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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


originellem Geiste erfaßt, in höchster Formvollendung wiedergegeben, und dabei sprachen der Mund, die Augen, die Hände, der achtundsechszigjährige Greis verjüngte sich, und die Rede nahm einen so begeisterten Schwung an, daß ich bewundernd schwieg, und hier in einer einfachen Conversation vor dem Kamine begriff ich die hinreißende Macht, welche dieser Mann als Kanzelredner auf das Publicum ausübte, und das Zuströmen desselben zu seinen Predigten sowohl hier in Orleans, als auch früher, da er noch Pfarrgeistlicher von St. Roche in Paris war. Nicht allein das religiöse Element ist es, was diese bezwingende Wirkung hervorbringt, sondern die Vermischung desselben mit dem nationalen. Dupanloup gehört mit seinen drei großen Freunden Montalembert, Lamennais und Lacordaire einer Schattirung der römisch-katholischen Kirche an, welche sich zu einem liberalen Katholicismus oder besser ausgedrückt zu einem nationalen bekennt, und dessen erster Grundsatz ist: Erst Franzose, dann Priester.

Es ist eine große nationale Beweglichkeit und Lebendigkeit in diesem Manne, ein unaufhörliches Arbeiten der Gedanken und namentlich der Phantasie. Ich sah ihn am ersten Weihnachtsfeiertage in der Kathedrale, derselben Kathedrale, von deren Verwüstung ich in meinem letzten Artikel ein Bild zu geben versucht hatte, die nun wieder gereinigt ihrem gottesdienstlichen Zwecke anheimgegeben war und an diesem Tage im höchsten Glanze strahlte. Der Bischof saß in seinen goldenen priesterlichen Gewändern auf seinem Throne, umgeben von dem Glanz und Nimbus des katholischen Ritus. Dieses ruhige Sitzenmüssen auf einem Platze während der monotonen Gesänge der Vesper schien ihm gar nicht zu behagen, er rückte immer umher auf seinem Sitze, zupfte an seinen Gewändern, als ob ihm diese zu schwer und unbequem wären, er sah sich auch mehrmals um, er schien nach allem Anscheine mit seinen Gedanken ganz wo anders zu sein, als in der Vesper der Kathedrale von Orleans, was ich ihm gar nicht zum Vorwurfe machen kann. Diese Gesänge sind zu andachts- und eindruckslos, eine Bewegung der Lungen, aber nicht des religiösen Gemüthes. Der Eindruck war ein ganz anderer, als er umgeben von seinem Clerus mit dem Stabe und der Mitra die Stufen zum Hochaltar hinanstieg und den Gläubigen den Gruß gab. Da ging er in großen sicheren Schritten voran, und man hatte von ihm den Eindruck eines Kirchenfürsten, der unter dem Priestergewande einen Harnisch trug; es ist gar nicht zu leugnen, daß in dem Bischofe etwas Streitbares liegt, das ist auch in dem erwähnten Briefe an die Pfarrgeistlichen gelegentlich des Festes des heiligen Aignan ausgedrückt.

„Ich weiß,“ sagte er, „man hat mir diesen Brief vielfach vorgeworfen – von preußischer Seite. Habe ich aber die Armee, das preußische Volk beleidigt, kann man mir eine Invective nachweisen?“

„Nein, Monseigneur, das kann man nicht, aber der ganze Brief ist eine Erklärung gegen uns.“

„Man hat mir einen Ausdruck sehr verübelt, den ich gebraucht habe, ‚wilde Horden‘.“

„Das weiß ich nicht, und, verzeihen Sie, Monseigneur, daran zweifle ich auch, man wird nur da empfindlich, wo man sich getroffen fühlt.“

„Wenn Sie den Brief gelesen haben, so werden Sie allerdings einen solchen Ausdruck finden, aber nicht ich gebrauche ihn, sondern derselbe befindet sich in einem Citat, das ich gebraucht habe, aus Gregor von Tours, wie Sie wissen, dem Vater unserer nationalen Geschichte.“

Darauf hätte ich erwidern können, daß die eben gebrauchte Beweisführung eine sehr gewagte sei, denn wozu gebraucht man ein Citat anders, als um ein fremdes Wort, die Meinung eines Andern, an die Stelle des eigenen zu setzen, um diese noch mehr zu bekräftigen? Ein Citat ist ein Wort, das man sich aneignet und vertreten muß. Doch das sagte ich nicht. Der Bischof war freundlich und entgegenkommend gegen mich und Güte pflegt man doch nicht mit Unannehmlichkeiten zu erwidern. Wenn ich bisher auf Manches zu antworten veranlaßt war, so war das geschehen, um den nationalen Standpunkt zu wahren, und in diesem Sinne bemerkte ich denn dem Bischof auch, daß das Gefährliche seines Briefes nicht in der gegen uns gerichteten Spitze gelegen habe, sondern darin, daß er die Gemüther seiner Landsleute zum Widerstande entflammt und Hoffnungen rege gemacht habe, die sie nicht erfüllen konnten.

