Seite:Die Gartenlaube (1871) 180.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Hoffnung seines Lebens“, wie er seine Vermählung nannte, war ihm so nahe gewesen, und er sah sie immer ferner und ferner rücken, ohne daß ein Ende abzusehen war. Der braunschweigische Hof wußte den stolzen Edelhirsch fest an der Kette und kümmerte sich nicht um seine Lage und seine Wünsche, seitdem man die gefürchtete Berufung nach Wien hatte scheitern sehen. Breiten wir einen Schleier über das empörende Nachtbild aus und wenden wir uns dem freundlich heraufstrahlenden Tage zu, der ja doch endlich, ja endlich aus dieser Nacht des Kampfes und der Schmerzen sich losgerungen hat. Während Lessing als Begleiter des braunschweigischen Prinzen Leopold sich acht Monate hindurch auf einer ziemlich unerquicklichen und auch wissenschaftlich für ihn unergiebigen Reise durch Italien befand, war seine Verlobte, die er bei dieser Gelegenheit in Wien besucht hatte, im August 1775 nach Hamburg zurückgekehrt. Ihre Gläubiger waren bezahlt, es war ihr eine kleine Rente geblieben, und Lessing erhielt längere Zeit nach seiner Rückkehr eine unbedeutende Zulage nebst freier Familienwohnung, ein Einkommen, das ihn, seinem Vorsatze gemäß, in den Stand setzte, jede Betheiligung an dem Vermögen seiner Frau fest abzuweisen, und die Sicherstellung desselben für ihre Kinder zu verlangen. Nun erst konnte ernstlich an die Verbindung gedacht werden, die am 6. October 1776 auf dem Landsitze einer befreundeten Familie (zu Jork im Alten Lande) in aller Stille gefeiert wurde.

So war denn das Ziel jahrelangen Ringens erreicht und schon einige Wochen nach der Ankunft der Neuvermählten blühete in dem stillen Wolfenbüttel ein glückliches Haus empor, getragen von jenem Frieden, den nur die Liebe giebt, durchweht und durchwärmt vom Hauche des Geistes und einer heiteren und anmuthigen Geselligkeit, eine Stätte auch des erbarmungsvollen Wohlthuns für alle Hilfsbedürftigen und Bedrängten. Durch die Räume der Bibliothek wandelte nicht mehr der gebeugte und finster blickende Mann, welchen die letzten Jahre hier gesehen hatten, sein Haupt war aufgerichtet, aus seinem Antlitz schaute das sichere und freudige Behagen eines Gemüths, das endlich den Frieden gefunden, den es so lange und so schmerzlich hatte entbehren müssen. Moses Mendelssohn und andere Freunde, die Lessing in dieser Zeit besuchten, fanden ihn merkwürdig verjüngt und erfrischt wie in seiner besten Lebenszeit, und es ist wohl nur ein Zufall, daß sich unter ihren Aufzeichnungen kein Urtheil über die Frau findet, welche einen so wunderbaren Einfluß zu üben vermochte. Ein sehr wichtiges Zeugniß über das Lessing’sche Haus aber besitzen wir doch, es kommt von dem nachher so berühmt gewordenen Historiker Spittler, der sich damals einige Wochen in Wolfenbüttel aufgehalten und an Meusel Folgendes geschrieben hat:

„In Wolfenbüttel war ich fast drei Wochen und es waren drei der glücklichsten und lehrreichsten meines Lebens, da mir Lessing einen völlig freien Zutritt in sein Haus und einen ebenso völlig ungehinderten Gebrauch der dasigen Bibliothek gestattete. Ich darf Sie versichern, daß er der größte Menschenfreund, der thätigste Beförderer aller Gelehrsamkeit, der hülfreichste und der herablassendste Gönner ist. Man wird unvermerkt so vertraut mit ihm, daß man schlechterdings vergessen muß, mit welch’ großem Manne man umgeht. Und, wenn’s möglich wäre, mehr Menschenliebe, mehr thätiges Wohlwollen irgendwo anzutreffen, als bei Lessing – so wär’s bei Lessing’s Gattin. Eine solche Frau hoffe ich nimmermehr kennen zu lernen. Die unstudirte Güte des Herzens, immer voll der göttlichen Seelenruhe, die sich auch durch die bezauberndste Sympathie Allen mittheilt, welche mit ihr umzugehen das Glück haben. Das Beispiel dieser großen, würdigen Frau hat meine Begriffe von ihrem Geschlecht unendlich erhöht; und vielleicht bin ich noch viel zu kurz in Wolfenbüttel gewesen, um sie nach allen ihren Vorzügen kennen zu lernen.“

