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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


erst jetzt Zeit gefunden, dem Bruder vollständigen Bericht über ihre Wanderung nach der Brettenalm zu erstatten. Das Ergebniß war nicht dazu angethan gewesen, ihn besonders erfreulich zu stimmen; schweigend hatte er zugehört, und den Kopf in die Hand gestützt, saß er noch eine Weile schweigend da, bis er dem gepreßten Herzen fast unwillkürlich in einem Seufzer Luft machte:

„Wenn sie nur erst wieder da wär’!“ sagte er. „Ich mein’, mir wär’s dann gleich leichter, ich hätt’ auch nit so viel Weillang auszustehn – das Madel könnt’ mir wenigstens vorlesen; denn Du kommst ja den ganzen Tag kaum ein paar Minuten in die Stuben.“

„Ja, Ein’s muß sich halt doch um den Hof und um die Wirthschaft annehmen,“ sagte die Base, „sonst kommt das Hinterste vor’s Vöderste zu stehn! Es giebt Arbeit genug: das Grummet muß ’rein, und ich fürcht’, das Wetter halt nit mehr lang’, und wenn man nit alleweil’ hinter den Eh’halten her ist, so legen sie die Hände in den Schooß. Laß Du die Stasi nur noch eine Weil’ droben auf der Brettenalm! Die Einöd’ thut ihr ganz gut, da lernt sie fein ein Bissel einsehen, was es ist um die G’sellschaft und um die Leut’ – wirst die paar Wochen schon auch so hinüber bringen! Und bild’ Dir nur ja nit ein, daß sie Dir vorlesen thät’ – das wär’ das erste Mal, daß sie mir oder Dir in irgend etwas den Willen gemacht hätt’. Verzeih’ mir Gott die Sünd’, wenn’s eine ist – aber mir ist völlig gut, wenn sie nit da ist! Es ist eine ordentliche Ruh’ und ein Frieden im Haus; man hört den ganzen Tag keinen Streit und keinen Zank … wenn das Dirndl da ist, ist’s ja nit anders, als wenn alle Augenblick der Wecker ablaufen thät’ an der Uhr.“

„Na ja, das kennen wir schon,“ sagte der Bauer, „ihr Weiberleut’ thut’s einmal nit anders, als daß ihr die Sachen übertreibt – thät’s doch was nützen, wenn ich ihr einmal recht zureden thät’. Ich glaub’s wohl, daß sie die Stichelreden und die Geschicht’ mit dem Spitznam’ nit so leicht verwinden kann – es geht mir auch nit anders, und wenn ich erst an die zurückgegangene Heirath denk, könnt’ ich vor Gift in der Mitt’ abspringen wie eine Blindschleich’! Aber eben deswegen möcht’ ich haben, daß ein End’ hergeht. Das Madel verschlagt sich sonst ganz, und es kommt noch so weit, daß sie mitsammt ihrem saubern Gesicht und mit ihrem Geld ledig bleibt, und daß gar Keiner mehr einheirathen will auf den Kurzenhof.“

Die Base war aufgestanden und zum Bruder getreten. „Na,“ sagte sie, „das fürcht’ ich g’rad’ nit – die Mannsleut’ sind nit so heikel; aber wenn’s wär’, Bruder, dann müßt’st Du Dich halt auch d’rein finden und denken, daß Du’s an mir verschuld’t hast.“

Sie verließ die Stube, in der es so still wurde, daß hell und deutlich das Abendläuten aus der Pfarrkirche herauftönte und mit dem letzten rothen Abendstrahl in’s Zimmer drang. Die Erinnerung, die durch die letzten Worte der Schwester in dem Alten geweckt worden, mochte nicht angenehm sein; er hatte keine Antwort und fuhr sich ein Mal um das andere über den kahlen Kopf, und wieder drang etwas, das sich wie ein Seufzer anhörte, aus der beklommenen Brust.

Da wurde es plötzlich draußen laut, und ein kleiner Knabe kam athemlos und schreiend in die Stube getrampelt; es war der Geisbub’ von der Brettenalm. „Du sollst nit erschrecken, Bauer“, rief er schon auf der Thürschwelle; „aber der Z’widerwurz’n ist ein Leids g’scheh’n.“

„Was? Wem ist ein Leid passirt?“ rief der Bauer und hatte mit seinem langen Arm den Buben, der ihm zu nahe gekommen war, am Kopfe erwischt. „Wie red’st Du von der Tochter von Dein’ Bauern?“ setzte er hinzu, indem er ihn tüchtig an den Haaren schüttelte. Im nämlichen Augenblick aber ließ er ihn auch wieder los, denn ein Knecht stand bereits als zweiter Unglücksbote in der Thür und wiederholte die Mahnung, nicht zu erschrecken, es habe auf der Alm ein kleines Unglück abgegeben. Der Bauer konnte nicht mehr erschrecken, als er schon erschrocken war; er versuchte vergebens, sich aus dem Stuhle zu erheben – die Füße trugen ihn nicht und zwar nicht blos des Reißens wegen; ein ängstlich gestammeltes: „Was ist’s denn … was ist denn geschehn?“ war Alles, was er hervorbrachte.

