Seite:Die Gartenlaube (1871) 083.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


bestimmten Platz erhalten hatte, blinzelte die blondhaarige und blauäugige Hebe meinen Freund lächelnd an und frug: „Voulez-vous du botage?“ (Wollen Sie Suppe?) Es war, wie die hier von mir gekennzeichnete Aussprache verrieth, eine Elsässerin, und bald plauderten wir mit der hübschen Dirne, die wir damals freilich noch nicht als wiedereroberte Reichscameradin begrüßen konnten, in deutscher Zunge. Wie ich hörte, war die Mehrzahl der Kellnerinnen der Restaurants elsässischer Herkunft.

Suppe und Dessert werden den Gästen von diesen anmuthigen Aufwärterinnen verabreicht, das Rindfleisch und den Braten aber tranchirt der Besitzer des Etablissements in höchsteigener Person. Ersteres erscheint stets in Gestalt des sogenannten „pot au feu“.

„Du weißt doch,“ wandte ich mich an meinen Begleiter, „der pot au feu ….“

„Halt!“ fiel mir mein Freund hastig in’s Wort, „ich weiß, was Du sagen willst. Was Sauerkraut und Wurst uns Deutschen, was das Beef dem Engländer, was die Polenta dem Mailänder, was Macaroni dem Neapolitaner, was der Puchero dem Spanier, was das Kukussu dem Araber – das ist dem Franzosen der pot au feu.“

„Das wollte ich nicht bemerken,“ entgegnete ich: „ich wollte einfach sagen, daß der pot au feu als französisches Nationalgericht gelten kann. Freilich gehört einige Kunst dazu, es richtig zu bereiten; man hat einen vollen Tag dazu nöthig und muß alle mögliche Sorgfalt und Aufmerksamkeit darauf verwenden, damit die verschiedenen animalischen und vegetabilischen Stoffe, aus denen es besteht, ordentlich zusammen kochen und schmoren. Unter allen Umständen thäten wir besser, den Franzosen ihren vortrefflichen Pot au feu als ihre sehr zweifelhaften Sitten und Moden nachzuahmen.“

Während dieser unserer culinarischen Conversation war das Bouilli, das mit der Suppe zu essende Fleisch, herumgegeben worden. „Gar nicht so übel!“ lautete unser beiderseitiges Verdict. Darauf kam der aus Gemüse gebildete zweite Gang des Diners an die Reihe; es war Sauerampfer und Spargel mit harten Eiern. Auch der erstere ist eine specifisch französische Schüssel, welche gleichfalls eine Einführung bei uns verdiente. Das dritte Gericht war der Braten, Rinderfilet oder Hammelkeule, mit appetitlich angerichtetem Endivien- und Lattichsalat. In der Herstellung des Salats besitzt der Franzose nicht minder eine außerordentliche Fertigkeit; namentlich weiß er dazu manche Pflanzen zu verwerthen, z. B. Löwenzahn und Malvenblätter, die bei uns nach dieser Richtung hin unbenützt zu bleiben pflegen. Das Dessert setzte ein zweites Corps von Kellnerinnen auf; die uns versorgende war ausnahmsweise keine blonde Elsässerin, sondern eine tief brunette Provençalin von fast spanischem Habitus. Sie brachte umfängliche Schüsseln voll Erdbeeren, Rahm, eingelegten Kirschen und verschiedenen Sorten Käse getragen. Bei dieser Procedur präsentirte sich zugleich die Dame vom Hause; mit verbindlichem Gruß wanderte sie von Tisch zu Tisch und forderte die Zahlung für die uns gebotenen Tafelfreuden ein.

„Wie viel, Madame?“ frug ich.

„Dreißig Sous, meine Herren.“

„Und der Wein?“

„Der ist mit eingerechnet.“

Mein Freund, bisher nur der kostspieligen Pariser Cafés-Restaurants gewöhnt, konnte mit Mühe sein Erstaunen verbergen über den nach Pariser Begriffen so überaus niedrigen Preis bei so vorzüglicher Verpflegung.

„Dennoch,“ beruhigte ich ihn, „verdienen die Inhaber dieser ‚Massenrestaurants‘ oder ‚Omnibusdiners‘ jährlich größere Summen, als die vornehmen Restaurationen mit ihren gepfefferten Speisekarten. Die Menge muß es bringen und die verhältnißmäßig sehr einfach organisirte Verwaltung.

Beim Herausgehen aus dem Saale gewahrte ich, daß die Tische Nr. 1 und 2 jetzt von einem völlig andern Publicum besetzt waren, als da wir kamen. Tafel vier, fünf, sechs und so fort hatten noch keine Lücken zwischen ihren Gästen aufzuweisen, während der Schauplatz unserer Thaten hurtig auf’s Neue zu weiteren Angriffen gesäubert und hergerichtet wurde. Die Herzogin am Buffet beglückte uns mit derselben graciösen Verbeugung, mit welcher sie uns beim Kommen bewillkommnet hatte, und wir waren entlassen.

