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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Male ganz nahe und kerzengerade vor ihm, hochaufgerichtet und mit funkelnden Augen – es war wohl zu erkennen, daß auf dem Kurzenhofe unter den weiblichen Gliedern der Familie trotziger Sinn und entschiedenes Wesen keine Fremdlinge waren und daß Stasi nur einen besonders starken Theil dieser Familienerbschaft erhalten hatte. „Lipp,“ sagte sie mühsam und ballte die Schürze zwischen den Fäusten „wenn Du mit mir Ruh’ haben willst, so fang’ mir von dem Capitel nit an! Du hast gewiß von mir noch nie ein böses Wort darüber gehört; aber wenn Du deswegen meinst, ich hätt’s vergessen, dann bist weit irr’ – ich hab’ Dir’s wohl in ein Wachs’l gedruckt … wann Du gescheidt bist, mahn’ mich nit selber daran, was Du noch bei mir auf der Nadel hast!“

Der verblüffte Bauer hatte nicht Zeit, sich auf eine Antwort zu besinnen, denn vor dem Hause war es laut, ein wirres Durcheinander von Stimmen verkündete das Herannahen des Fuhrwerks, das die erwartete Kranke oder Verunglückte bringen sollte. „Kreuzbirnbaum, da ist sie schon!“ fluchte der Bauer, indem er sich zusammennahm und ziemlich raschen und kräftigen Schrittes durch das Fletz auf die Stufen eilte, vor denen das Fuhrwerk eben anhielt. Es war ein leichtes, offenes Gefährte von der Art, wie sie auf dem Lande als Schweizer Wägelchen bezeichnet werden; auf dem Sitze neben dem Knecht, der die Zügel führte, lehnte Stasi: das schöne, von Schmerz verzogene Antlitz war wie ermüdet zur Seite gesunken, den kranken Fuß hatte sie vor sich auf eine Unterlage von Stroh gestellt, neben ihr, halb auf ihrem Schooße, lag ihr Hut, in dessen Band ein paar Edelweißblüthen steckten.

„Kreuzbirnbaum!“ rief der Alte, von dem Anblick ergriffen, in einer Mischung von Zorn und Rührung. „Stasi, Du verfluchte Dirn’ – was treibst denn für narretes Zeug? Was fallt denn Dir ein, daß Du selber in’s Edelweißbrocken gehst? Kannst es ja genug haben! kannst Dir holen lassen, so viel Du willst, wenn Du gar so versessen bist auf solchen Daunderlaun.“

Stasi biß die Zähne zusammen; das Wort war ihr vom Morgen her noch so frisch im Gedächtniß, daß sie zuckte, als hätte eine rauhe Hand eine schlecht vernarbte Wunde berührt; sie that aber, als habe ihr der Wagen, der eben mit einem tüchtigen Ruck anhielt, einen Stoß an den Fuß gegeben.

„So gieb doch Acht!“ rief der Vater dem Knechte zu, der den Pferden die Zügel über den Rücken gelegt hatte und nun herbeikam, um beim Absteigen behülflich zu sein „Könntest auch langsam herfahren, wenn Du weißt, daß Du ein Krankes auf dem Wagen hast! … Gebt’s Acht, Leut’ – thut’s ihr nit weh – Kreuzbirnbaum, wie wer’n wir das Dirndl vom Wagen ’runterbringen?“

„Mach’ nit so viel Aufhebens, Vater!“ unterbrach ihn Stasi. „Ich hab’ mir den Fuß vertreten – in ein paar Tagen ist Alles wieder gut. Den weiten Weg hab’ ich freilich nit geh’n können; aber über den Wagen kann ich schon herunter, wann mir Eins ein wengel hilft.“ Sie erhob sich rasch, stützte sich mit der Hand auf die Schulter des Knechtes und schwang sich kräftig herab, während der Vater davonging, Hut und Kleidungsstücke aus dem Wagen zu nehmen und in das Haus zu tragen. Das Absteigen ging indessen doch nicht so ganz leicht von statten – beim Auftreten zuckte Stasi schmerzlich zusammen und rief, indem dunkle Zornesgluth ihr Gesicht überflog, dem Knechte eine derbe Verwünschung zu. „Du Hackstock!“ sagte sie, „glaubst wohl, Du hast ein Fuhr’ Holz zum Abladen? Wie kannst mich so grob anfassen?“ Sie schien noch mehr sagen zu wollen; aber sie unterbrach sich selbst: es war, als ob neuer Schmerz ihr das Wort im Munde stocken mache; von der Base geleitet, die sie am Arme unterfangen hatte, ging sie mühsam und hinkend einige Schritte vorwärts, blieb aber bald wieder stehen und brach plötzlich ganz in den alten, gewohnten Unmuth aus. Auf die Gefahr hin, daß sie nicht allein zu stehen vermöge und zusammenbrechen würde, riß sie sich von der Base los und rief mit greller, keifender Stimme dem Vater nach, der bereits auf der Schwelle des Hauses angelangt war: „Was treibt denn der Vater? Warum giebt er nit Acht auf meine Sachen? Wenn er Alles auf dem Erdboden herumstreut, nachher hätt’s der Geisbub’ auch besorgen können!“

