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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

„Bist Du etwa gar die Pointnerkathl?“ sagte der Kohlenbrenner. „Fallt mir schon wieder ein, weil ich Dich jetzt genauer anschau … Wir hab’n uns halt ein Bissel stark verwachsen, alle zwei; wir können uns alle zwei nimmer recht drauf besinnen, wie lang es her ist, daß wir jung gewes’n sind. Wo bist jetzt, Kathl, und was treibst?“

„Was werd’ ich treiben!“ erwiderte die Dirne. „Ich bin Sennerin drob’n auf der Brettenalm. Die Graserei ist heuer so schön und gut, daß wir gar nit g’nug ausrühren und Butter machen können, und weil der Abend so schön ist, so hab’ ich gedenkt, ich will nit bis auf den Samstag warten und will heut’ noch abtragen.“

„So, so, auf der Brettenalm?“ sagte der Kohlenbrenner. „Hast leicht so fortkönnen? Bin nie hinaufgekommen; aber es muß eine große Alm sein, so viel ich gehört hab’. Wird wohl noch wer droben sein bei Dir, daß das Vieh nit allein is? Wem g’hört denn die Brettenalm?“

„Freili, es ist wohl eine große Alm; ist leicht kein’ größere da in der Jachenau! Sind auch alleweil zwei Sennerinnen oben; heuer aber bin ich mit der Tochter da – wirst sie wohl kennen, die schöne Stasi vom Kurzen am Berg.“

„Dasselbe kann leicht sein, wenn ich mich auch g’rad’ nit d’rauf besinnen kann –werden nit viel Leut’ sein in der Jachenau, die der Kohlenveitl nit kennt! Aber wie ist denn das nachher? Dem Kurzen am Berg gehört die Brettenalm? Wenn mir recht ist, hat der ja nur ein einzig’s Dirndl; und die ist gen Alm gefahr’n und macht eine Sennerin? Ah, narrisch! Das ist doch nirgends der Brauch! Thun s’gewiß recht ruecherisch auf dem Kurzenhof, daß sie nit g’nug zusamm’scharren können, und wollen den Lohn für die Dirn’ ersparen?“

„A mein,“ erwiderte die Dirne lachend, „das hat ganz andere Ursachen. Es ist sonst nit gut reden davon, damit es nit heißt, ich richt’ sie aus … Sie hat’s nimmer aushalten können in der Jachenau von wegen dem … von wegen … na ja, Ihr werd’ts schon wissen, wegen was!“

„Wenn ich was weiß,“ sagte der Kohlenbrenner begierig, „will ich mich gleich mitten in mein’ Kohlenhaufen hineinsetzen. So red’ doch!“

„Ja red’!“ rief auch der Jäger. „Ich möcht’s auch wissen; hab’ schon allerhand läuten hören von der Sach’, aber das Richtige hat mir doch noch Niemand sagen können.“

Alle waren mit der erwarteten Neuigkeit so beschäftigt, daß Niemand auf Martl achtete, und das war gut; denn auch dem einfachsten Beobachter hätte die Bewegung nicht entgehen können, die ihn erfaßte, als Stasi’s Name ausgesprochen worden war. Unbemerkt und langsam hatte er sich in den von der Herdgluth nicht beschienenen Raum der Hütte zurückgezogen und lauschte begieriger noch als die Andern der Nachricht, welche die Sennerin geben sollte; er hielt den Athem an, und das Herz in seiner Brust schien stille stehen zu wollen, um besser lauschen zu können.

„Sie hat nimmer bleiben können,“ sagte das Mädchen, indem es die Stimme zum Flüstern dämpfte, „weil sie überall nix Anderes getroffen hat als Gelächter und Gespött. Sie ist eine unguete Person, alleweil fürig (mürrisch) und grantig, und hat für jeden Christenmenschen eine g’schnappige, abschnalzerische Red’ auf’m Teller; aber zunächst, wie heuer in der Jachenau der Bocktanz ist gehalten worden, da ist sie an den Unrechten gekommen. Da ist auch ein Bursch’ gewesen – wer, weiß ich nit; aber ein Holzknecht soll er sein – den hat sie auch foppen wollen und trotzen; der hat ihr aber die Zeitigen heruntergethan und hat s’ eine Z’widerwurz’n geheißen, und von demselbigen Augenblick an ist ihr der Namen geblieben, und wo sie gegangen und gestanden ist, hat s’ nix Anderes gehört als den Spitznamen. Wenn sie in die Kirch’ kommen ist, haben die Bueb’n gesagt: ‚Geht’s auf die Seiten, daß sie Euch nit beißt – die Z’widerwurz’n kommt!‘ Wenn s’ über’n Hof gegangen ist, hat sie’s von den eig’nen Knechten und Mägden in’s Ohr hineing’hört: ‚Weicht’s aus! Da geht unser’ Z’widerwurz’n.‘ Da ist sie desperat worden und hat gemacht, daß sie den Leuten aus’m Gesicht gekommen ist, und ist ’nauf auf die Alm, damit sie vielleicht vergessen wird, die Geschicht’, bis man wieder abtreibt im Herbst!“

