orte, wie z. B. in Orleans, drei verschiedene Postanstalten waren, die Armeepost, mehrere Divisionsposten und ein Relais, d. h. eine Posteinrichtung, die an einem Knotenpunkte an Stelle der Landespost getreten ist, und für die auf dem Marsche befindlichen Obercommandos und Divisionen die Sendungen in Empfang nimmt. Marschiren wir z. B. heute von Orleans ab und machen einen Marsch von drei Meilen bis nach Beaugency, so wird von der Armeepost die nächste Post aus Orleans beim Relais geholt werden müssen. Rücken wir am nächsten Tage weiter nach Blois, so ist während des Tages bereits in Beaugency ein Relais eingerichtet worden, an welches die Postsachen von Orleans aus geschickt und bei welchem sie von unserer Armeepost von Blois aus abgeholt werden. In dieser Weise wird die Verbindung mit den Truppenteilen hergestellt.

Je weiter wir natürlich vorrücken, desto schwieriger und langsamer wird der Postdienst, ich will nicht sagen ungewisser. Ich habe sehr selten über abgesandte und nicht angekommene Briefe klagen hören; mir persönlich ist es nur zweimal passirt, daß ein Brief verloren gegangen ist, und zwar nach Frankreich aus einem deutschen Lande, das ich nicht nennen will, über dessen Postanstalten ich aber mehrfache Klagen gehört habe, namentlich im Beginn unseres Feldzuges. Ich kann annehmen, daß ich während der sieben Monate desselben hundertfünfzig für die Oeffentlichkeit bestimmte Briefe geschrieben habe, und kein einziger derselben ist ausgeblieben, alle haben sie den Ort ihrer Bestimmung erreicht. Je weiter wir nach Westen kamen und je zahlreicher die Relais wurden, desto weniger war die Laufzeit eines Briefes zu bestimmen; von Le Mans aus gingen manche in sieben Tagen nach Berlin, andere brauchten elf Tage, aber sie kamen doch an. Wie überhaupt in diesem Kriege an jede Kraft, an jede Thätigkeit die höchsten Anforderungen gestellt wurden, so auch an den Postdienst. Die oben angeführten Zahlen sind die besten Belege.

Aber nicht allein die unausgesetzte Regsamkeit, die nie ruhende Arbeit verlangen ihre Würdigung, sondern auch die Strapazen und die Gefahren, die mit dem Postdienste verknüpft waren, und der Muth, der erforderlich war, um ungeachtet dieser Gefahren die Transporte zur festgesetzten Stunde heranzuschaffen. Der vergangene Winter war einer der strengsten, die Frankreich seit dreißig Jahren gehabt hatte, die Wege waren oft verschneit, von Gräben durchrissen, ganz und gar unpassirbar gemacht, ohne Wegweiser an ihren Scheidepunkten, und nun mußten Schaffner und Postillone mit den schweren Wagen durch, wegen mangelnder Sprachkenntniß unfähig, nach dem richtigen Wege zu fragen, und wenn sie im Dunkel des Abends an dem ihnen vorgeschriebenen Ziele angekommen zu sein glaubten, dann zeigte sich vielleicht, daß sie so und so viele Kilometer falsch gefahren waren, dann befanden sie sich in einem Orte, in welchem nicht ein Mann Militär war, noch dazu umringt von einer feindseligen Bevölkerung. Ebenso auch der Beamte, der mit seinem Relais oft in einem Orte saß, in welchem meilenweit und breit kein deutscher Soldat zu spüren war, ausgesetzt jede Stunde am Tage wie in der Nacht den Angriffen einer fanatisirten Menge, in deren Sinne der Todtschlag eines Feindes ein Verdienst um das Vaterland war.

Es ist an einem der gewöhnlichen Marschtage, deren wir in diesem Feldzuge so viele hatten. Am Morgen ist das Obercommando vom letzten Hauptquartier abgerückt, hat auf offener Landstraße bei einem Bivouakfeuer Mittag gemacht und ist nun gegen drei Uhr Nachmittags in’s Quartier gekommen. Bei den ersten Häusern des betreffenden Ortes hatte einer der Schaffner, der vorausgeschickt war, um Quartier zu machen, die Colonne erwartet, um den Weg nach dem Logis zu zeigen.

„Nun, Brodhuhn, wie sieht’s hier aus; haben wir ein Local, in dem sich’s existiren läßt?“

„Herr Sekertär – es is Sie wieder sehr faul. Es is eben wieder eine Kneipe, wie immer. Nischt andersch war zu finden – es is Sie wieder ein elendes Nest.“

Kaffeehauslocale müssen nämlich immer für die Etablirung der Postbureaus herhalten. Es ist gewissermaßen, als ob zwischen Beiden eine geheime Anziehungskraft stattfinde. Sie bieten wenigstens einen hinreichenden Raum, um die Postsachen, die Bureau-Utensilien unterzubringen, den regen Verkehr ohne Belästigung unterhalten zu können. Eine halbe Stunde nach der Ankunft des Hauptquartiers ist Alles in Ordnung, die Tagesstempel eingeschraubt, die königlich preußische Postfirma ausgehängt; in den Kamin hat Brodhuhn einige Baumstämme geschoben, damit die Dinte nicht einfriert, denn draußen ist es eklig kalt. In dieses Local treten wir ein, wir fragen, ob die Post noch nicht angekommen, wir haben einen Brief zu erwarten. „Nein,“ heißt es, „die Post wird vielleicht erst in einer halben Stunde kommen.“ Wir wollen so lange warten. An der gewöhnlichen Wirthstafel sitzt „der Herr Sekertär“ Ninow und „bearbeitet die Sachen“. In einer Ecke sitzt der Schaffner Brodhuhn und liest die Nordhausener Zeitung, „die von Baltzern geschrieben wird“.

