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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

in’s Bett, denn noch ist kein Pferd zu sehen und am Ende möchte ich mich doch noch mit dem Postmeister zanken. – Schlafen Sie wohl und bitten Sie den Himmel, daß ich in’s Künftige geschwinder befördert werde, so bleiben Sie von meinen Briefen verschont.

Dero ergebene Dienerin E. C. König.“

Das muntere und flüchtige Briefchen ist an sich nicht von Bedeutung, erhält aber doch ein pikantes Interesse durch den Umstand, daß es an diesem Orte, zu dieser Zeit und von dieser Frau an den damaligen Einsiedler zu Wolfenbüttel geschrieben wurde. War etwas im Stande, den bittern und grollenden Unmuth zu verscheuchen, welcher den geselligen und lebensfrohen, an beweglichen Verkehr mit der großen Welt gewöhnten Schriftsteller schon hie und da in der unheimlichen Reiz- und Regungslosigkeit seines gegenwärtigen Aufenthalts zu ergreifen begann, so waren es die Erinnerungen an seine zahlreichen Freunde in dem schönen und geistig angeregten Hamburg, wo er bekanntlich die vorangegangenen Jahre (vom April 1767 bis April 1770) gelebt hatte. Zu diesen Freunden gehörte auch die Familie des Fabrikanten und Seidenhändlers König, eines wohlhabenden und angesehenen Mannes, der mit anerkannter Rechtschaffenheit und Herzenswärme auch eine feinere Geistesbildung und ein Interesse für Literatur verbunden haben muß, da ihm Lessing sehr nahe stand, Taufpathe seines jüngsten Söhnchens war und ihn in einem Empfehlungsbriefe an Gleim seinen „speciellen Freund“ nannte. König, der zwar in Hamburg wohnte, aber Fabriken in Wien besaß, war durch seine weitverzweigten Geschäfte oft zum Reisen genöthigt. Als er im Jahre 1769 nach Venedig reiste, sagte er zu Lessing, der ihn eine Strecke begleitete: „Wenn mir etwas Menschliches begegnen sollte, so nehmen Sie sich meiner Frau und Kinder an.“ Es mochte wohl ein Vorgefühl sein, das sich plötzlich beim Abschiede des achtunddreißigjährigen Mannes bemächtigte. Denn er sollte in der That nicht zurückkehren. Kaum in Venedig angekommen, wurde er durch Erkältung von einer Krankheit ergriffen und schnell hinweggerafft, fern von der Gattin, mit der er elf Jahre in glücklichster Ehe gelebt, und die nun nicht blos die Sorge um die Erziehung ihrer vier unmündigen Kinder zu tragen, sondern auch durch unerwartete geschäftliche Bedrängnisse schwerster Art sich hindurchzukämpfen hatte. Denn die Vermögensverhältnisse König’s, der neben seiner Familie noch für elf Geschwister gesorgt, und sein und seiner Frau nicht unbedeutendes Vermögen in seinen umfangreichen Unternehmungen angelegt hatte, erwiesen sich bei der Regulirung des Nachlasses keineswegs als günstig, ja es stellten sich Verwicklungen heraus, die zu ihrer Ordnung einer starken Hand und eines klugen und redlichen Willens bedurften.

Für einen Charakter wie Lessing hätte es nicht erst der Mahnung des Freundes bedurft, um seine Anhänglichkeit einem so gebildeten Hause zu bewahren, in dem er sich wohl gefühlt, das ihn fast zu seinen Angehörigen zählte, dessen Kinder er liebte, als wären es seine eigenen. War er doch selber ein alleinstehender Mann, mit allem Drange seines Gemüths, mit all seinem Bedürfniß nach Mittheilung und herzlichem Anschluß an Diejenigen gewesen, die es mit Stolz erfüllte, ihm in ihren Häusern die gastliche Erholungsstunde bereiten zu dürfen. Er blieb also in dauernder Verbindung mit der verwittweten Frau Eva König, die ihm im hellen Glanze des bisherigen Glücks wohl immer schon eine anmuths- und eindrucksvolle Erscheinung gewesen, an der er aber jetzt auch die Kraft des Charakters, die praktische Tüchtigkeit, den klaren, tapfern und heitern Sinn, kurz alle jene Eigenschaften des Geistes und Herzens bewundern lernte, mit denen sie, kaum einige dreißig Jahre alt und bei zarter und schwächlicher Gesundheit, allen ungewohnten Pflichten und Widerwärtigkeiten einer ernsten Lebenslage zu begegnen wußte. Und sicherlich gereicht es dieser Frau zum besondern Ruhme, daß Lessing ihr nicht blos der gefeierte und verehrte Schriftsteller war, sondern daß sie mit feinem und sicherem Blicke in ihm auch das edle, reine und treue Herz, die selbstlose Lauterkeit des Gemüths, den großen und hochsinnigen Menschen erkannte, als den ihn erst die hervorragenden Geister der Nachwelt zu würdigen verstanden.

