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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

aber es ist doch im Ganzen sehr eintönig und für den Forscher in seinen Hauptbedeutungen stumm und verschlossen. Ich habe recht viel zwar in ihm erfahren, aber umkehren möchte ich nicht, es wäre denn, daß ich es in seinen besten Phasen noch einmal mit der Geschwindigkeit eines Vogels oder Fisches durchmessen könnte. Aber ich möchte einmal ohne Schmerzen sterben, schnell, ohne ein langes Krankenlager, so wie mein Freund, Graf Putbus, gestorben ist, oder wie Herr von Fronsac, der Sohn des Cardinals Richelieu – so mitten im Wohlsein und in der Freude, mitten in einer heitern Gesellschaft. Nur keinen Schmerz, ich kann ihn durchaus nicht vertragen, denn ich bin eine sehr feine und sensible Natur – ganz, wie meine gute Mutter war, die mich mit vierzehn Jahren gebar. Daß ich nun schon in den Achtzigern stehe, das schreibe ich ihr zu, sie erreichte dasselbe Alter. Auch mein Vater war ein gesunder, starker Mann; leider starb er schon in den Fünfzigern an einem Steinleiden. – Was mich anlangt, ich habe nicht die leiseste Furcht vor dem Tode. Anders hier mein Freund Schopenhauer! – wie oft hatte ich ähnliche Gespräche mit ihm! – aber er war ein unverbesserlicher Hypochonder; er hatte eine solche Scheu vor dem Tode, daß er, glaube ich, daran allein gestorben ist!“

Was einmal nach seinem Ableben mit seiner Hülle geschehen sollte, beschäftigte ihn mehr. Er wollte in seinem Testamente anordnen, daß man sie verbrenne. Hierbei kamen wir auf Glaubenssachen, auf die Unsterblichkeit der Seele, auf die Ansichten des Sokrates, Moses Mendelssohn’s, und auf die Polemiker der Neuzeit ist dieser Richtung, namentlich aus Büchner’s „Kraft und Stoff“. Der Fürst äußerte sich dahin:

„Unsere Hoffnung ist unser Glück; Glück ist nur in absoluter Seelenruhe denkbar und eine Ruhe der Seele müßte die Seelenthätigkeit nicht ausschließen, wenn das Glück zum Bewußtsein kommen soll, ohne welches es bedeutungslos wäre. Das Fortleben der Seele läßt sich nicht ohne die Voraussetzung des Gedächtnisses an das Vergangene und dieses wieder nicht ohne die Nerventätigkeit des Gehirns begreifen. Die Phantasie hält den Menschen die verschiedensten Spiegel vor das geistige Auge: die Indier waren glücklich in dem Glauben an die gänzliche Vernichtung des Körpers und der Seele und erblickten darin die vollkommenste Ruhe und Seligkeit. Mein Freund Goethe hatte wieder die eigenthümliche Besorgniß, ein stärkerer Geist könnte den seinigen nach dem Tode seines Körpers gewaltsam an sich reißen und in sich aufnehmen und ihn auf diese Weise vernichten. Man darf aber an solche Dinge nicht das secirende Messer des Verstandes setzen; es ist besser für uns, auf die Sprache des Herzens zu hören, weil wir darin den einzigen Trost, eben die Hoffnung, und darin wieder das Glück finden.“

In unseren weiteren Unterhaltungen bemerkten wir, wie der Fürst unendlich mehr in den Erinnerungen an seine eigene Vergangenheit, als in der Gegenwart lebte. Was seit seinem Scheiden von der Bühne des lebendigen Welttheaters geschehen, und seine eigenen Beziehungen dazu, betrachtete er als unwesentliche Staffage zu jenen und zog aus ihnen nur Parallelen zu denselben. Er hatte im Allgemeinen wenig Gedächtniß und Gluth dafür: er war eben gesättigt. Aber die Berührung seiner Vergangenheit, namentlich seiner Reisen, belebte ihn augenblicklich. Er hatte in seiner eigenen Bedeutsamkeit selbstredend mit den berühmtesten Zeitgenossen verkehrt, hatte sie aufgesucht oder war von ihnen aufgesucht worden. Fiel in dieser Richtung eine Andeutung, so ertheilte der Fürst die interessantesten Aufschlüsse. Einmal wurde der Gefährlichkeit des Reisens in Griechenland Erwähnung gethan. Es waren kürzlich einige dort reisende englische Gentlemen von Räubern auf eine barbarische Weise ermordet worden.

„Armes Hellas!“ meinte der Fürst, „Lord Byron hat ihm vergeblich Gut und Blut geweiht; es ist nicht zu erwarten, daß es noch einmal aufblühen wird bis zur Höhe seines alten Glanzes; ein herrliches Land! man muß es gesehen haben mit seinen Trümmern, um Byrons schwärmerische Liebe dafür zu begreifen; ich habe Byron zwar nur einmal in Venedig gesehen, aber in Griechenland habe ich tausendmal an ihn gedacht. Ueberall fielen mir seine Verse ein, wenn ich etwas fand, was ihnen zum Stoff gedient. Seine Zeichnungen sind greifbar und so poetisch, wie sachgemäß.

