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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


No. 11.   1871.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die Zuwider-Wurzen.
Eine Geschichte aus den bairischen Bergen.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


Eine Weile noch verharrte Martl in derselben nachdenklichen Stellung, dann fuhr er sich mit der Hand über die Stirn, als ob er sich besinnen müsse, wo er sei und was er gedacht, raschen Schrittes trat er dann hervor aus dem Vordach unter den Nachthimmel, der hehr und feierlich sich über der Erde aufbaute, von den Bergen getragen als wären sie die Säulen, die sein Gewölbe stützten. Majestätisches Schweigen waltete wieder ringsum; die Baumkronen rauschten nicht mehr im Abendwinde, die Sänger in ihnen waren schlafen gegangen; die Mondsichel aber schwamm im endlosen klaren Himmel und beleuchtete den duftigen Nebel, der wie ein Gewoge weißer Schleierfalten unabsehbar über die Ebene wallte. Ohne sich selbst darüber Rechenschaft zu geben, was er that, stieg Martl den Felspfad hinan bis an eine Ecke, wo auf dem nun stärker ansteigenden Berge die Sennhütten aus der Ferne sichtbar waren. In schwarzen Mondschatten wie in einen Mantel gekleidet stiegen die Felsen empor, während auf Weide und Wiesen das Silber des niedersinkenden Thaus schimmerte. Die Hütten waren kaum als schwarze Punkte erkennbar, das schärfste Auge hätte nicht vermocht, sie aufzufinden, wäre ihm nicht der rothe Feuerschein, der aus einer derselben drang, zum Führer geworden. Die Sennerin mußte noch so spät wachen und thätig sein; denn das Herdfeuer brannte noch und schien durch die offene Thür, daß es weithin sichtbar wurde; sonderbar und fast unheimlich leuchtete der dunkelroth glühende Punkt in den seligen Frieden der klaren Mondnacht hinein. Martl saß lange auf einem Felsstück, kein Auge davon verwendend. Erst spät, nachdem das Herdfeuer ebenfalls schon erloschen war, stieg er den Weg zu seiner Hütte hinab. Im seinem Innern war es kalt, still und dunkel, wie oben auf der entschlummerten Alm; aber der unheimlich glühende Punkt, der draußen erloschen war, glimmte in seinem Innern unlöschbar fort. Es war darum auch vergeblich, als er sich auf sein Lager warf; denn während er sonst auf demselben nach harter Tagesarbeit so fest geschlafen, als ob er im weichsten Federbett läge, wälzte er sich jetzt schlaflos darauf herum, als liege er auf den rauhen Spähnen und Scheiten seiner Holzwerkstätte, oder gar auf den heißen Kohlen seines rußigen Nachbars.

Der Mond war bereits hinter die Felszacken hinuntergegangen, und ein frischer, kalter Lufthauch schauerte tagverkündend vor der Sonne einher, die sich bereits hinter den Bergen zum Aufgang rüstete, als Martl, der schlaflosen Quälerei müde, wieder aufsprang und neuerdings die Hütte verließ. Er fühlte die Kälte nicht, die ihm entgegenströmte: sie war ihm wie angenehme Kühlung, er öffnete das Hemd und nahm den Hut ab, um sie tiefer einathmen zu können und so recht voll und frei um Stirn und Brust spielen zu lassen.

Hätte er geahnt, was am Abend zuvor, als er nach dem fernen Feuer der Sennhütte hinsah, in dieser vorgegangen, er wäre wohl kaum ruhiger, doch aber gewiß in anderer Art bewegt gewesen. Seine Vermuthung, daß es einen besondern Grund haben müsse, daß das Herdfeuer so lange brannte, war vollkommen richtig. Gewöhnlich löscht die Sennerin, müde von der Arbeit, das Herdfeuer bald und schließt die Hütte, weil schon der erste Morgenstrahl sie wieder im Stalle bei der Arbeit treffen muß; nur ausnahmsweise wird das Feuer länger unterhalten, wenn allenfalls Sennerinnen aus der Nachbarschaft zum Heimgarten einsprechen, oder wenn Städter, die eine Bergpartie gemacht, sich zum Nachtlager auf dem Heuboden einquartiert haben. Und ein Gast war wirklich auf der Brettenalm eingekehrt, spät und und erwartet, sonst wäre die Pointner Kathl wohl geblieben und hätte mit dem Abtragen der Butter bis zum nächsten Samstag gewartet.

Die schöne Stasi hatte eben das heimkehrende Almvieh gemolken und stand auf der Gräd am Brunnen, um die Milchgeschirre zu reinigen, damit sie früh am andern Tag gleich wieder zum Dienste bereit wären. Die Arbeit ist nicht gering anzuschlagen; denn die hölzernen Gelten müssen weiß sein wie Schlehenblüthe oder frischgefallener Schnee, und die blanken Kupferreifen sich davon abheben wie freundliches Rosenroth – das ist der Stolz einer Sennerin! Stasi war doppelt eifrig; denn die Dirne, welcher sonst diese Arbeit oblag, war in’s Dorf hinunter. Sie hatte selbst auf ihre Entfernung gedrungen; jetzt durfte und wollte sie sich um keinen Preis nachsagen lassen, daß deren Abwesenheit irgendwie zu bemerken war. Dennoch wäre einem geübten Auge nicht entgangen, daß ihr die ungewohnte Arbeit nicht eben geschwind von Handen ging; namentlich machte ihr ein ziemlich großes Butterfaß zu schaffen, das sich gar nicht fügen wollte, und an der unteren, gegen den Boden gekehrten Seite so hartnäckige Flecken hatte, daß sie dem angestrengtesten Reiben mit Sand, Hand und Bürste nicht weichen wollten. Um es besser handhaben zu können, hatte sie das Geschirr auf den Brunnenrand gestellt und war auf die gemauerte Einfassung der festgeschlagenen Gräd

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_173.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)