„Das war meine Pflicht – dafür bin ich Franzose. O, ich habe den Krieg verwünscht, aber da sich nach der Niederlage der kaiserlichen Armee das Volk erhoben hatte, warum sollte ich die Gemüther durch Hoffnungen nicht stärken? Warum sollte ich nicht dem Glauben Ausdruck geben, daß der heilige Aignan, daß die Jungfrau uns beistehen und uns zum Siege führen könnte?“

„Ihre Hoffnungen, Monseigneur, sind auf die Jungfrau gerichtet; das Frauenideal, zu dem wir in diesem Kriege unsere Herzen und Gedanken emporheben, das ist die Königin Louise.“

„Ich habe ihrer in meinem ersten Briefe erwähnt.“

„Ich habe denselben gelesen, Monseigneur, und die Worte, die Monseigneur Ihrem Volke als Trost hingeben: ‚Ich glaube nicht an die Gewalt, ich glaube nur an die Gerechtigkeit.‘ Aber verzeihen Sie, Monseigneur, die Königin hat durch Frankreich gelitten, ist an Frankreich gestorben, dieser heilige Schatten ist unser allein, auch dieses Wort ist unser und wir dürfen es uns nicht entreißen lassen; denn das Andenken an die Königin ist unsere Rechtfertigung und unser Panier; unser ist in diesem Kriege die Gerechtigkeit und weil diese, so auch nicht die Gewalt, aber die Stärke. Monseigneur deuten in Ihrem ersten Briefe an, als wenn es der militärische Ehrgeiz wäre, der den König zur Fortsetzung des Krieges veranlagte. Nein, Monseigneur, das ist unser Volk, und der König und Graf Bismarck wissen das sehr wohl und wissen auch, daß sie für Deutschland nur einen Frieden machen können, der diesem den Elsaß und einen Theil Lothringens zurückbringt.“

Darauf gab der Bischof keine Antwort, vielleicht daß es nicht sehr tactvoll von mir war, diese empfindliche Seite im Herzen eines Franzosen zu berühren – vielleicht, aber ich hatte mich fortreißen lassen, die Lebendigkeit seines nationalen Empfindens hatte auch mich angesteckt. Mit der ganzen Kunst eines Mannes, der die Gabe der Rede und der geselligen Unterhaltung im höchsten Grade inne hat, ging er von dieser allgemeinen Discussion auf Persönliches über, er äußerte sich mit hohem Respecte über den König, er sprach in höchster Verehrung von der Königin Augusta.

„Ich habe der Königin im vorigen Jahre in Coblenz meine Aufwartung gemacht, und an Würde, Grazie, Geist und Pflichtgefühl eine wahrhafte Königin gesehen. Es hat mich sehr interessirt, die Bibliothek Ihrer Majestät kennen zu lernen, die mir die Königin durch eine Palastdame zeigen ließ. Sie in Preußen sind glücklich, Sie haben eine starke Regierung; wann werden wir soweit kommen? Seit 1789 kommen wir nicht mehr aus der Revolution heraus, und dieses ewige Vibriren derselben erzeugt die sociale Zuchtlosigkeit, an der Frankreich krankt. O das arme Frankreich! Friede – Friede – Friede! Warum hat man den Waffenstillstand in Versailles nicht angenommen?“

„Vermuthlich, Monseigneur, weil er den Franzosen größere Vortheile bot als uns.“

„Das ist Ihre Auffassung, Thiers hatte eine andere, er ist ein alter Freund von mir und war auf dem Wege von Versailles nach Tours bei mir, er stellte mir die Sache anders vor. Ich glaube, man hätte Ihrerseits andere Bedingungen gemacht, hätte man wissen können, daß Paris so viel Lebensmittel besitzt. Und doch bin ich der Ueberzeugung, daß unsere jetzige Regierung, und vor Allen Trochu, zu Unterhandlungen geneigt sein würden, wenn ihnen die Stimmung des Landes bekannt wäre, namentlich der vom Kriege heimgesuchten Provinzen. Aber wer soll es jenen sagen? Graf Moltke hat zwar etwas Aehnliches versucht, aber das geschah von feindlicher Seite; es müßte Jemand sein, der das Vertrauen unseres Landes besäße – aber das Alles sind fromme Wünsche, und doch thut uns Allen Friede so sehr nöthig!“

Damit war die Audienz zu Ende; es war sechs Uhr geworden. Mit außerordentlicher Liebenswürdigkeit begleitete mich der Bischof bis vor den Ausgang des Vorzimmers; am Abend noch sandte er mir die für Doctor Kayßler zugesagten Briefe.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_080.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)