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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


durch unsere Gärten führen, durch welche sie verschwanden – es war Zeit, denn die Hufschläge Ihrer Pferde schallten bereits aus der Allee herüber. Sie kamen – und kündigten uns zu unserem Schreck an, daß Sie bleiben würden … zu unserm noch größern nahmen Sie und Ihr Diener diese Zimmer für sich, und durch diese Zimmer führten doch die einzigen Wege zu jenem Gelde!“

„Ah,“ rief ich aus, „wie unglücklich sich das Alles für Sie fügte! Sie kamen den Abend deshalb zu uns, um mich zu sondiren, wie lange wir bleiben würden! Und als ich Ihnen eine für Sie keineswegs beruhigende Antwort gab, entschoß sich wohl Fräulein Blanche zu jener Wanderung im Mondschein, auf der ich ihr begegnete … sie war gegangen, die Franctireurs zu bedeuten, daß sie nicht in der Nacht hoffen dürften, ihre Fässer abholen zu können …“

„So ist es – sie mußte diese Leute, die sich in den Gebüschen hinten am Oignonflusse verborgen hielten, entfernen – um sie zu beruhigen, gab sie ihnen ein Blatt, auf dem sie bezeugt hatte, daß sie die Geldsumme in Verwahr genommen und dafür einstehe. Damit gelang es ihr, die Leute fortzusenden, die ganz bereit und entschlossen waren, einen nächtlichen Ueberfall auszuführen und Sie Alle zu ermorden!“

„Wir waren ein wenig wider einen solchen nächtlichen Ueberfall auf der Hut,“ unterbrach ich ihn; „aber wer weiß, wenn auch Fräulein Blanche dies Alles nur gethan hat aus Rücksicht und Sorge für ihre Mutter – vielleicht hat sie doch mehreren von uns und besonders mir, der ich hier getrennt von meinen Leuten wohne, das Leben gerettet! – Also sie hat die Leute fortgeschickt … mit einer schriftlichen Bürgschaft …“

„Es ist ihr damit gelungen … der Gensd’arm ist nach Vesoul heimgeritten, um seinem Präfecten Bericht abzustatten und ihm Blanche’s Schrift einzuhändigen; die Franctireurs haben sich auf Besanoçon zurückgezogen. Wir hätten nun den Verlauf der Dinge abwarten können, wenn nicht die Sorge gewesen wäre, daß Sie unser Geheimniß, dem Sie so nahe waren, entdecken könnten … wenn Sie nicht selbst endlich Blanche erklärt hätten, daß Sie dies Geheimniß argwöhnten; dies ließ Blanche nicht Ruhe, nicht Rast mehr; wir mußten den Plan machen, dessen Ausführung in der vergangenen Nacht den unseligen Verlauf hatte, den Sie kennen!“

„Und Fräulein Blanche,“ sagte ich nach einer stummen Pause, „hält sich nun für verpflichtet, die ganze Summe zu ersetzen? Das wäre in der That schrecklich!“

„Sie haben Recht,“ entgegnete der Abbé, „es ist schrecklich! Was Herr Kühn den Seinigen vermacht hat, beträgt zweihunderttausend Franken für seine Wittwe und ebensoviel für seine Tochter; dies Haus, die Ferme von Colomier gehörten ursprünglich der Madame Kühn und sind einem Vorsohne derselben, einem älteren Halbbruder von Blanche, der in Liverpool als französischer Consul lebt, verschrieben. Sie sehen, daß es sich um das ganze Vermögen des Fräulein Blanche handelt!“

„Ah – unmöglich!“

„Was ist unmöglich?“

„Daß man von ihr verlangen wird, ihr Vermögen herzugeben, Alles, was sie besitzt, um den Staat zu entschädigen … der Staat muß die Verluste tragen, die der Krieg, den er gewollt hat, ihm bringt …“

„Sie kennen meine Cousine nicht!“ antwortete der Abbé trübe lächelnd.

„Nein, nein,“ fuhr ich in der tiefsten Erschütterung fort, „das kann nicht sein … es ist nicht möglich, daß man ihr das zumuthe, daß man sie zwinge, sich zu opfern!“

„Des Zwanges wird es nicht bedürfen. Sie selbst wird es nicht anders wollen … sie hat sich verbürgt und wird nun dafür einstehen; es gilt die Sache ihres Vaterlandes; und Frankreich ist heute nicht in der Lage, auf die Opferwilligkeit seiner Kinder verzichten zu können: es ist nicht die Zeit, wo seine Kinder ihre Pflichten gegen dasselbe leicht nehmen können!“

Ich war stumm. Der Kopf wirbelte mir bei dem Gedanken an das Unheil, das ich über Blanche gebracht; ich fühlte einen unwiderstehlichen Drang, zu ihr hinaufzueilen, sie zu beschwören … um was, das wußt’ ich freilich nicht, der Abbé hatte ja nur die Wahrheit gesagt, ich selbst fühlte ja nur zu gut, daß Blanche viel zu groß und edel denke, um nicht gerade so handeln zu wollen, wie er sagte.

