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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Hermann, Fürst von Pückler-Muskau.
Erinnerungen von Paul Wesenfeld.

Der Wind strich eisig über die Schneegefilde, welche sich unwegsam bis zum Eingange in den Vorpark des Schlosses Branitz (bei Cottbus in der Niederlausitz) ausdehnten, als wir uns vor Kurzem eines Tages dorthin aufmachten. Wir durcheilten die Schöpfungen des Fürsten Pückler auf der kürzesten Bahn. Nur im Vorübergehen fiel unser Blick in das Gebüsch zur linken Hand und auf das halbzerfallene hölzerne Gitter, welches das Grab der Reichsgräfin von Pappenheim, der geschiedenen Gemahlin des Fürsten, einer Tochter des großen Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg, einfriedigt.[1] Vorbei – unser Besuch galt heute dem Fürsten selber: auf der Zinne seines Schlosses wehte das blau-gelb-schwarze Banner, das Zeichen, daß er aus seiner Residenz anwesend, daß er zu Hause war, aber – er war es heute zum letzten Male! In einer Stunde sollten seine irdischen Ueberreste zur ewigen Ruhe bestattet werden. Nur wenige Schritte, und – wir standen am Sarge des deutschen Odysseus. Semilasso hatte seinen „letzten Weltgang“ angetreten; seine „Briefe eines Verstorbenen“ waren nun in der That solche. Da stand der schwere gelbe Eichenschrein in der Mitte des von königlichem Luxus strotzenden Gemachs, dessen grüne Sammettapeten mit den weißen und rothen Lichtern, welche von außen her durch die Vorhänge der geschliffenen Scheiben fielen, und den zu Häupten des Sarges brennenden Kerzen einen magischen Reflex schufen. Der erlauchte Todte nahm von alle Dem nichts mit hinfort als sein letztes Bett mit den schweren Silberbeschlägen und den Palmenzweigen, Kränzen und Blattgewinden darauf. Alles, wofür sein Herz geschlagen und seine Seele geglüht, es war für ihn nur ein schöner Lebenstraum gewesen, aus dem für ihn selbst auf Erden nichts mehr zurückblieb als sein berühmter Name, sein unsterbliches Gedächtniß und seine weltbekannten Schöpfungen in der Park- und Gartenbaukunst. – –

Die Geistlichkeit hatte inzwischen ihre Amtshandlungen am Sarge verrichtet und unter dem Wirbel der gedämpften Trommeln des vorausziehenden Militärs setzte sich der Zug in Bewegung. Die Uhr an dem Cavalierhause gegenüber zeigte die erste Morgenstunde. Von dem Sarge wehten die schwarzen und weißen Federn des Helms des Verblichenen, sein erprobter ritterlicher Degen mit dem edlen Gefäß lag auf dem Sarge. In die umflorte kupferne Urne, welche ein Officier hinter dem Sarge nachtrug, war das Herz des Todten eingeschlossen, wie er es gewollt. Man hatte seinen letzten Willen in allen Punkten erfüllt: die damit betrauten Aerzte hatten die Section und chemische Zersetzung seiner Eingeweide bewirkt, und der Leichenzug bewegte sich nicht einem Kirchhof entgegen, vielmehr auf die drei riesigen Pyramiden im Westen des Schlosses zu. Die nördlichste von ihnen war das Ziel des Zuges. Sie erhebt sich aus der Mitte eines Sees. In ihr wollte der Fürst den letzten Schlaf thun. Eine provisorisch gezimmerte Brücke führte uns über den See hinüber an ihren Fuß, Wir standen vor dem in denselben hineingetriebenen Stollen einem schmucklosen mit einfachen Bohlen ausgeschalten Raum von etwa acht Kubikfuß Größe.

Das war der Rest der Herrlichkeit, die den Verstorbenen bis dahin umgeben. Dort wurde sein Sarg, mit der Urne darauf, beigesetzt. Der dienstthuende Prediger weihte den Tumulus als Gottesacker ein und sprach die letzten Gebete. Unter den Ehrensalven, welche herüberkrachten, nahmen die Leidtragenden den letzten Abschied von dieser Stätte der Trauer und mit sich nur das Gedächtniß an den Entschlafenen und als äußeres Zeichen vielleicht ein grünes Blatt aus seinen letzten Kränzen.

Als wir von der Leichenfeier in das Innere des Parkes zurückkehrten, begegneten uns überall die Spuren der Hand des Verstorbenen, welche in Wort und Zeichen die Erinnerung an verehrte und geliebte Wesen wach zu halten und auch die ideale Schönheit zu verkörpern bestrebt gewesen war. Hier die Büsten Friedrich Wilhelm’s des Dritten, Stein’s und des Fürsten von Hardenberg. Dort der offene Tempel mit der goldenen Statuette der Henriette Sontag. Und

„Marmorbilder steh’n und schau’n mich an –“

– ein Bild aus altclassischer Vorzeit – Grazien und Sylphiden vor der Gemmenhalle, Nereiden im Schilf und an den Wassergestaden, Oreaden auf den Hügeln. Dort drüben ein Denkmal mit der Inschrift.

