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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Ein Jahr später! Wie ein Wetterstrahl fuhr der entthronte Kaiser auf’s Neue über das Meer. Noch einmal bebte Alles vor den kommenden Schrecknissen. An dem Thore Malmaisons hält ein Wagen. Napoleon steigt hastig aus – Denon, Molé und Labedoyère folgten ihm. Als der Kaiser das Vestibüle betritt, zuckt sein bleiches Antlitz heftig – er grüßt nur flüchtig die ihn empfangende Königin Hortense, dann eilt er in die Galerie. Seine Blicke schweifen umher, die Augen vermögen nicht lange auf einem Gegenstände zu ruhen, es ist als jage die Erinnerung seine Blicke, als dulde sie nicht, daß er bei Diesem oder Jenem verweile. Er eilt durch den Park, er besucht alle Plätze, alle Stätten des früheren Glückes. Er speist allein mit Hortense, dann wandelt er wieder durch die Zimmer und sein Blick ist ruhiger geworden, er haftet mit dem Ausdrucke unendlicher Zärtlichkeit auf all diesen so theuren Gegenständen. Jetzt steht er vor dem Sterbezimmer Josephinens, seine Hand ruht auf dem Drücker der Thür; Hortense will folgen, aber eine gebieterische Bewegung des Kaisers scheucht sie zurück. Er betritt allein das Zimmer und schließt die Thür hinter sich; eine Stunde lang verweilte er in dem Gemache – die Königin sah Thränen in seinen Augen, als er heraustrat.

Waterloo! In diesem Namen liegt die Geschichte des Sturzes eines Titanen. Gebeugt und geknickt verließ Napoleon Armee und Herrschaft. Sein Schicksal ist entschieden, doch ehe er die einsame Insel betritt, will er noch an dem ihm liebsten Orte weilen – Malmaisons Luft will er athmen – der Hauch Josephinens, der aus den Blumen und Bäumen, welche sie gezogen, zu quellen scheint, soll ihn noch einmal umfächeln. Fünf Tage blieb er in Malmaison – dann nahm er von Hortense – von Frankreich auf immer Abschied. An der rechten Schloßseite befindet sich ein kleiner Stein, der einen Adler und die Inschrift zeigt: Dernier Pas de Napoléon, partant; pour Rochefort le 29 Juin 1815. A quatre heures après-midi. (Letzter Schritt Napoleon’s bei seiner Abreise nach Rochefort, am 29. Juni 1815, Nachmittags vier Uhr.) Hier war es, wo der Gestürzte sich losriß von Malmaisons geliebter Erde. – 1826 kaufte der Schwede Hagermann das Schloß; 1842 Marie Christine von Spanien; 1861 Napoleon der Dritte, der heute auf Wilhelmshöhe über den Fall seines Hauses nachdenken kann – unterdessen zerstörten die Kugeln der Franzosen den Ort, an welchem der Gewaltigste ihrer Herrscher am glücklichsten war. Pauvre Maison! sollten sie das Schloß taufen; diese Mauern haben ein unverdientes Schicksal erlitten, sie hätten geweiht sein sollen durch Josephine!


Um Paris herum.
Von Friedrich Gerstäcker.
II.

Wie oft haben wir jetzt auf der Karte mit mißtrauischen Blicken die Forts St. Denis und Mont Valerien betrachtet, und dabei ziemlich sicher herausgefühlt, daß das wohl die beiden schwierigsten Aufgaben sein würden, diese größten Schutzwehren der Hauptstadt im Norden und Westen zu bewältigen, um dem übermüthigen Paris auch von diesen Seiten beizukommen. Das Alles liegt jetzt wie ein Traum hinter uns. Paris hat capitulirt, unsere Kanonen drohen von den Wällen ihrer eigenen Forts auf die gedemüthigte Stadt nieder, und frohe Friedenshoffnung kehrt in die Herzen Derer zurück die sich noch vor Kurzem als grimme Feinde gegenüberstanden.

Ich selber war gerade, und zwar am 26. Januar, in Margency, im Hauptquartier des Kronprinzen von Sachsen eingetroffen, und von Seiner königlichen Hoheit so gütig wie herzlich aufgenommen worden. Schon am Abend aber traf die Nachricht dort ein, daß, bis auf weitere Ordre, mit schwerem Geschütz nicht mehr geschossen werden solle, und es war da keinem Zweifel unterworfen, daß Friedensunterhandlungen im Werke sein müssen. Ohne diese Aussicht hätte Graf Bismarck sicher in keinen Waffenstillstand gewilligt. Die Bestätigung ließ auch nicht lange auf sich warten.

Am Achtundzwanzigsten Abends brachte ein Reiter, von den Vorposten aus, den „Petit Moniteur“ von Paris, und zwar schon die Nummer vom Neunundzwanzigsten, die gegen eine Hammelkeule eingetauscht worden, und sie enthielt – für die Pariser allerdings noch ein wenig verzuckert, die ersten Bedingungen der Capitulation mit der Hauptsache, daß sämmtliche Forts von unseren Truppen besetzt werden sollten.

