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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

antwortet ihm mit gleicher Schalkhaftigkeit und sie stellt ihn zur Rede, daß er sie eine „so fertige Briefschreiberin“ genannt, und meint: „Ohnmöglich wollen Sie mich zum Besten haben. Viel lieber will ich glauben, daß Sie diesesmal in den Ihnen ganz ungewöhnlichen Complimententon gefallen sind. Er kleidet Sie nicht; drum hüten Sie sich in’s Künftige davor.“ Von ihren geschäftlichen Mißhelligkeiten meldet sie nichts, gleichwohl wären dieselben noch immer so schwieriger und verwickelter Art, daß sie endlich den Entschluß fassen mußte, sich nach Beendigung einer Badereise wiederum von ihren Kindern zu trennen und in eigener Person nach Wien zu reisen. Auf dieser Reise, die ihr auch Gelegenheit zu einem Besuche Lessing’s gab, haben wir sie am Eingange unserer Schilderung im Posthause zu Ilmenau gefunden.

Das Reisen war in jener Zeit des vorigen Jahrhunderts noch eine ebenso beschwerliche, als gefahrvolle Sache und wurde im Allgemeinen nicht ohne dringende Veranlassung und nur äußerst selten zum bloßen Vergnügen unternommen. Schon in Ilmenau hatte Frau König über die bisherige Grundlosigkeit der Wege zu klagen. Um zwölf Uhr in der Nacht war sie endlich von dort weggekommen mit einem trunkenen Postillon und einem Halbblinden, der ihr leuchtete, aber schon nach einer Viertelstunde kein Licht mehr hatte. „Und just,“ so erzählt sie, „just im Thüringer Walde, wo man auf zwei Meilen keine Hütte antrifft und wo solche Wege sind, die man am Tage mit Lebensgefahr passirt. Nun glauben Sie, daß mir der Muth gefallen sei? Wahrhaftig nicht! ich stieg aus und suchte Tannenzapfen, die steckten wir an und so halfen wir uns fort! “

In allen ihren Reisebriefen finden sich lebhafte, culturgeschichtlich höchst interessante Schilderungen der ganz außerordentlichen Beschwerlichkeiten, Aergernisse, Gefahren und Gesundheitsschädigungen, die sie auf der langen Tour zu bestehen hatte. Ein erhebender Lichtpunkt dagegen war die überaus entgegenkommende und herzliche Aufnahme, welche ihr bei der Durchreise in angesehenen Häusern der süddeutschen Städte und endlich auch in Wien zu Theil wurde. „Ich stehe nicht dafür,“ schreibt sie aus Augsburg, „daß ich nicht sehr aufgeblasen und stolz zurückkomme, wenn ich überall so aufgenommen werde wie bisher.“ Dennoch wurde sie innerlich von der entgegengesetzten Stimmung, einer tiefen Schwermuth und Traurigkeit beherrscht und nur höchst ungern folgte sie den mannigfachen Zerstreuungen, die ihr die freundlichen und aufmerksamen Wiener bereiten wollten. Wiederholt klagt sie das schriftlich dem Freunde, geht aber dann bald scherzend über diese Empfindungsausdrücke hinweg, indem sie ihn durch Urtheile und Mittheilungen über Persönlichkeiten und über gesellschaftliche, literarische und künstlerische Verhältnisse Wiens zu unterhalten sucht.

Während Lessing vom Herbst 1776 bis zum Frühling 1771 – denn so lange währte die Abwesenheit der Frau König – diese Berichte empfing, hatten seine eigenen Verhältnisse sich gegen früher nicht verbessert, sondern verschlimmert und es war zu der peinigenden Geldnoth, von der ihn eine karge Besoldung nicht befreien konnte, noch die hemmende Gebundenheit in der Fessel des Herrendienstes und das einsiedlerische Leben einer menschenöden Winkelexistenz gekommen. Zum ersten Male mußte er, der stets so gern und so reichlich gegeben, der bisher namentlich seine unbemittelten Eltern und Geschwister, so aufopfernd unterstützt hatte, dem hochbetagten, dicht am Rande des Grabes stehenden Vater gestehen, daß er jetzt gänzlich außer Stande sei, ihm mit einer Geldsumme beizustehen. „Ich habe es,“ so schrieb er damals als nunmehriger herzoglich braunschweigischer Bibliothekar an seinen Bruder, „ich habe es, weiß Gott, noch niemals nöthiger gehabt, für Geld zu schreiben, als eben jetzt, und diese Nothwendigkeit hat natürlicher Weise sogar Einfluß auf die Materie, wovon ich schreibe. Was eine besondere Heiterkeit des Geistes, was eine besondere Anstrengung erfordert, was ich mehr aus mir selbst ziehen muß, als aus Büchern, damit kann ich mich jetzt nicht abgeben. Ich muß das Brett bohren, wo es am dünnsten ist; wenn ich mich von außen weniger geplagt fühle, will ich das dicke Ende wieder vornehmen.“ Dennoch schuf er seine „Emilia Galotti“ in dieser Zeit.

Daß Frau König in Wien die drangvolle Lage ihres großen Freundes in ihrem ganzen Umfange geahnt haben sollte, läßt sich nicht annehmen. In seinen Briefen findet sich keine Andeutung darüber, und hinter der Beharrlichkeit, mit der sie ihn auf einen Gewinn im Lotto hoffen sah, hat sie gewiß nicht die heimlichen Gründe vermuthet, welche ihn dazu veranlagten.