Leider aber war dieser große Mensch damals selber der Teilnahme in einem höheren Grade bedürftig, als seine Hamburger Freunde ahnen mochten. Seine persönliche Lage war eine gedrückte und sorgenvolle. Seitdem er seine schriftstellerische Thätigkeit eröffnet, hatte er abwechselnd in Leipzig, Berlin, Breslau und Hamburg gewirkt und seiner Nation an diesen verschiedenen Orten unter anderen Kleinigkeiten die „Literaturbriefe, den „Laokoon“, die „Dramaturgie“, ferner die „Fabeln“, „Philotas“, „Miß Sara Sampson“ und „Minna von Barnhelm“ gegeben. Eine lange Zeit hindurch gefiel er sich in dieser wandernden Heimathlosigkeit, in diesem Leben des „Sperlings auf dem Dache“, wie er es nannte, weil es seinem Bedürfniß nach Bewegung und erregendem Wechsel, nach Bereicherung seiner Welt- und Menschenkenntnis entsprach; aber seit einer Reihe von Jahren schon war in ihm das Streben aller soliden Naturen, die Sehnsucht nach einem bleibenden Aufenthalt, einem gesicherten und umfriedeten Wirkungskreise, erwacht. Aber alle Bemühungen seiner Freunde, dem stolzen Manne die gewünschte feste Stellung zu schaffen, waren ohne Erfolg geblieben, und auch in Hamburg, wo er eine solche sich gründen wollte, waren die theatralischen und buchhändlerischen Unternehmungen gescheitert, auf die er schöne Hoffnungen für die Zukunft gebaut. So stand er in seinem vierzigsten Jahre wieder da ohne jeden bestimmten Anhalt, dabei arm und mannigfach verschuldet, denn seine Leistungen während der letzten Jahre hatten ihm wenig oder nichts eingebracht. Seine „Minna“ ward zwar auf allen Theatern gespielt und riß überall das Publicum zum Entzücken hin; es wurden Scenen daraus „in Kupfer gestochen und auf Punschnäpfe gemalt“. Während aber die Pariser Poeten – so schrieb damals Ramler an Knebel – „von Einem solchen Stücke gespeist, getränkt, gekleidet und beherbergt wurden“, sann Lessing in gerechtem Mißmuthe nur über die Mittel und Wege nach, wie er am schnellsten seinem Vaterlande den Rücken kehren und auf italienischem Boden sein Wissen erweitern und verwerthen konnte.

Aber auch dieser Plan war leichter entworfen als ausgeführt; es fehlten zunächst die dreihundert Thaler, welche zur Bestreitung der Reise erforderlich waren, und im Uebrigen mag dann wohl auch der plötzliche Tod König’s und das Geschick seiner Angehörigen als ein Hinderniß dazwischen getreten sein. Genug, Lessing war in Hamburg geblieben und hatte in den Verlegenheiten, die ihn umdrängten, keinen anderen Ausweg, als sich selber die Schlinge um den Hals zu legen, mit der ihn bald der braunschweigische Hof in das elendeste aller Kummernetze zog. Die kleinen deutschen Höfe fingen damals an, sich gern mit glänzenden literarischen Persönlichkeiten herauszuputzen, wenn diese nämlich wohlfeil für den Fürstendienst sich anwerben und fangen ließen. Unter huldreichen Versprechungen für die Zukunft, die niemals erfüllt werden sollten, nahm ein Lessing auf der Höhe seines Wirkens die armselige Bibliothekarstelle in Wolfenbüttel mit einem Gehalte von sechshundert Thalern an!

Seine gelehrten Freunde, die ihn gern an Deutschland gefesselt sahen, jubelten über dieses Ereigniß, ihn selbst aber schienen bange Vorgefühle beschlichen zu haben. Denn trotz wiederholter Mahnungen aus Braunschweig, daß dort „alle fürstlichen Herrschaften, Prinzen und Prinzessinnen sehnlich auf sein Erscheinen warten“, dauerte es doch noch vier Monate, ehe er seiner bisherigen Unabhängigkeit entsagen und von seinen herzlichen bürgerlichen Kreisen in Hamburg sich losreißen konnte. Schon kurze Zeit nach seiner Ankunft in Wolfenbüttel klingt denn auch aus den Briefen des festen und entschlossenen Mannes ein weicher Ton von Sehnsucht heraus. Frau König hatte ihm Proviant geschickt und er entschuldigt sich wegen seines bisherigen Stillschweigens mit dem Geständniß, er sei eben den ganzen Tag unruhig, wenn er nach Hamburg schreibe, und es vergingen sodann drei Tage, ehe ihm Alles um ihn her wieder so recht gefiele, wie es ihm doch gefallen solle. Besonders nach den Kindern erkundigt er sich lebhaft und schreibt: „Es ist jetzt Alles so weitläufig und öde um mich, daß ich zu mancher Stunde gern wie viel darum geben wollte, wenigstens von meinen kleinen Gesellschaftern in Hamburg etwas um mich zu haben. Leben Sie wohl, meine liebe Freundin, und bedenken Sie fein, daß der Mensch nicht blos von geräuchertem Fleisch und Spargel, sondern, was mehr ist, von einem freundlichen Gespräche, mündlich oder schriftlich, lebet.“

Lessing hat um dieselbe Zeit manchen bedeutsamen oder interessanten Brief an Nicolai und Mendelssohn, an Ramler und Elise Reimarus geschrieben, aber in keinem dieser Briefe das drückende Gefühl der Vereinsamung, die innerste Stimmung seines Herzens so vertraulich und doch in so anmuthig scherzender Weise angedeutet, wie in den obigen Zeilen an die befreundete Kaufmannswittwe. Man sieht, er sehnt sich nach dem Hause, das doch in der letzten Zeit seines Hamburger Aufenthaltes keineswegs eine Stätte der Freude und der Zerstreuung war. Die Freundin

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