Auf den nächsten Morgen zehn Uhr war die Uebergabe bestimmt, oder sollte wenigstens dahin aufgebrochen werden, und der kleine Zug, der Kronprinz mit seinem ganzen Stab und einer kleinen Escorte oder Ehrenwache von Garde du Corps, setzte sich, nicht eben in großer Eile, in Bewegung, denn derartige Sachen sind nun einmal in diesem Kriege nicht über’s Knie zu brechen. Der Unfall von Laon hat unsere Armee vorsichtig gemacht, und man fängt an, das Ehrenwort der französischen Officiere nicht mehr als genügende Garantie zu betrachten.

In einem kleinen Orte La Barre wurde Halt gemacht, dort fanden wir schon Infanterie und besonders Pionniere vor, und diese mußten jetzt vorausgehen, um die Festung selber genau zu untersuchen, die Minenräume aufzufinden und, soweit das in der kurzen Zeit überhaupt möglich war, sicher zu stellen, daß keine Hinterlist beabsichtigt werde.

Einer[WS 1] der für die Uebergabe zurückgelassenen Officiere, der herüberkam, bat, beiläufig gesagt, auch darum, daß man nicht mit „klingendem Spiel“ nach St. Denis „einziehen möge“, was ihm aber freilich rund abgeschlagen wurde. Die Pariser Herren haben es wahrlich nicht verdient, daß man die geringste Rücksicht auf ihre „Gefühle“ nimmt. Die Folge davon wäre gewesen, daß sie in die Welt hinausposaunt, die „Prussiens“ hätten selber nicht einmal an ihren Erfolg geglaubt und sich nur scheu in die Festung hineingeschlichen.

Während der Zeit, welche die Pionniere und verschiedene Ingenieure gebrauchten, die jetzt offene Festung zu untersuchen, schlenderte ich in dem kleinen Orte umher – aber es war ein trauriger Anblick, immer nur wieder und wieder diese von ihren Bewohnern verlassenen und dann zum großen Theil verwüsteten Ortschaften anzuschauen.

La Barre schien in der Zeit der Beschießung, als zu dicht unter den Kanonen der Forts gelegen, von keinem Theile, weder von Franzosen noch Deutschen besetzt gewesen, und deshalb vollständig ausgeräumt zu sein. Ich selber habe wenigstens, mit Ausnahme einiger Häuser, noch bisher keinen Platz so leer gefunden, als diesen kleinen Ort, welcher Gebäude aufwies, in denen sich weder Tisch, noch Stuhl, noch Bett, ja nicht einmal mehr Fenster und Thüren befanden, weil man eben Alles zu Feuerung verwandt hatte.

Nur in der letzten Zeit, als unsere Batterien und Vorposten von allen Seiten näher vorgeschoben und befestigt wurden, sind die deutschen Truppen hier eingerückt, und die Soldaten haben, gewissermaßen als ein Zeichen ihres Geschmacks, eine Gruppe von Figuren mitten auf dem dreieckigen Marktplatz aufgestellt, die wirklich Nichts zu wünschen übrig läßt. Den Mittelpunkt davon bildet ein Geschützstück eigener Art: die hintere Achse eines Wagens mit den beiden hohen Rädern, und über diese hin ein langes starkes Ofenrohr gelegt, so daß man es aus der Ferne recht gut dür einen Vierundzwanzigpfünder halten konnte. Dieser Achse zur Seite stand Eugenie selber – eine gar nicht unschöne Gypsbüste, aber als ganze Figur ausstaffirt und sehr anständig bekleidet. Das vorn sichtbare Hemd, das sie trug, war D. D. gezeichnet, nur die Crinoline etwas zu groß und der Ueberwurf defect. Sie hielt das Gestell eines Regenschirms im Arm, und außer einem großen Korbe mit leeren Flaschen und einem mit ähnlichen Dingen hochauf bedeckten Kinderwagen deutete auch eine Inschrift an, daß sie hier ein Marketendergeschäft besorge.

Der Kinderwagen war übrigens der allgemeinen Zerstörung, die ihn sonst ebenfalls mit ereilt hätte, durch den Scherz entgangen. Jetzt stand er dort unantastbar, und der glückliche Besitzer kann ihn, wenn die geflohenen Bewohner ihre verödete Heimath wieder aufsuchen, ungeschädigt in Besitz nehmen. Die Phantasie der Soldaten war aber damit noch nicht erschöpft gewesen, und zahlreiche Exemplare ähnlicher Individuen, von denen noch ausgestopfte Hosen als Beine und ebensolche Jacken herumlagen, gaben davon Zeugniß. Die letzten Regen schienen freilich der

  1. Vorlage: Eienr
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_136.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)