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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Körpers, wie auch zur geistigen Arbeit des Gehirns und zur Kraftentwickelung der Muskeln (beim Geradesitzen, Turnen, weiblichen Arbeiten etc.) eine große Menge von Blut verbraucht. Zunächst haben natürlich die Eltern des Schulkindes für die richtige Menge und Beschaffenheit des Blutes, und zwar durch zweckmäßige Nahrung und Luft (besonders im Schlafzimmer), Sorge zu tragen. Aber auch in der Schule kann gegen das Blut gesündigt werden, insofern entweder durch zu große körperliche und geistige Anstrengung zu viel davon verbraucht wird, oder indem durch Einathmen einer schlechten Schulzimmerluft die Mischung des Blutes verdorben wird. Die allermeisten Schulmädchen verlassen die Schule mehr oder weniger blutarm (bleichsüchtig), und daran tragen nicht blos die Eltern, sondern auch die Lehrer die Schuld.

Allerdings wird der Grund zur Blutarmuth (Anämie) und Bleichsucht (Chlorose) hauptsächlich im elterlichen Hause, durch mangelhafte und unzweckmäßige Nahrung, Ueberbürdung mit Arbeiten (Privatstunden, weiblichen und häuslichen Arbeiten), falsche geistige und gemüthliche Behandlung, gelegt, nicht selten auch durch geschlechtliche Unarten, aber auch die Schule trägt zur schnellern und hochgradigen Entwickelung dieser Krankheit nicht unbedeutend bei, und zwar: durch Ueberanstrengung des Gehirns und der Sinne, stark ermüdende Muskelanstrengungen (besonders beim zu langen Geradesitzen und Turnen) und durch schlechte Schulzimmerluft. Auch kann der Schulbesuch, besonders wenn dieser bald nach dem Essen stattfindet, insofern den Grund zur Blutarmuth mit legen, als ein nachtheiliger Einfluß auf die Verdauungsorgane (den Verdauungsproceß) durch unzweckmäßiges (gebücktes) Sitzen ausgeübt wird, wobei der Unterleib zusammengedrückt und der Blut- und Speisesaftlauf, sowie die Darmbewegungen erschwert werden. Nicht selten trägt auch die geistige Anstrengung, Mangel an geeigneter Bewegung und schlechte Schulluft die Schuld an Störungen des Appetits und der Verdauung und dadurch an Blutarmuth. Es ist aber diese Blutarmut in den Schuljahren von ganz enormer Bedeutung. Denn sie befördert nicht nur die Kurz- und Schwachsichtigkeit, das Schiefwerden (wegen der Schwäche der Rückenmuskeln), Hirn und Nervenaffectionen (besonders epileptische Zustände), sondern legt auch, weil sie sehr oft aus der Schulzeit in die späteren Lebensjahre verschleppt wird, den Grund zu bleibender körperlicher und geistiger Schwäche, zu Nervenleiden und Gemüthsstörungen. Der dabei bestehende Blutmangel im Gehirn und in den Muskeln erzeugt Kopfschmerz, Schwindel und selbst Ohnmacht, Ohrensausen, heftigeres Herzklopfen, Kurzathmigkeit, geistige und körperliche Schlaffheit und Trägheit, Gemüthsverstimmung und Willensschwäche. Ein Lehrer, der bei seinen Schülern auf die Blutarmut nicht aufmerksam ist und von blutarmen Kindern, die sehr oft und ganz mit Unrecht als faule und unaufmerksame bestraft werden, dieselbe geistige (Hirn-)Arbeit verlangt wie von solchen mit blutreichem Gehirn, kann viel Unglück anrichten. Doch was kümmert die meisten Lehrer die Gesundheit ihrer Schüler? Das ist ja Sache des Arztes. Blutarme und darum trägsinnige Schulkinder sollten, wenn die Schule human sein will, stets apart und ihrem langsam arbeitenden Gehirne gemäß unterrichtet werden, da sie im Lernen mit hirnkräftigen Kindern niemals oder nur auf Kosten ihrer Gesundheit gleichen Schritt halten können. – Die Blutarmut ist übrigens leicht zu erkennen: durch die Blässe und den schwach-wachsartigen Glanz der grünlich- oder gelblichangehauchten, kühlen, dünnen Haut mit blaßviolett-durchscheinenden Blutadern, durch die Bleichheit der Lippen (besonders an ihrer innern Fläche), des Zahnfleisches und der innern Augenlidfläche. Die Röthe der Wangen ist nicht maßgebend, da manche sehr blutarme Mädchen im Gesichte wie „Milch und Blut“ aussehen.