„Hier ruht die treuste Seele, welche ich auf Erden gefunden habe –“

– es gilt dem Lieblinge des Fürsten, einer Neufundlandsdogge, welche wohl mit der Lord Byron’s zu vergleichen gewesen sein mag. Dann hier im Gebüsch ganz nahe am Schloß, hart am Wege, eine Tafel, auf der es heißt:

„Hier ruht Adschameh, meine vortreffliche arabische Stute, brav, schön und klug.“

Alles, was unserm Blick begegnete, bildete einen Commentar zur Geschichte des Lebens des Verewigten, und wir gedachten lebhafter als je zuvor der Stunden, in denen er uns einen Einblick in dasselbe gestattet hatte.

Wenn ich an dieser Stelle diesen Erinnerungen laut Ausdruck gebe, so thu’ ich es aus eigenem Bedürfniß sowohl, als auch, um dem Leser zu Dem, was er über den berühmten Todten gehört oder gelesen, einen interessanten und gewiß willkommenen Beitrag zu liefern.

Durch einen früheren Aufsatz in diesem Blatte (siehe Jahrgang 1863, Nr. 27, worin auch des Zwerges Erwähnung geschehen ist) bin ich der Pflicht enthoben, hierbei näher auf des Fürsten Naturschöpfungen im Parke Branitz einzugehen, die zwar denen in der an den Prinzen Friedrich der Niederlande verkauften Herrschaft Muskau an Bedeutung nachstehen, dennoch aber von dem eminenten Talente ihres Gründers dadurch das beste Zeugniß ablegen, daß er sie aus todtem Sande hervorgerufen hat, während ihm bei denen in Muskau die Natur des Ortes dankbar entgegengekommen war. Ich will mich vielmehr hier lediglich auf die überaus interessante Person des großen Mannes und einige Züge aus seinem Leben beschränken.

In den Monaten des Erwachens und Lebens in Baum und Blüthe den Park zu Branitz durchstreifend, hatte ich, bevor ich Gelegenheit fand, dem Fürsten näher zu treten, ihn öfter in den Anlagen umherwandeln gesehen. Seine hohe, ehrfurchtgebietende Gestalt trug, wie die Goethe’s, den Stempel der Unnahbarkeit auf der Stirn. Ein weiter syrischer Mantel von schwarzer Seide umwallte seine Schultern, ein hoher englischer Hut bedeckte das von einem schneeweißen, seidenartig seinen Barthaar umsäumte Gesicht, So stand er da und prüfte die eben begonnenen oder beendeten Gartenarbeiten. So ordnete er Veränderungen an und dictirte dem stets an seiner Seite befindlichen kleinen Herrn seine Bemerkungen, um sie später zu Hause näher zu berathen. Einige

  1. Heinrich Laube erzählt in seinen Erinnerungen an Pückler-Muskau folgenden hochherzigen Zug von dieser Frau: Sie war eine geschiedene Gräfin Pappenheim und liebte ihn sehr. Er ist ihr Ideal gewesen, an welchem ihre ganze Seele hing bis zu ihrem Tode. Daß sie auch von ihm geschieden worden, das hat in ihrem Herzensverhältnisse gar nichts bedeutet. Sie selbst hat ihm den Vorschlag der Scheidung gemacht. Er besaß nämlich einen unhemmbaren Trieb des Schaffens, und begann in Muskau die großen Anlagen ohne Rücksicht auf die Geldkräfte, welche Muskau gewährte, und welche für diese riesigen Anlagen unzureichend waren. So gerieth er in Schulden, und da sagte die Fürstin eines Tages: „Dein Geist verkümmert hier unter solcher Bedrängniß, suchen wir einen Ausweg! Du bist in der Blüthe Deiner Kraft, suche Dir in England eine reiche Frau, damit Du weiter schaffen kannst; ich trete zurück, indem wir unsere Ehe auflösen. Mein Freund wirst Du immer bleiben, auch wenn Du nicht mehr mein Gatte bist.“ Er sträubte sich natürlich; aber es geschah so, und er ging nach England. Von da schrieb er an sie, an seine Lucie, die „Briefe eines Verstorbenen“, welche ihn berühmt machten. Er suchte wohl kaum eine Frau, und er fand auch keine. So kam er zurück und rief: „Nun, Lucie, können wir uns zum zweitenmale trauen lassen!“ „Das würde lächerlich erscheinen,“ erwiderte sie, „und ist ja auch nicht nöthig. Die formelle Scheidung bedeutet uns nichts, und wir bleiben beisammen, als ob sie nicht geschehen wäre.“ So wurde es denn auch. Sie war älter als er und war eine vortreffliche Dame, gesegnet mit allen schönen Eigenschaften großen Adels, mit großem Sinn und großer Milde, und ausgerüstet mit dem edlen Berufe zum Regieren. Beruf ist die angeborene Fähigkeit: in’s Werk zu setzen; edler Beruf ist der hinzutretende Drang: Gutes und Schönes ins Werk zu setzen. Die Tochter Hardenberg’s hat diesen edlen Beruf einer jetzt schwindenden Adelsmacht in allen Lagen ihres Lebens ausgeübt, auch in den Lagen ökonomischer Bedrängniß, Es war ihr eine Lebenstendenz: fördersam zu wirken auch über den Kreis der naheliegenden persönlichen Interessen hinaus, fördersam zu wirken dem Ganzen und Großen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_164.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)