Aber das Volk ist sehr verkommen, heute vielleicht noch mehr, als zu meiner Zeit. Damals gab es zwar auch schon Räuber dort, aber sie waren doch ritterlicher, als jetzt. Es waren die Klephten, welche in den Gebirgen ihr Unwesen trieben. Von ihrem Chef waren einige schöne Züge von Edelmuth im Umlauf. Das Alles reizte mich, ich beschloß, sie aufzusuchen. Ich hatte in meiner Jugend einen unüberwindlichen Hang zum Abenteuerlichen und zu allerlei Wagnissen. Das lag so in meiner Natur. Ich habe nie einen Augenblick an die möglichen Folgen und Gefahren gedacht. Erst nachher erschrak ich manchmal, wenn sie glücklich bestanden waren. So damals in Griechenland. Ich ließ mich eines Tages durch einen Bauer bei dem Haupte der Klephten zu Gast einladen. Ich wurde angenommen und ritt mit einigen Dienern in das Gebirge. In einer Schlucht wurde ich von einer Vedette des Häuptlings angehalten. Ich wies mich aus. Sie that einen Signalschuß und in wenig Augenblicken war ich mitten unter den Räubern. Sie schienen sehr gut disciplinirt zu sein denn sie gaben mir in Reih’ und Glied auf ein Zeichen ihres Führers eine Grußsalve, daß die Felsen dröhnten. Ich habe mich dann einen ganzen Tag unter ihnen abgehalten; sie brieten mir einen Hammel und auch edler Wein fehlte nicht. Als ich sie am andern Morgen verließ, begleitete mich ihr Häuptling bis auf das geebnete Feld: es war ein brauner, verwilderter Kerl, in einer phantastischen Tracht, aber von scharfen, intelligenten Zügen. Er zog höflich seinen großen Hut beim Abschied, eine neue Salve krachte zu uns herüber. – Ich hatte den Leuten natürlich ein gutes Gastgeschenk hinterlassen,“ fügte der Fürst lächelnd hinzu.

Wir kamen auf das ewige Thema von Minne und Frauenanmuth und Schönheit. Der Fürst war in seiner Jugend, namentlich am sächsischen Hofe, ein Liebling der Damen gewesen. Er bestätigte das und meinte: „Ich habe die Frauen der halben Welt gesehen. In ganz Griechenland fand ich nur zwei annähernd classisch-schöne, die eine war eine Patrizierin in Athen, die andere eine Bäuerin auf dem Lande. Aber alle werden, was Seele und Gemüth anlangt, von unseren deutschen übertroffen. Schade, daß ihre Körperschöne durch die bedauerliche Racenkreuzung schon sichtlich zu verlieren anfängt; wenigstens erinnere ich mich, daß die Frauen in meiner Jugend eine größere Bewunderung eingeflößt haben, als die jetzigen.“

Der Fürst hatte sich bei seiner Rückkehr aus dem Orient vier Sclavinnen mitgebracht, auf welche er bei dieser Gelegenheit zu sprechen kam.

„Ich hatte sie in Afrika auf dem Sclavenmarkt gekauft,“ erzählte er, „ich zahlte für jede nur etwa hundert Thaler nach unserm Gelde. Sie haben mir viel Vergnügen und Zerstreuung gewährt. Sie gaben mir vielfach Aufschluß über die Sitten und Gebräuche ihrer Heimath. Wenn sie badeten, geschah es in einem Bassin und ich pflegte auf dessen Rand zu sitzen und ihnen zuzusehen wie sie im Wasser plätscherten und sich ergötzten – ländlich sittlich! Ich nahm sie mit nach Deutschland, zunächst nach Wien, aber sie wurden mir bald zu lästig und ich verschenkte drei von ihnen. Lady Esther Stanhope nahm eine davon mit nach Syrien und dem Libanon, wo sie sich ansiedeln wollte. Ich behielt nur eine. Sie war die Tochter eines Fürsten, welcher im Kriege mit einem Nachbarstamme besiegt und gefallen war. Seine Söhne wurden, nach dem dortigen Gebrauch, auf dem Schlachtfelde getödtet, seine Frauen und Töchter in die Gefangenschaft geführt und verkauft. Ich fand in dieser jungen Negerin einen so feinen Tact und eine so gute Erziehung, daß ich einen viel bessern Begriff von der Bildung jener Wüstenvölker bekam. Ich konnte sie, ohne mich ihrer zu schämen, beständig bei mir haben. In Wien bildete sie das Tagesgespräch; wenn ich mit ihr zu Pferde den Paraden beiwohnte, wurde sie von den Officieren umschwärmt, sie begleitete mich in die Gesellschaften, in welche ich und sie mit mir geladen war. In kurzer Zeit begriff sie deutsche Sitten und Manieren in welchen ich sie unterrichtete, und lernte es sehr leicht, englisch zu essen, das heißt mit dem Messer und der Gabel. Es war ein liebliches Wesen, glänzend schwarz von Farbe, mit den kleinsten Füßen und Händen, die ich je gesehen habe. Ueberdies hatte sie Witz und Geist. Ich konnte sie zu manchen Geschäften besser brauchen, als meine männliche Dienerschaft. So ritt sie mir und meinem Troß immer eine Tagereise voraus und bereitete mir die Stationen. Sie war darin äußerst gewandt. Ich hatte sie zu diesem Behufe in ein männliches Mamelukengewand gesteckt, ähnlich wie ich selbst es damals trug.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_166.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)