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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


ein den ganzen Tag über die Kirchthür offen stand, war es doch nicht zu besorgen, daß irgendwer an den alten Büchern sich vergreifen würde, so anziehend manches gerade durch sein Alter sein mochte. Wer nicht auf der kleinen Emporbühne bei den Schulkindern und in der Nähe der ländlichen Orgel Platz finden konnte, ergab sich in sein Schicksal, draußen auf dem Friedhof zwischen den Gräbern zu stehen, deren einfache Kreuze und Denkmale nebst einem schlichten „Requiescat in pace!“ und irgend einem frommen Spruche die Namen der früheren Hofbesitzer trugen, welche den Platz, den sie früher in der Kirche gehabt, nun um einen solchen vor derselben vertauscht hatten. Meist die jüngeren Burschen waren es, welche den Platz vor der Thür vorzogen, theils aus angeborener Lust zur Freiheit, theils weil es Brauch war, am Ende des Hochamts die Mädchen aus der Kirche an sich vorbeiziehen zu lassen. Eine Stelle möglichst nahe an der Kirchenthür war daher sehr erwünscht und gesucht. Den Hut in den gefalteten Händen vor die Brust gedrückt, lauschten sie den einzelnen Worten der Predigt, die zu ihnen herausdrangen, und ließen die Augen durch das mütterliche Thal streifen und die heimathlichen Berge hinan. Es war wohl eine Stelle, an der man andächtig sein konnte, auch ohne das Gewölbe einer Kirche über sich zu haben. Wenn die Orgel aus der offenen Thür erscholl, wenn der Morgenwind durch die Lindenwipfel jenseits der Kirchhofmauer rauschte und das lange Gras auf den Gräbern wanken machte, dann aber wieder den jungen Burschen um die Stirn und in den blonden Locken spielte, als wollte er mahnen, wie bald vielleicht auch sie den frischen Hauch des Lebens nicht mehr spüren würden, wie Diejenigen, die unter ihren Füßen gebettet lagen – dann mußte es wohl ein starres Herz sein, durch das nicht ein frommer Ahnungsschauer der Ewigkeit gegangen wäre.

Vor dem Altare standen die Frauen und Töchter mit Körben und Schüsseln gedrängt, des Augenblicks wartend, der den darauf befindlichen schön geschmückten Speisen die Osterweihe ertheilen sollte; das Hauptstück des Festes aber, das drinnen nicht wohl angebracht werden konnte, stand draußen vor der Thür: ein kleiner vierräderiger Karren, dicht mit Tannenreisig umwunden, daß er wie eine grüne Kiste aussah. An den Ecken waren kleine Wipfel aufgestellt und untereinander durch Kreuzgewinde verknüpft, während den freien Raum in der Mitte frischgepflücktes Waldmoos bedeckte. Auf diesem lag der Osterbock, ein sonderbares Gericht, aus einem ganzen gebratenen Widder bestehend; denn die Sitte – nunmehr mit manch Anderem bis auf eine schwache Erinnerung verloschen – verlangte, daß jedes Jahr ein anderer Hof ein solches Thier zu stellen hatte, und es war der wetteifernde Stolz Aller, einen ganz auserlesen schönen Widder zu liefern, der dann in Viertel zerstückt, so gebraten, dann aber wieder zusammengesetzt wurde, daß er annähernd seine vorige Gestalt hatte. Der Kopf blieb in seiner natürlichen Beschaffenheit erhalten, mit Blumen bekränzt und an den Hörnern stark vergoldet – eine längst nicht mehr verstandene Erinnerung an jene Zeit, als die Bewohner dieser Thäler noch der altdeutschen Frühlingsgöttin Ostera einen Widder zum Opfer zu schlachten pflegten. Die Zusammensetzung und noch mehr die Vertheilung des gebratenen Thieres forderte viel Kunst und Geschicklichkeit; denn es mußte genau so viele Theile geben, als Höfe oder Haushaltungen in der Gemeinde waren, und es wäre ein arger Verdruß entstanden, wenn der Eine oder Andere zu kurz gekommen wäre oder den Theil nicht erhalten hätte, der nach altem Herkommen ihm oder seinem Hause gebührte. Der Osterbock – darüber waren alle Umstehenden einig – suchte diesmal wirklich seines Gleichen. Man sah wohl, daß der Kurz am Berge einer der reichsten Bauern der Gemeinde war, daß er nicht geknausert hatte, einen Widder von seltener Art und Größe auszuspüren, und das gebratene Fleisch ließ schon durch den bloßen Anblick seiner besondern Zartheit das ausgesuchte Futter errathen, mit dem er gemästet worden war. Nicht minder war die Ausstattung ausgezeichnet und selten und bot durch den Reichthum von Blumen, die zu dieser Jahreszeit und in dieser Gegend wirklich eine wunderbare Erscheinung waren, einen ungemein lieblichen Anblick.