„Recht ist ihr gescheh’n,“ rief der Kohlenbrenner, „der grantigen Gretl! Wird wohl auch eine von denen sein, die glauben, weil s’ reich sind, wären sie auf der Brennsuppen daher geschwommen, die andere Leut’ aber auf’m Wasser. Giebt sie’s nachher jetzt klein bei, drob’n auf der Alm?“

„Hab’ noch nit viel gespürt,“ sagte die Dirne lachend, indem sie sich aufrichtete und ihre Kraxe wieder auf den Rücken nahm. „Die meist’ Zeit geht sie sinnirend herum wie eine Henn’, die nit weiß, wo sie ihre Eier hinlegen soll … aber es wird schon völlig Nacht; ich muß machen, daß ich durch’n Wald ’nunterkomm’, eh’s ganz finster wird; da giebt’s Z’widerwurzen g’nueg im Weg, über die man stolpern kann.“

„Ich geh’ mit,“ sagte der Kohlenbrenner, sich ebenfalls erhebend. – „Es wird auch schon Zeit, daß ich nach mein’ Bueb’n und nach mein’ Meiler schau’. Gut’ Nacht, Martl!“

„Gut’ Nacht, Holzknecht!“ rief die Sennerin’ zurück, indem sie mit dem Kohlenbrenner gegen den Waldabhang schritt. –„Ich dank’ schön für’n Unterstand; wir kommen schon einmal wieder zusammen, denk’ ich.“

Martl, noch immer in der alten Stellung, schien gar nicht zu bemerken, daß die Beiden sich entfernten; auch der Jäger stand jetzt auf, trat zum Herde, um seine Pfeife anzuzünden, und rief: „Ich denk’, ich werd’ mich auch auf den Weg machen. Ich bin ausgerastet, daß ich’s wohl werd’ machen können bis hinunter in die Förstnerei … Gute Nacht, Floßermartl!“ fuhr er fort, indem er vor ihn hintrat und den noch völlig Achtlosen mit der Hand auf die Schulter klopfte. Schlaf’ nit etwa gar ein da heraußen! Und wegen demselben Amulet, von dem wir geredet haben, ist mir jetzt schon das rechte Licht aufgegangen. Was ich zuvor schon gehört hab’ und was die Dirn’ just erzählt hat, – wenn ich mir das Alles zusammenreim’, mein’ ich alleweil’, ich kenn’ den Holzknecht, der der Kurzenstasi den Spitznamen aufgebracht hat. Hast schon Recht, das Amulet kann schon gut sein für gach aufsteigende Hitzen! Geh’ Du nur zum Königsschießen, Martl, und hol’ Dir ein Bestes! Es ist gescheidter, als wenn Du Dir solche Sachen in den Kopf setzen thätest, die doch keinen Zusammenstand haben und keine Heimath!“ Der Jäger eilte den Anderen nach, und bald verklang sein Tritt im Schweigen des Waldes, der ihn mit doppelt undurchdringlicher Nacht umfing.

(Fortsetzung folgt.)




Eva.
Ein Frauenbild aus dem vorigen Jahrhundert von Albert Fränkel.

Wenn das jetzt so vielbesuchte Wald- und Bergstädtchen Ilmenau zu jenen „classischen Stätten“ des Thüringerlandes gehört, auf welche einst die goldenen und lustigen Tage von Weimar einen Strahl ihres unvergänglichen Glanzes warfen, so war es doch sicher noch ein recht öde und abgeschieden jenseits der Welt liegender Ort, als dort am Abend des 17. August 1770 eine fremde Dame verweilen und Stunden hindurch auf die Postpferde warten mußte, die sie mit ihrem Wagen und ihrer Dienerin weiter über das Gebirg führen sollten. Von dem aufblitzenden Stern des jungen Goethe wußten im Jahre 1770 nur seine nächsten Bekanntenkreise; er lebte damals als Student in Straßburg, und sein zukünftiger Freund und Lebensgenosse Karl August seufzte noch als ein elfjähriger Knabe unter der pedantischen Zucht eines strengen und steifen Erziehers. Niemand in Deutschland ahnte die Macht der hohen Culturblüthe, die bald in diesem stillen Winkel, auf dem Boden dieses unbedeutenden thüringischen Ländchens und seiner armen Hauptstadt sich entfalten sollte. Der Aufschwung war aber vorbereitet, es waren ihm schon die Wege geebnet und die Ziele gewiesen durch jenen gewaltigen Kämpfer, jenen großen Denker und Dichter, der jetzt vereinsamt durch die öden Räume der Wolfenbütteler Bibliothek wandelte und auf das arbeitsvolle Ringen zurückschaute, mit dem er nun beinahe zwanzig Jahre hindurch unermüdlich und unter unausgesetzten Bedrängnissen jene Keime ausgestreut hatte, denen Weimar seinen Ruhm, Deutschland bis zum heutigen

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