Die Mischung des Blutes, welche außer durch passende Nahrung hauptsächlich durch gute sauerstoffhaltige Luft in einem zum Leben und Gesundbleiben tauglichen Zustande erhalten werden muß, ist in der Schule nicht ungefährlichen Abänderungen ausgesetzt. Diese sind nun theils die Folgen einer schlechten Schulluft, theils der Behinderung der blutbildenden Apparate (besonders des Athmungs- und Verdauungs-Apparates) in ihrer Thätigkeit. Ganz vorzüglich trägt die Luft, welche sich in der Schulstube durch die Ausathmung und Ausdünstung der Schulkinder bildet, die Schuld an der Blutverschlechterung bei den Kindern, welche in dieser Luft längere Zeit athmen. – Es athmen nämlich die Schulkinder fortwährend Kohlensäure aus, eine Luftart, die schon dann gesundheitsschädlich ist, wenn die einzuathmende Luft mehr als ein Procent davon enthält (ja schon bei einhalb Procent, wenn sie längere Zeit eingeathmet wird). Auch bei der Verbrennung von Heizungs- und Beleuchtungsmaterial wird fortwährend Kohlensäure gebildet. – Sodann enthält die ausgeathmete Luft neben Kohlensäure auch noch Wasserdampf und bewirkt dadurch, daß ihre Wärme höher ist als die der Zimmerluft, ein Aufsteigen und Circuliren der schädlichen Kohlensäure, obschon diese schwerer ist als die atmosphärische Luft. – Hierzu gesellen sich ferner noch Zersetzungsgase aus dem Blute (Butter- und Baldriansäure) und Haut- und andere Ausdünstungsstoffe (Kohlensäure, Schwefelwasserstoff, Ammoniak, Wasserdampf). Diese gasartigen Stoffe schaden aber dadurch, daß schon eine geringe Menge derselben eine ziemlich große Luftmenge sättiget, so daß alsdann, weil die Schulzimmerluft bald nichts mehr davon aus unserm Körper aufnehmen kann, die Abgabe von Wärme und jenen schädlichen Ausdünstungsstoffen aus dem Körper erschwert und gehindert wird. – Daß trotz der großen Schülerzahl in engen und niedrigen Schulzimmern doch die Luft nicht so schlecht ist, als sie eigentlich werden sollte, liegt darin, daß auch die besten Fenster und Thüren durch ihre Spalten, ja sogar die Mauern einen Luftaustausch zwischen der äußern und der Schulluft zulassen. Bei vielen Kindern in einer niedrigen und verhältnißmäßig kleinen Stube hilft aber dieser natürliche Luftwechsel nicht viel. – Jedenfalls gehört es deshalb zu den Pflichten eines gewissenhaften Lehrers, auf die Luft im Schulzimmer gehörig zu achten und für eine gute Luft darin Sorge zu tragen. Es ist durchaus nöthig, daß, trotz aller künstlichen Ventilation, doch am Ende jeder Unterrichtsstunde (wo möglich auch die Nacht hindurch) Thüren und Fenster der Schulzimmer, nach Entfernung der Schüler aus dem Luftzuge, auf kurze Zeit geöffnet werden. Uebrigens hat auch das Verlassen des Schulzimmers in den Zwischenstunden von Seiten der Schüler den Vortheil, daß diese sich nicht Unarten aller Art (selbst geschlechtlicher Art) hingeben können, was doch bei der unbewachten Jugend so häufig vorkommt. – Die Aufstellung größerer Blattpflanzen im Schulzimmer könnte insofern zur Verbesserung der Schulluft beitragen, als die grünen Pflanzentheile bei Sonnenlicht Kohlensäure aufnehmen und durch Zerlegung derselben in ihre Grundstoffe (in Sauerstoff und Kohlenstoff) Lebensluft (Sauerstoff) ausgeben. – Auch der den Athmungsorganen sehr feindliche Staub (durch offene Fenster eingezogen, vom Feuerungsmaterial etc. herrührend) könnte die Schulzimmerluft verunreinigen und muß natürlich baldigst entfernt werden. – Daß übelriechende Luftarten aus benachbarten Abtritten und Pissoirs nicht in eine Schulstube gehören, versteht sich wohl von selbst. – Eine sehr gefährliche Luftart, die sich im Winter, in Folge der Ofenheizung der Schulzimmerluft beimischen kann, ist das Kohlenoxydgas. Dieses kann nämlich nicht blos durch Ritze und Thüren der Oefen herausdringen, sondern auch durch die eisernen Wand derselben, weil durch rothglühendes Eisen Gase hindurchzugehen im Stande sind. Es erzeugt dieses sehr giftige Gas schon in kleineren Mengen Kopfweh, Schwindel und Zittern.

Der Blutlauf darf nicht behindert werden. Gutes Blut kann nämlich die einzelnen Theile des Körpers nur dann lebend, gesund und zu ihrer Thätigkeit geschickt erhalten, wenn es in der gehörigen Menge in dieselben ordentlich einströmen und unbehindert durch dieselben hindurchfließen kann, so daß dadurch deren Ernährung (die Zufuhr neuer guter Baustoffe und die Abfuhr unbrauchbar gewordener Stoffe), sowie deren Kraftentwickelung (Arbeit) im richtigen Gange erhalten wird. Was auf den Blutlauf durch den ganzen Körper und durch dessen einzelne Organe störend einwirkt, kann ebenso Nachtheile für die Beschaffenheit des Blutes, wie auch auf das Wohlbefinden der einzelnen Organe ausüben. Würde z. B. der Blutlauf durch die Lungen irgendwie erschwert oder theilweise gehemmt, so würde nicht blos die Lunge erkranken, sondern auch das Blut in Folge der gestörten Thätigkeit der Lunge (des gestörten Athmens, der verringerten Einnahme von Sauerstoff und der herabgesetzten Ausgabe von Kohlensäure) in seiner Beschaffenheit verschlechtert werden. Aehnlich verhält es sich auch bei den andern, der Bildung und Reinigung des Blutes dienenden Organen (Haut, Leber, Nieren etc.). Ganz besonders großen Nachtheil aber erleiden durch Störungen des Blutlaufs diejenigen Organe, welche der geistigen Thätigkeit (dem Verstande, Gefühle und Willen) vorstehen, wie das Gehirn mit seinen Nerven,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_195.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)