Der Mahm stieg wegen der umstehenden Dienstboten eine Röthe unwilliger Beschämung in’s Gesicht, der Bauer wandte sich verdutzt auf der Schwelle um und sah forschend auf die Steinstufen und den Weg zurück, den er zurückgelegt hatte. „Was hast denn so Kostbares bei Dir,“ sagte er, „das ich verstreut haben soll? Ich seh’ ja nix.“

„Was ist denn nachher das da, was da auf der Staffel liegt?“ rief sie, indem sie ungestüm dem Vater ihren Hut aus der Hand riß und sich zugleich nach dem bezeichneten Gegenstande bückte – es waren ein paar ziemlich unscheinbare Zweiglein Edelweiß, die im Tragen von dem abwärts gewendeten Hute weggefallen waren.

„Ja, ist denn das auch der Müh’ werth?“ sagte der Bauer. „Wegen einen solchen Bettel machst ein’ Lärm, als wenn schon das Feuer zum Dach ’rausschlagen thät’!“

Stasi stand jetzt gerade vor dem Bauer; sie schlug die Augen nicht auf, sondern hielt sie fest auf den Hut und auf die Blumen gesenkt, die sie wieder daran festzustecken versuchte. Sie war todesbleich geworden, um im nächsten Athemzuge wieder wie eine Pfingstrose zu glühen; ein Erbeben ging sichtbar über ihren ganzen Körper, wie wenn der Wind leicht über Wellen oder Saaten streicht. „Vater,“ sagte sie dann leise, aber sicher und bestimmt, „ich glaub’, ich bin am End’ doch kränker, als ich selber mein’. Von dem mag’s wohl herkommen, daß ich Euch so angefahren hab’. Verzeih’ mir der Vater nur; ich will’s nit wieder thun.“ Sie streckte ihm die Hand entgegen, die er wie mechanisch ergriff; wenn unmittelbar vor ihm die Erde geborsten, oder ein Stern vom Himmel ihm vor die Füße gefallen wäre, er hätte nicht erstaunter und betroffener sein können, als über diese Worte, wie er sie aus dem Munde seiner Tochter noch nie vernommen. Ihm gegenüber hinter Stasi stand die Mahm ebenfalls erstarrt, als habe sie wie Lot’s Frau in das brennende Sodoma hineingeblickt. Beide gewahrten kaum, daß der Knecht und die Magd die Leidende in die Wohnstube führten, und standen noch eine Secunde wie festgewachsen an ihren Plätzen. Die Base gewann zuerst Leben und Bewegung wieder; sie fuhr sich mit der Schürze über die Augen, als ob sie etwas wegzuwischen hätte, und that ein paar Schritte gegen die Thür. „Na Lipp,“ sagte sie innehaltend, „willst nit auch hereinkommen in die Stuben?“

„Ja, ja, ich komm’ schon,“ entgegnete der Bauer, indem er sich auf die Bank vor dem Hause niederließ. „Ich muß nur zuerst ein Bissel ausrasten. Ich weiß nit, sind’s meine Füß’, oder ist mir sonst was in die Glieder gefahren … aber ich bin völlig wie erschlagen … ich komm’ gleich nach – muß mich erst erholen von dem Unglück.“

„Sei doch gescheidt!“ erwiderte die Schwester. „Verlier’ nit gleich den Kopf! In ein paar Wochen ist der Fuß geheilt und Alles wieder beim Alten.“

„Na,“ sagte der Bauer mit traurigem Kopfschütteln, „dassel’ glaub’ ich nit! Hast nit gehört und geseg’n, wie das Madel so ganz verwandelt ist? Sie hat mich um Verzeihung bitt’, weil sie mich angefahren hat … das hat s’ in ihrem ganzen Leben noch nit gethan … So geht’s mit denen Leuten, hab’ ich mir sagen lassen, die bald sterben. Du wirst sehn, das bedeutet nichts Gutes! Das Mad’l ist wohl auswendig gesund; aber sie muß sich beim Fallen inwendig was gethan haben – Du wirst sehn, Schwester, die Stasi treibt’s nimmer lang’!“

(Fortsetzung folgt.)




Aus dem Regen in die Traufe.
Eine Fuchshistorie von L. B.


Der Wind steht Nordwest – Hochwasser überall! auch unser altes Jagdrevier, die fruchtbare Niederung drüben, ist plötzlich in einen See verwandelt. So weit das Auge reicht, eine blanke Wasserfläche, aus welcher hie und da vereinzelt Kopfweiden ihre struppigen Häupter emporstrecken. Unten am Horizont ein schmaler, dunkler Streifen – das feste Land. Auf der grauen Regenluft jagen hohe dunkle Wolkengebilde schattenhaft und gespenstig vorüber. Dicht vor uns im Vordergrunde hebt der Strom in regelmäßigen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_192.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)