„No, no, macht die Sach’ nur nit ärger, als sie ist!“ rief die Mahm herbeieilend dazwischen, während der gebeutelte Geisbube laut heulend davon lief. „Ich hab’s von dem dummen Bub’n schon draußen erfragt – die Stasi ist halt gefallen und hat sich den Fuß verstaucht, daß sie nit auftreten und gehen kann, – das ist Alles! Die anderen Sennerinnen haben eine Tragen zurecht gemacht und haben sie über die Bergweg’ heruntergetragen und haben den Bub’ vorausgeschickt, man soll ihnen das Wagel entgegenschicken, soweit die Fahrstraßen geht.“ Der Bauer wollte wieder aufstehen, brachte es aber noch immer nicht zu Stande und die Base drückte ihn in den Stuhl nieder. „Bleib sitzen,“ sagte sie, „ich hab’s schon dem Knecht draußen g’sagt, er hat gerad’ eingeschirrt g’habt, um die letzte Fuhr’ Grummet hereinzuholen, da hat er gleich das Wägerl ang’spannt – sei nur nit gleich so aus dem Häusel, es wird wohl so weit nit g’fehlt sein; sie werden sie bald bringen, glaub’ ich!“

„Bringen!“ jammerte der Bauer. „Was das für Reden sind! Am End’ wollt Ihr mir’s nit sagen, und sie ist gar schon todt!“

„Warum nit gar!“ erwiderte die Schwester. „Der Bub’ sagt, sie hat ihm erst, wie er von ihr fort ist, noch ein’ Renner gegeben, daß er fast über und über gekugelt ist. Zum Sterben muß sie also noch nit sein! Wie sie dazu ’kommen ist, weiß ich freilich nit, der Bub’ sagt, sie hat Edelweiß brocken woll’n und ist ausgerutscht dabei!“

Der Bauer fuhr aus seinem Stuhle empor; so groß der Schmerz in seinen Knieen war, er empfand oder beachtete ihn nicht in der augenblicklichen Erregung. „Was hat sie gethan?“ rief er. „Edelweiß gebrockt? Ja ist denn das Dirndl völlig übergeschnappt? Wo wachst denn auf der Brettenalm und d’rum herum ein Edelweiß, als zuhöchst auf der Brettenwand, auf die sich kaum die allerverwegensten Gamsjager hinaufzukraxeln trau’n?“

„Nu geduld’ Dich nur!“ sagte die Schwester. „Wir werden’s ja bald hör’n; sie wird nimmer lang’ ausbleiben – ich freu’ mich jetzt nur, wie das werden wird, wenn sie daheim ist und sich nit rühr’n kann wegen dem Wehthun an ihrem Fuß, und mit ihrem guten Humor! Da kann’s recht unterhaltlich werden auf’m Kurzenhof – Du sitz’st in dem einen Eck’ und brummst, sie in dem andern und zankt, da gefreut mich mein Leben! Da werd’ ich mein Bündel schnüren, daß es hergericht’t ist, wenn ich’s nimmer aushalten kann.“

Der Bauer stieß einen Laut schmerzlichen Unwillens aus, wie wenn ihn die Worte der Schwester wie ein Stich getroffen, oder als ob es ihm einen Stich in dem kranken Beine gegeben hätte, nach welchem er ängstlich tastete. „Schwester,“ stöhnte er, „Du thust mir auch Alles an, was mich ärgert – auf Dich thät ein g’wisser Spitznam’ auch ganz gut taugen; Du kannst Dich gleich d’rauf vormerken lassen, wenn er einmal frei werden sollt’!“

„Damit hat’s kein’ G’fahr,“ antwortete die Schwester lachend. „Gestern früh, wie wir auseinandergegangen sind, ist sie mir wohl ein bissel dasig (kleinlaut) vorgekommen, das hat aber nit mehr bei ihr zu bedeuten, als wenn im April die Sonn’ scheint; deswegen stürmt’s doch wieder in der nächsten Minuten. Am Abend zuvor wenigstens ist sie noch so schiech gewesen, daß ich nit gewußt hab’, wie ich sie anfassen soll, wie ein Ei, das ohne Schalen auf die Welt gekommen ist.“ Die Mahm benutzte hier die willkommene Gelegenheit, das Erlebte noch einmal zu erzählen und zu schildern, wie Stasi die Kunde über das Zurückgehen der beabsichtigten Heirath, von welcher der Vater sich so starke Wirkungen versprochen hatte, ganz gleichgültig und in ihrer gewohnten spitzigen Weise aufgenommen, und wie also blutwenig Hoffnung vorhanden sei, daß Worte mehr nützen sollten als Thatsachen. Mitten im vollsten Flusse hielt sie jedoch inne, wie Jemand, der in der Nacht dahinwandert und dem unvermuthet Licht und mit ihm das Ziel seiner Wanderung entgegenblitzt. „Wie, wenn das wär’ –!“ rief sie. „Ja, wo hab’ ich denn meine Augen gehabt? Wenn sie sich zuletzt selber schon einen Hochzeiter ausgesucht hätt’, und wenn sie desweg’n so letz (böse) gewes’n wär, weil sie denkt, sie kann ihn nit hab’n!“

„Was nit noch?“ rief Lipp lachend. „Wer sollte denn das sein! Unten im Dorf seh’ und kenn’ ich jeden Christenmenschen, der in’s Haus kommt, und droben auf der Alm da ist nix daheim, als Jäger und Schwärzer, Kohlenbrenner und Holzknecht’ – da schaut mein’ Tochter nit hin, das weiß ich! Na, da laßt Dich Deine Weisheit wieder einmal sitzen, Schwester – aber ich kann mir schon einbilden, wie Du darauf kommst: das ist bloß, weil Du eamal selber in denen Schuh’ gestanden …“

Er vollendete nicht, denn die Schwester stand mit einem

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