Es ist nicht mit Bestimmtheit anzugeben, wann in der Seele Lessing’s das herzliche Freundschaftsgefühl für Frau König zu einer klaren und bewußten Neigung sich entfaltet hat. Sollte er aber diese Liebe schon mit sich genommen haben, als er so ungern von Hamburg schied, so war sie doch sicher damals nur ein leise und heimlich glimmendes Fünkchen, das erst in jenem einsamen Wolfenbütteler Winter allmählich zu einem Feuer geworden und wie ein lichter Morgen- und Hoffnungsstrahl aus der Nacht der Sorge und des Mißmuths hervorgebrochen ist. Aus den Briefen des strengen, mit Gefühlsäußerungen so äußerst sparsamen Denkers klingen in dieser Zeit mit einem Male hie und da Gemüthstöne heraus, wie er sie in so besorgter und zärtlicher Weise niemals einem Menschen und besonders niemals einem Weibe geäußert hatte. Lessing war einer der schönsten und stattlichsten Männer seiner Zeit; es konnte nicht fehlen, daß die noble Eleganz seiner weltgewandten, durch körperliche Uebungen zu feinster Natürlichkeit entwickelten Haltung, sein regelmäßiges geistdurchleuchtetes Gesicht mit den offenen tiefdunkelblauen Augen, vor Allem aber der als hinreißend geschilderte Zauber seines entschiedenen und doch immer anspruchslosen und zuvorkommenden Wesens ihn frühe schon zu einem Liebling der Frauen machten. Um so auffallender ist es, daß die Geschichte seines langen Junggesellenlebens nichts von jenen stürmischen Herzensneigung und zärtlichen Beziehungen weiß, welche in der Jugend aller anderen Heroen unserer klassischen Literatur eine mehrfach so bedeutsame Rolle spielten. Die Annahme, daß es ihm an Seele, an Blutwärme und Leidenschaft gefehlt, ist durch viele Beweise des Gegentheils widerlegt, aber der große und platte Haufe der Toiletten- und Gesellschaftsweiber konnte ihm allerdings ein tieferes Interesse nicht abgewinnen.

Noch abstoßender und widerwärtiger aber mußte seinem immer geraden und wahrheitsliebenden Sinne alle gedunsene Schöngeisterei und Schönseligkeit, die geschraubte Unnatur jenes vordringlichen Blaustrumpfthums erscheinen, wie es schon damals bald als literarischer Dilettantismus, bald als erlogener, künstlich zusammengeflickter Bildungsaufputz in der deutschen Frauenwelt sich breit zu machen begann. Berührungen mit allen diesen Sphären, auch mit den Damen vom Theater, sind wohl mannigfach vorhanden gewesen; um sie jedoch ohne ernsteren Antrieb zu vorübergehenden Beschäftigungen seines Herzens und zu leidenschaftlichen Gefühlsspielereien zu benutzen, war der Sohn des sittenstrengen Pfarrhauses zu stolz gegen sich selber und zu gewissenhaft gegen Andere. Bei aller nachsichtsvollen Milde seines Urtheils und bei aller eleganten und weltmännisch freien Richtung seines Wesens war Lessing eine so durchweg keusche, aller Frivolität abgewendete Natur, daß wohl in dem damals sehr französirten Deutschland manches gelehrte Haupt mitleidig lächelnd die ehrwürdige Perrücke geschüttelt haben mag, als einst der fünfundzwanzigjährige Mann in seiner „Rettung des Horaz“ in Bezug auf manche diesem römischen Dichter vorgeworfene geschlechtliche Sünde das naive Geständniß ablegte: „Ich verstehe eigentlich hiervon nichts, ganz und gar nichts.“

Hatte also der Dichter der „Minna von Barnhelm“, der bereits in diesem Drama, sowie in seiner „Dramaturgie“ die echte Liebe mit so überaus warmen und lebhaften Farben zu schildern gewußt, hatte er, sagen wir, die Machte dieses Gefühls erst in seinem vierzigsten Jahre in sich selber erfahren, so ist damit nicht mehr und nicht weniger gesagt, als daß ihm bis dahin wohl kein Weib begegnet war, dem er eine so ganze und volle Hingebung hätte widmen mögen. Erst in Frau Eva König hatte sein reifes und waches Mannesauge dieses Weib erkannt, von ihr schrieb er später an seinen Bruder: „Es ist die einzige Frau in der Welt, mit der ich mich zu leben getraute.“ Und doch war sie keineswegs eine gelehrte Frau. Ihre Briefe aber zeichnen sich nicht blos in Bezug auf den klaren Fluß des Stils und die schöne Reinheit des oft naturwüchsig-derben Ausdrucks vor manchen zwanzig Jahre später geschriebenen Briefen hervorragender Männer aus, sie verrathen auch in der Selbständigkeit des Urtheils und in vielen treffenden meistens ganz beiläufig hingeworfenen Bemerkungen einen bei Frauen noch heute nicht alltäglichen Grad von inhaltsvoller Geschmacks- und Geistesbildung. Es ist Lessingischer Geist in diesen so schlichten und anspruchslosen Briefen, und Lessingisch ist auch der schelmische und schalkhafte Humor, hinter welchem die Schreiberin den Ernst ihrer tüchtigen Gesinnung zu bergen weiß.

(Schluß folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_163.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)