„Brodhuhn, wo ist denn Wilke?“

Wilke ist nämlich der erste Unterbeamte. Vielleicht erinnern sich seiner die Leser aus der Schilderung des Hauptquartiers vor Metz.

„Wilke is mit die faulen Briefe fort. Herr Sekertär, mir is wahrhaftig keine Arbeit zu viel, aber wenn ich Sie schon immer die faulen Fuhrmannsbriefe kommen seh, dann werd’ ich Sie giftig, wie der Baltzer in der Nordhäuser. Draußen vor dem Neste hält nur eine Proviantcolonne – keiner von den Fuhrleuten kennt den Namen vom Andern, nun such’ mir einer die Ritter von Madrid! Gestern hatt’ ich Sie zwei Briefe: einen ‚an den Fuhrmann Stefen Krautherr, Colonnenwagen Nr. 304 in Frankreich.‘ In Frankreich! Das schreiben die zu Haus in Großenhain oder in Penig nur so flottweg hin – da sucht ihn auch in Frankreich! Und der zweite Brief war Sie noch scheener. Da hieß die Adresse: ‚An den Colonnenfuhrmann Martin Baßler von den Magdeburger Fuhrleuten, die am 6. August nach Frankreich gefahren sind. Er hat einen Schecken und einen Braunen.‘ Reene des Deibels möchte man wär’n, wenn man solche Adresse liest. Es ginge bei uns Alles so glatt und scheene ab – wenn nur die verfluchten Fuhrmannsbriefe nich wären. Die hab’n mer schon manche schwere Stunde gemacht. Und was steht drin in den Briefen? Ich weeß nicht, aber ich denk’ mersch so: daß sie’s sehr kalt zu Hause haben und daß die Nachbarschaft scheene grüßen läßt.“

„Das ist ganz gleich, was drin steht,“ versetzt der ‚Sekertär‘, „für uns kommt es nur darauf an, was darauf steht und ob der Mann zu finden ist. Und dazu darf uns keine Mühe und keine Arbeit zu viel sein; der arme Colonnenmann hat dasselbe Bedürfniß, von den Seinigen Nachrichten zu erhalten, wie der vornehmste Officier. Im Gegentheil, er hat so viele Mühen und Strapazen zu erdulden, daß ihm die Freude, von den Seinigen zu Hause ein Lebens- oder Liebeszeichen zu erhalten, um so mehr zu gönnen ist.“

Brodhuhn studirt die Nordhäuser Zeitung weiter. Im Kamin knistert das Feuer, nach einer Weile kommt Wilke, wirft ein Paket Briefe auf den Tisch und stimmt dasselbe Klagelied an. Er war bei der Proviantcolonne gewesen, kein einziger von den Adressaten war zu finden.

„Seit acht Tagen treiben sich nun die Briefe hier herum und jeden Tag dieselbe Geschichte. Da möcht’ man ja lieber Franctireur werden, als Briefträger für die Colonne. Es wird den Leuten zu Hause doch so bequem gemacht, so und so müßt ihr die Adresse schreiben – aber sie capiren’s nicht. Hier, Herr Sekertär, ist ein Brief – Name, Vorname, aber welche Colonne, bei welchem Corps, welcher Division? Gar nischt – nur die Bemerkung: ‚er fährt den Wagen mit der Erbswurst‘. Nu, da brat’ mir jetzt Eener einmal einen Storch!“

Plötzlich wird die Thür aufgerissen. Zwei Soldaten mit sehr fröhlichen Gesichtern Arm in Arm erscheinen, und rufen gleich beim Eintreten:

Monsieur – öng – öng Getreidekümmel!“

„Hier ist die Armeepost, aber kein Kaffeehaus!“ ruft Wilke mit Stentorstimme.

„Ach so, verzeihen Sie, Herr Oberpostdirector Stefan, ick habe Ihnen nich jleich erkannt – ick dachte, weil’s so hell hier war, et wär’ eene Kneipe.“

„Dann muß es schon sehr duster bei Ihnen aussehen, wenn Sie das Postschild draußen nicht sehen.“

„Wat haben Sie jesprochen, Herr Oberpostdirector Stefan?“

„Die Thür sollen Sie von außen zumachen!“

Nix comprends – nix comprends!“ versetzen die Schelme und verschwinden unter lautem Lachen. Sie geben einem andern Soldaten die Thür in die Hand. Ein fröhliches jugendliches Gesicht in Husarenuniform schaut zur Thür herein. Es ist ein Officierbursche, im ganzen Hauptquartiere wegen seiner Schalksstreiche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_198.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)