„Da sieht man’s,“ sagte einer der Burschen, „was die Schwester von dem Kurzbauern für a tüchtiges Leut ist! Solche Blumen giebt’s um diese Zeit nit weit und breit. Ich hab’ ein einziges Mal solche in der Stadt München in einem Glashaus gesehen. Die muß sie von dort haben kommen lassen, das kann ein schönes Stück Geld kosten.“

„Ich bild’ mir ein,“ sagte ein anderer Bursche, „die Verzierung und die Blumen sind nit auf der alten Kurzin ihrem Mist gewachsen. Das hat gewiß die Tochter ausgestudirt, die Stasi; das ist eine gar Feine, eine von den Ausgestochenen – der sieht so was eher gleich, mein’ ich!“

„Na, dassel’ glaub’ ich nit,“ sagte der Erste wieder, während aus der Kirche die einfallende Schlußcadenz der Orgel verkündete, daß der Pfarrer den letzten Segen über die Anwesenden gesprochen hatte. „Die Kurzenstasi ist viel zu ungut zu so ’was; sie vergönnt ja keinem Menschen ein freundliches Wort, und wenn sie lacht, steigt sie allemal auf den Heuboden hinauf, nur daß man es nicht sieht! Aber jetzt macht, das Amt ist gleich aus, daß wir in’s Wirthshaus hinunterkommen und einen guten Platz finden!“

Indessen war der Holzknecht, nachdem er den Eindruck der unangenehmen Begegnung abgeschüttelt, seine Straße weiter gegangen, hatte am Kirchweg den Hut gezogen und sich andächtig bekreuzt; dann aber schlug er die Richtung nach dem Thale ein und schritt das Wirthshaus entlang, dessen gastlicher Giebel so einladend emporstieg, als freue er sich schon des Besuches, der bald nach dem Gottesdienste seine Räume füllen und seine Vorräte in Küche und Keller leeren werde. Eben war der Wirth unter die Thür getreten und horchte nach der Kirche hin. „Sie sind schon beim Sanctus,“ rief er dann in’s Haus hinein. „Richtet nur Alles her und setzt den Wurstkessel über’s Feuer! Jetzt werdens bald da sein, die Gäst’!“ Eben wollte er selbst wieder in’s Haus zurück, als er den vorüberschreitenden Wanderer gewahr ward und überrascht inne hielt. „He, holla!“ rief er dem Holzknechte zu. „Das wird nit aufgeführt; am Wirthshaus in der Jachenau geht man nit vorbei, ohne daß man einkehrt. Nur herein da und ein Maßl mitgenommen auf den Weg! Das ist ein alter Brauch; den laß ich nit abkommen.“

„Weil Du halt selber alleweil’ der Alte bist und bleibst,“ sagte der Holzknecht, indem er näher trat und die Axt mit dem Werkkorbe ablegte. „Grüß Gott, Wirth! So gieb mir halt ein’ Krug her! Ich hab’ mich freilich nit aufhalten wollen; aber ich denk’, ein Maßl werd’ ich schon zwingen, eh’ die ganze Remissori daher kommt.“

„Ja, was sieh’ ich denn?“ rief der Wirth mit freudiger Verwunderung, indem er dem Burschen die Hand bot, in die dieser kräftig einschlug. „Das ist ja der Floßermartl von Lenggries! Ja, wo kommst denn Du her, Martl, um die Zeit und in dem Aufzug und noch dazu am heiligen Ostertag? Du siehst ja aus wie ein Wilder oder ein Waldmensch!“

„Das glaub’ ich selber,“ sagte der Bursche, indem er auflachend einen Streifzug über seinen Anzug gleiten ließ. „Justement weil ich weiß, daß ich nit ausschau’, wie sich’s unter den Leuten und gar an einem so hohen Feiertag gehört, hab’ ich mich vorbeidrücken wollen, damit mich Niemand ersehen soll … ist aber auch kein Wunder, wenn man geraden Wegs von der Arbeit herkommt!“

„Von der Holzarbeit?“ fragte staunend der Wirth, nachdem er aus dem dargebotenen Kruge des Gastes Bescheid gethan. „Wer wird denn um die Zeit schon in die Berge gehn?“

„Ein bissel früh ist’s freilich,“ erwiderte Martl mit leichtem Achselzucken; „aber was willst machen, wenn Du ein armer Teufel bist und darauf aus sein mußt, daß Du Dir einen Kreuzer verdienst! Droben am Altlacherberg, wo’s hinein geht gegen die Hexenbruck und gegen das Schönberger Moos, ist eine Lahn niedergegangen und hat ein’ schönen Waldspitz niedergedruckt und übereinandergeworfen wie Schwefelhölzer. Der Forstner von der Altlach, der hätt’s gern gesehn, wenn das Holz aufgearbeitet wär’, bis der Auswärts da wär’, damit er den Platz gleich wieder aufforsten könnt’ … Du weißt, Wirth, wir haben nit viel Uebriges, ich und meine alte Mutter; von dem kleinen Häusel draußen an der Wegscheid laßt sich nichts herunterbeißen, und im Winter, wenn die Floßfahrt nimmer geht, ist nit viel zu verdienen. Der Forstner hat gesagt, er wollt’ gern die Arbeit zahlen und noch baare fünfzig Gulden darauf legen, wenn der Platz bis zum Ostertag völlig geräumt wär’ …“

„Ich hab’ von dem Schneebruch gehört,“ schaltete der Wirth ein; „es sollen in die hundert Klaftern sein …“

„Ja es ist ein schönes Neigel – aber fünfzig Gulden extra ist auch ein Wort – also hab’ ich mich frisch daran gemacht; ich weiß ja, was ich zwingen kann, wenn ich so recht hinter der Arbeit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_142.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)