Das Glück aber, welches die gewöhnlichen Erdenkinder oft so verschwenderisch mit seinen Spenden überschüttet, pflegt bekanntlich den erkornen und zu hohen Aufgaben berufenen Menschen ein treuloser und heimtückischer Gefährte zu sein. Als das Weihnachtsfest Lessing zum zweiten Male in seiner eigenen traulichen Behausung fand, hatte es dem großen Kinderfreunde zur Vollendung seines Glückes auch ein eigenes Söhnchen in die Arme gelegt. Aber nur wenige Stunden konnte er an dem warmen Athem dieses jungen Lebens sich erfreuen, dann schloß das Kind die Augen und war starr und kalt. In jenem bitteren Humor, der bei ihm immer der Ausdruck verzweifelten Schmerzes war, meldete er seinem Freunde Eschenburg: „Meine Freude war nur kurz. Und ich verlor ihn so ungern, diesen Sohn! denn er hatte so viel Verstand! so viel Verstand! – Glauben Sie nicht, daß die wenigen Stunden meiner Vaterschaft mich schon zu so einem Affen von Vater gemacht haben! Ich weiß, was ich sage. War es nicht Verstand, daß man ihn mit eisernen Zangen auf die Welt ziehen mußte? daß er sobald Unrath merkte? War es nicht Verstand, daß er die erste Gelegenheit ergriff, sich wieder davon zu machen? – Freilich zerrt mir der kleine Ruschelkopf auch die Mutter mit fort! denn noch ist wenig Hoffnung, daß ich sie behalten werde. Ich wollte es auch einmal so gut haben, wie andere Menschen, aber es ist mir schlecht bekommen.“ Und auch dieser erschütterndste und verhängnißvollste aller Schläge sollte ihm nicht erspart bleiben. Viele Tage und Nächte hindurch saß er, von heißer Angst zermartert, von kurz aufleuchtender Hoffnung belebt, am Lager der Besinnungslosen, die nur ihn erkannte, und mußte endlich gewaltsam von ihr entfernt werden. „Meine Frau ist todt und diese Erfahrung habe ich nun auch gemacht,“ so meldete er endlich die schnelle Zertrümmerung seines ganzen Lebensglückes wiederum an Eschenburg.

Ist der Morgenfrühe des 12. Januar 1778, ein Jahr und einige Monate nach ihrer zweiten Vermählung wurde Eva Lessing zur Erde bestattet. Auf dem Friedhofe zu Wolfenbüttel liegt sie begraben. Das deutsche Volk hat den Bräuten und Frauen seiner Dichter ein liebreiches Andenken bewahrt und duftige Blumenkränze auf ihre Gräber gelegt. Möge es fortan in seine Erinnerungen auch das hohe und fast verschollene Bild der geist- und tugendreichen, wahrhaft deutschen Frau verweben, welche der einzige kurze Freudenblick, aber ein warmer und mächtig tiefer, auf dem freudenarmen Lebenswege unseres großen Lessing gewesen ist. Drei Jahre hat er die Geliebte überlebt, bis auch er (noch nicht zweiundfünfzig Jahre alt) das kranke, kampf- und kummermüde Haupt zur Ruhe legte. „Ich war einmal," schrieb er an Mendelssohn, „ein gesundes schlankes Bäumchen und bin jetzt ein so fauler, knorriger Stamm. Ach! lieber Freund, die Scene ist aus!“

Der knorrige Stamm aber trieb noch gar wunderbar frische und grünende Zweige. Es waren die Jahre, in denen Lessing, aus dumpfer Trauer zu hoher Verklärung sich aufraffend, seine gewaltigen Schlachten gegen den finstern Orthodoxismus geschlagen, in denen er „die Erziehung des Menschengeschlechts“ geschrieben, und im „Nathan“ sein unsterbliches und ewig junges Schwanenlied vom Siege der Menschlichkeit gesungen hat. Er gehörte nicht zu den lyrischen Naturen die ihr persönliches Empfinden gern auf die Märkte tragen. Gewiß aber ist, daß ihn unter allen diesen Schöpfungen bis zu seinem letzten Augenblicke die Gestalt der verklärten Gattin umschwebte, von der er nach ihrem Hinscheiden sagte: „Wenn Du sie gekannt hättest!“ „Wenn ich noch mit der Hälfte meiner übrigen Tage das Glück erkaufen könnte, die andere Hälfte in Gesellschaft dieser Frau zu verleben, wie gern wollt’ ich es thun!“[1]




Hermann, Fürst von Pückler-Muskau.
Erinnerungen von Paul Wesenfeld.
(Schluß.)

Damals führte der Fürst manches Reiterkunststück aus, nicht mit seinen Vollblutpferden allein, sondern auch mit arabischen Mauleseln, die Wunder von Schnelligkeit gewesen sein sollen. Wenn er so, auf hohem spanischen Sattel sitzend, in ungewöhnlichem Costüme, den Reitknecht hinter sich verlierend, dahinsprengte, so konnte man ihm nicht lange genug nachsehen. Glaubte man ihn aber verschwunden, so hatte er inzwischen, trotz der Windeseile, sein Pferd schon wieder parirt und kam im gleichen Tempo

  1. Wer Eva Lessing aus ihren eigenen Aeußerugen kennen lernen will, der lese ihre mit Lessing gewechselten Briefe. Dieselben waren in den bisherigen Ausgaben unter die übrige Correspondenz Lessing’s verstreut, bis sie neuerdings von Dr. Alfred Schöne in Erlangen mit großer Sorgfalt zu einer besonderen Sammlung vereinigt wurden, die kürzlich unter dem Titel „Briefwechsel zwischen Lessing und seiner Frau“ (bei S. Hirzel in Leipzig) erschienen ist.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_180.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)