Und doch erhob ich mich, ich vermochte es nicht, so ruhig da zu liegen; der Abbé saß gebeugt, die gefalteten Hände zwischen den Knieen und den Boden anstarrend da; ich bat ihn, Friedrich zu rufen, der mir helfen sollte mich zu kleiden; in diesem Augenblicke kam Friedrich, er meldete, daß ein Detachement unseres Regiments Chateau Giron nahe. Ich ließ mich, so rasch es bei meiner Verwundung ging, ankleiden. In kurzer Zeit ritt das Detachement auf dem Hofe auf; es war ein ganzer Zug unter Führung eines Officiers; ich ging diesem entgegen, um ihm meine Meldungen zu machen. Er war natürlich sehr erstaunt darüber, mich verwundet zu finden, wollte die Wunde, als wir in mein Zimmer gekommen, sehen, und sprach sehr bestimmt seine Meinung dahin aus, daß ich nicht weiter hier Dienst thun könne; um nicht von ihm sofort hinter die Front in ein Lazareth gesandt zu werden, wendete ich meine ganze Beredsamkeit auf, bis er einwilligte, daß ich in meinem trefflichen Quartier hier noch ein paar Tage der Ruhe pflege, und mich dann in Noroy bei unserem Commandeur melde, damit der Stabsarzt entscheide. „Sie können dann gleich das Lieutenantspatent dort in Empfang nehmen,“ sagte er; „es ist schon vorgestern beim Commandeur angekommen, wie mir dieser auftrug, Ihnen zu sagen; für Ihren Fang werden Sie nebenbei gehörig belobt werden; und nun zu unserm Geschäft, zu dem ich hierher commandirt bin. Wo ist das Geld?“

Ich führte ihn zu meinem Schatze; er zählte die Fäßchen, verglich sie mit dem Verzeichnis, das ich Glauroth mitgegeben, und übernahm den von mir gemachten Fund, um ihn auf einen Wagen bringen zu lassen, der der kleinen Truppe nachgekommen war. Nach einer Viertelstunde konnte ich, auf das Treppengeländer vor der Hausthür gestützt, sehen, wie die Kriegscasse des Bataillons der Mobilen der obern Saone, von unseren Ulanen umgeben, durch das Gitterthor des Hofes von Chateau Giron davongeführt wurde, und konnte nun gehen, die zwei Posten aufzuheben, die ich zur Sicherung meines Fundes hatte aufziehen lassen.

Zum Glück ließ mich Glauroth mit seiner Suada und dem Bericht über seinen Ritt und seine Erlebnisse im Stabsquartiere in Ruhe – er ging mit den Leuten zum Essen – mir wurde eben in meinem Zimmer servirt; ich dankte meinem Schöpfer dafür, daß ich eine Weile allein sein konnte!

Allein – mit der grenzenlos elegischen Stimmung, in der ich mich befand, und die ich mich geschämt hätte, irgend einer Menschenseele zu verrathen! Aber sie lag nun einmal auf mir; ich war nahe daran in Thränen auszubrechen … als der offene Bauerwagen mit dem Gelde durch das Hofthor geschwankt war, war mir zu Muthe, als ob nicht das elende Gold, sondern ein Sarg mit einem geliebten Todten davongeführt würde. Es that wohl meine Verwundung, meine Ermattung, der ganze fieberhafte Zustand, worin ich war, daß ich mich so weich, so schmählich, so vollständig muthlos und niedergeschmettert fühlte! Aber es war einmal so und ich konnte es nicht überwinden. Umsonst sagte ich mir selber: was ist dabei, was nicht Tausenden im Leben geschieht, daß sie einmal in einen Conflict von Pflicht und Neigung gerathen? Es ist das allgemeine Menschenloos! Die Moralisten haben dicke Bücher darüber geschrieben, unsere Romane und unsere Dramen nehmen ihre Motive von solchen Conflicten her, und wenn die Schicksale der Menschen zu Ereignissen werden, die in ihr Seelenleben greifen, dann drehen sie sich um diesen einen großen Punkt! Das ganze Leben ist eine große Lehre der Entsagung auf die Neigung um der Pflicht willen; das ganze Sittengesetz ist nur dazu da, um uns zu zwingen, in diesem Conflict die Pflicht über die Neigung siegen zu lassen, wenn wir’s nicht schon aus angeborener Sittlichkeit vermöchten. Und es ist ja auch nichts Großes … wer’s nicht vermag, ist eben ein verächtlicher Mensch, ein Schwächling, ein Lump, ein ehrloses Subject, ein Verbrecher … was freilich die Welt nicht abgehalten hat, die als Helden zu preisen, die großen Versuchungen widerstanden. Die Welt muß es also doch auch schwer, sehr schwer finden! – Das Bewußtsein, das innere Glück soll es lohnen. O mein Gott, ich fühle viel von Glück in mir!

In der That, das Bewußtsein, daß ich ohne alle Rücksicht auf Blanche gehandelt und unbeirrt meine Pflicht gethan, hinderte mich nicht, mich sterbenselend zu fühlen. Was half mir alles Philosophiren über die Sache, alles Denken und alles Raisonniren! Die Gründe der Vernunft und die Beispiele Anderer machen in solchen Lagen wenig Eindruck auf uns, wie ja auch die Erfahrung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_106.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)