Dergestalt sahen die „Massen- und Monstrerestaurants“ im gewöhnlichen Laufe der Dinge aus. Wie aber mögen sie jetzt während der Belagerung beschaffen sein? Reguliren sie ihr Publicum mit Elephantensteaks oder Rattencotelettes, mit Krähensuppe und Katzenbouilli? Oder haben sie die Bühne ihrer wohlthätigen Bestrebungen längst schon ganz und gar geschlossen?

Bis jetzt haben uns die Ballonbriefe hierüber noch keine Kunde gebracht. H. Sch.     




Eine Fahrt in das Eismeer.
Aus meinem Tagebuche, von M. E. Plankenau.


Eine Hauptstation der im Stillen Ocean kreuzenden Walfänger ist die Gruppe der Sandwich-Inseln. Im Frühling und Herbst laufen sie dieselben an. Der während der letzten „Saison“ erbeutete Thran wird ausgeladen, frischer Proviant eingenommen und den Mannschaften die nothwendige Erholung am Lande gestattet; dann aber eilen die Schiffe nach den Fischgründen und zwar für den Sommer nach dem „Nord-Westen“, hauptsächlich nach dem Meere von Ochotsk und dem nördlich der Bering-Straße liegenden Theile des Polarmeeres.

Im April 1866 verließen auch wir den Hafen von Honolulu und segelten wohlgemuth nach dem hohen Norden. Das herrliche Wetter, dessen wir uns im Anfange der Reise erfreuten, wurde rauher in der Nähe der Alëuten, und als wir diese wüste Inselkette passirten, war es geradezu abscheulich. Eisiger Wind begrüßte uns, Regen, Nebel und Schneegestöber folgten sich in jähem Wechsel und wüthende Böen brausten von den zerklüfteten Bergmassen herab, als wollten sie uns die Durchfahrt verwehren. Oestlich von uns schien ein Vulcan in voller Thätigkeit zu sein. Wir sahen Feuerschein, dunkle Rauchwolken und glaubten in Pausen fernes Getöse zu vernehmen.

Im Bering-Meere fanden wir die Witterung ebenso ungünstig. Bald kämpfte das Schiff tagelang mit Sturm und Wogen, bald ruhte es in dichtem Nebel wie festgebannt auf dunkler Fluth, während Segel, Taue, Holzwerk sich mit einer dicken Eiskruste überzogen. Alles Leben schien hier erstorben. Kein Fisch, kein Vogel war zu sehen, nur verstreute Eisblöcke, bleich und kalt im Nebel schimmernd, trieben vorüber als stille Boten des Nordens.

In noch nie gesehenem Glanze strahlten hier die Polarlichter und entfalteten zuweilen eine überwältigende Pracht. Einmal wurden viele unserer Leute sogar von Furcht ergriffen. Ein Weltenbrand schien zu entstehen. Aus drei im Nord-Osten sich aufbauenden blaßgelben Lichtbogen strömten mächtige grüne und rothe Strahlen über uns hinweg, sie schwangen hin und wieder, neigten sich, sanken zurück und stiegen von Neuem empor, weiter und immer weiter in die Unendlichkeit hineinragend im großartigen Farbenspiel. Wie die Wogen des Oceans vor dem Sturme einherrollen, so überflutheten zuweilen ungeheure Lichtwellen mit majestätischer Bewegung das Himmelsgewölbe, im Zenith mit einem grellen Aufzucken in Tausende von Flammenpfeilen zersplitternd, welche blitzähnlich im Weltenraum verschwanden. Ununterbrochen dagegen trieben die mächtigen Strahlenbündel ihr sinnverwirrendes Spiel, im gewaltigen Schwunge gleich den Flügeln eines Rades nach derselben Richtung eilend, oder fächerförmig auflodernd, sich wild verschlingend und kreuzend. Das ganze Firmament war Licht, Bewegung, ein in den prächtigsten Farben wechselndes Feuermeer. Einzelne Lichtgarben fuhren so jäh und leuchtend herauf, daß sie zwischen Mast und Tauwerk auf uns niederzusinken schienen. Es bedurfte vieler Ueberwindung, um die Täuschung zu erkennen. Oft hatten wir das Gefühl, als müßte so intensiver Lichtentwicklung ein ungeheures Getöse folgen, doch vergebens lauschten wir mit verhaltenem Athem; ein großes Schweigen herrschte in der Natur. Wohl eine Stunde lang zeigte sich die Erscheinung in ihrer höchsten Pracht, dann erlosch sie fast im Augenblick und nur die drei Lichtbogen blieben zurück. Der äußere rückte dann langsam herauf und verschwand mit einem letzten Aufflammen, die beiden übrigen verblichen erst nach und nach, bis sie im Morgenlicht gänzlich verschwanden.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_083.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)