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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


die Kälte dringt durch, trotz der warmen Sachen, welche die Mutter von Hause geschickt hat. Das ist das schneidige Regiment vom Zieten aus dem Busch, das heißt nur eine Schwadron, die als Stabsschwadron beim Feldmarschall Dienst thut; die anderen Schwadronen sind beim Herzog Wilhelm von Mecklenburg, bei dem tapfern Reiterführer. Aber weiter davon liegen auch noch Husaren – eine andere Couleur – das sind stämmige Burschen, rothe, blonde Gesichter, und mit Rößchen so gelenk, graciös und leicht, als müßten sie kaum den Erdboden berühren – es sind die Holsteiner sechszehnten Husaren, die kecke behende Reiterschaar aus den Marschen. Weiter vorn hält eine Reitergruppe von Officieren auf prächtigen stämmigen Pferden, Generalstäbler, Infanteristen und Cavalleristen, soweit man aus den Paletots und Mänteln und übergeschlagenen Kapuzen ersehen kann. Ein älterer Herr ist in der Mitte, der trägt keine Kapuze, nur eine simple Infanteriemütze, aber was darunter sitzt und hervorschaut, das ist die Hauptsache, ein eiserner Kopf von einem grauröthlichen Barte umgeben und ein Paar helle, klare, kecke, kriegslustige Augen. Er ist der älteste unter denen, die um ihn sind, vielleicht sechszig Jahre, vielleicht ein paar darüber, aber er scheint das nicht zu spüren, denn er sitzt gar frisch und wohlgemuth auf dem Pferde, den Krimstecher um die Schultern und eine Karte in der Hand. Da kommt ein Jüngerer an ihn herangeritten, macht seine Honneurs und redet ihn mit „Excellenz“ an, und dann hört man so etwas vom neunten Corps – „Excellenz“ und „neuntes Corps“? Richtig, der junge Sechsziger ist der General von Manstein, der Commandirende des neunten Corps. Er versammelt jetzt seine Generale um sich und scheint ihnen Befehle zu geben, er zeigt auf die Karte, dann nickt er grüßend und reitet mit seiner Suite rechts in den Wald hinein. Einer der jüngeren Officiere reitet die Straße nach Artenay zurück.

„Wohin, Herr Camerad?“ fragt einer der bei der Batterie stehenden Artillerieofficiere.

„Nach Champigne, dort sollen sie noch am dichtesten sitzen, ich hole die Elfer und Vierundachtziger heran; das neunte Corps löst das dritte ab, das dritte hat andere Direction bekommen. ’Morgen!“

Vorne, von der Waldecke her, kommen ein paar Bataillone anmarschirt, sie sind vom dritten Corps, biegen links in den Wald ein; nun kommt auch an die Artillerie der Befehl, der Infanterie weiter in den Wald nachzufahren; die Gäule werden angetrieben, vorwärts geht’s, die Bedienungsmannschaften acht Mann hinter der Kanone her, und wenn die Franzosen jetzt dort in dem Holze sich zeigen würden, keine drei Minuten dauerte es, so hätten sie die erste Leib- und Magenpille weg; so fix ist unsere Artillerie. Aber auch rechts von der Straße fährt jetzt die des neunten Corps um die Ecke nach dem Walde hinein, in der nämlichen Richtung, die der General von Manstein vorhin genommen hat. Die Elfer und Vierundachtziger waren etwa drei Viertelstunden auf der Straße zurück, am Morgen war ich durch ihre Colonnen durchgefahren; seit sechs Uhr standen sie gefechtsbereit, die Einen bemüht, sich äußerlich an einem Feuer zu wärmen, die Anderen innerlich aus der Flasche, die wollenen Leibbinden hatten sie sich um den Hals gelegt, die Arme mit den großen Fausthandschuhen schlugen sie sich über die Brust und mit den Füßen hopsten sie, um sich ein Bischen Wärme in den Leib zu bringen. Ich glaube, daß es den Soldaten gar nicht so unlieb war, als der Befehl sie in Bewegung setzte, gleich querüber in den Wald, von wo das Geschützfeuer kam, dort wird’s ihnen noch heiß genug werden, und so zog Alles auf verschiedenen Wegen in den Kampf hinein.

Das ist heute ein Marsch – Marsch – Trab – Trab – Galoppiren und Carrièren auf der Straße, die so etwas wohl noch nicht erlebt hat. Dort kommt schon wieder eine Colonne von zwei, drei Wagen, eine ganze Reihe lange graugestrichene Wagen mit Stangen und Werkzeugen fast übervoll beladen und zu Allem noch oben mit Soldaten und Gewehrläufen dicht besetzt. Bei solcher Ladung sind schon vier und selbst sechs Pferde nicht zuviel. Voran reitet ein Officier – ein Dragoner – wenn man den kennt und sieht, dann weiß man auch, wer ihm folgt. Es ist der Lieutenant Flaminius, aber, wie ich gleich beisetzen will, um Irrthümer zu vermeiden, kein alter Römer. Im Kriege sitzt er als Officier auf dem Pferde, im Frieden aber auf einer königlichen Domaine in der Mark, was auch nicht zu den Unannehmlichkeiten des Lebens gehören soll. Die er führt, das ist die Etappen-Telegraphenabtheilung Nr. 2. Die Wagen halten, die Pionniere sitzen ab, richten eine Stange auf, rammen dieselbe in die Erde ein, und wie sie fest ist, lehnt Einer eine schmale Leiter an, steigt auf und wickelt oben um die Glocke einen Draht, den die Anderen unterdessen in großem schweren Bunde aus dem Wagen genommen haben. Etwa zehn Minuten dauert das Ganze, dann ist die Sache gemacht, die von den Franzosen abgeschnittene zerstörte Telegraphenleitung wieder flott gemacht, und so geht es von einer Stange zur andern, bis vor an die Waldecke. Aber dort steigt der Pionnier, kaum oben angelangt, gleich wieder von der Leiter herunter, so schnell, daß er den Draht noch nicht befestigt haben kann. Er sieht nämlich schwarze Punkte in der Luft – es sind Granatenstücke, die von den Franzosen herüberkommen, ein Beweis, daß diese nicht allzu fern sind. Wenn die aber mit solchen Telegraphen arbeiten und sprechen, dann zieht sich der Pionnier sachte zurück und denkt sich: „Na denn nich.“

Nunmehr macht sich der Pionnier an eine andere Arbeit; es muß doch ein Eckchen zu finden sein, wo man den Apparat aufstellen kann. Vielleicht im Wirthshause selbst – du lieber Gott, das liegt noch vom gestrigen Tage voll Verwundeter, kein Raum ist leer, in dem einen Flügelgebäude ist auch nichts zu machen, da haben die Granaten von gestern gewirthschaftet und Löcher gerissen, daß man besser thäte, den Apparat gleich draußen auf der Straße aufzustellen. Endlich ist in dem andern kleinen Hause ein Local gefunden, aber in einem erbarmungswerthen Zustande. Tische und Stühle, Gläser, zerbrochene Weinflaschen, Patronen und abgenagte Knochen liegen in einem Wust von schmutzigem Stroh; es sieht aus, als hätte sich ein Zug französischer Soldaten darin betrunken und wäre dann durch unsere Granaten genöthigt worden, das Local gefälligst zu verlassen. Wo aber eine Scheuerfrau verzweifeln würde, da greift ein tüchtiger Pionnier wacker zu, und so ist es denn auch schon nach einer halben Stunde vollständig gereinigt, gelüftet, im Kamin brennt ein tüchtiges Feuer und auf dem Tische hämmert bereits der Telegraph. Das ist doch ein ganz eigen Ding, an solch einsamer Stätte im tiefen Walde den Pionnier der Civilisation arbeiten zu hören. Das Hauptquartier hat einen eigenen Telegraphendirector, von Brabender, der sitzt am Apparat und prüft, ob Strom da sei. Er versucht mit Versailles zu sprechen und seinen dortigen Collegen zu fragen, ob er gut geschlafen habe und wie es mit dem Bombardement stünde. Nach einer Weile antwortet der auch, und Herr von Brabender kann dem Generalfeldmarschall melden, die Telegraphenstation Auberge St. Hubert sei eröffnet. Das Jägerwirthshaus im Walde kann nun der ganzen Welt einen schönen guten Tag wünschen, und in ein paar Stunden können es die drüben über’m Wasser in Amerika wissen, daß man sich in Europa, in Frankreich, vor Le Mans im Walde rechts um die Ecke schlug.

Es mochte zwei Stunden später, so am Nachmittage sein. Wenn man über den Hof und den Garten des Wirthshauses und den gefrorenen Schnee hinweggeht und sich nicht scheut, daß Einen hie und da aus dem Schnee ein gelbes Todtengesicht anstarrt, dann kommt man auf den breiten Waldweg, den unsere Truppen am Morgen gegangen sind. Das Kanonen- und Gewehrfeuer wird mit jeder Stunde toller. Vergnügtere Gesichter hatte ich lange Zeit nicht gesehen, als die der französischen Gefangenen, welche uns an dieser Stelle des Tages vorher entgegengekommen waren – meistens Milchgesichter, die man bei uns daheim erst in die Schule, aber noch nicht in den Krieg schickt, auch einige bärtige alte Kerle darunter, die schon Großväter hätten sein können. Die ganze Gesellschaft frierend und abgerissen wie die Betteljungen, aber Allen stand es auf der Stirne geschrieben, wie froh sie in ihrem Herzen, daß sie, wie man in Berlin sagt: „scheene raus wären“. Die heldenmüthigen Kämpfer wurden von den Elfern escortirt, die hatten sie auch zu Gefangenen gemacht.

„Sind Sie Gefangene vom heutigen Tage?“ so fragte ich auf französisch und auf deutsch gab mir einer zur Antwort:

„Jawohl, Herrle, abbe noch kei Viertelstund’ ist’s, da habbe mer uns zu Prisonniers mache lasse.“

„Sie sind wohl ein Elsässer?“

„Noi, Herrle, ich bin aus Saargemünd und hab’ in Lyon und Bordeaux als Böttcher g’schafft und dann sind die Autoritäte komme und habbe g’sagt, ich müßt’ die Patrie mit rette helfe. Aber do glaube mer schon lang’ nit mehr dra – mer sagt bei uns zwar immer, wir hätte de Preiße besiegt, aber dabei müsse mer immer

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