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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


des Gemüths sie beherrsche, und sie viel zu sehr beherrsche, um daran denken zu können, es zu verbergen.

„Weshalb thaten Sie es denn?“ sagte ich. „Machen Sie meinen großen Schmerz und Kummer, daß ich dupirt werden sollte, wieder gut, indem Sie mir anvertrauen, was Sie dazu bewog! Sie bergen mir irgend ein Geheimniß; Sie haben irgend eine Sorge, die Ihnen durch meine Anwesenheit in Ihrem Hause, in diesen Zimmern erwachsen ist. Sagen Sie mir, was es ist und wie ich Ihnen helfen kann! Glauben Sie mir, daß ich Alles thun werde, was ich irgend vermag, um Ihnen Ihre Sorge zu nehmen.“

Sie schüttelte stumm den Kopf.

„Mein Gott,“ fuhr ich eifrig und warm fort, „sehen Sie denn nicht, welches Gefühl Sie mir einflößen und wie Sie von diesem Alles, was Sie wollen, verlangen können. Sie selbst sind ja überzeugt, daß ein Mann einer solchen Leidenschaft jedes Opfer bringt. Bauen Sie auf diese Leidenschaft, verlangen Sie von ihr, werfen Sie Ihre Sorge auf sie – o wie glücklich würde es mich machen, wenn Sie mir vertrauten!“

Sie sah mich mit gerunzelten Brauen scharf an; ihre Lippen bewegten sich, und doch sprach sie nicht; sie verschluckte, was sie sagen wollte. War es vielleicht eine Frage, die ihr auf den Lippen lag, die Frage: „Lügen Sie mir dies Gefühl, diese Leidenschaft nicht vor, um mir mein Vertrauen zu entlocken, und dann es als Feind zu mißbrauchen?“ – Vielleicht war es das, was sie jetzt sich selber fragte; und konnte ich es am Ende ihr verdenken, ich, der das ganz gleiche Mißtrauen in die Güte gesetzt, welche sie mir bewiesen? Solche Gegenseitigkeit des Argwohns, solch eine Wiedervergeltung, die ihre Gedanken gegen die meinen übten, hätte doch etwas sehr Verzeihliches gehabt. Und doch hätten sie mich empört, und ich glaube, ich wäre in eine wahre Verzweiflung gerathen, wenn sie dieselbe mir gestanden. Ein ehrliches Herz ist so reizbar gegen Verkennung, und ein verliebtes ist oft so ungerecht!

Nach einer Pause beruhigte sie mich mit den Worten: „Ich vertraue Ihnen gern – ich gäbe Ihnen sehr, sehr gern einen Beweis meines Vertrauens; diesen kann ich Ihnen nur nicht geben; wir bergen gar kein Geheimniß vor Ihnen in diesem Hause …“

„Und weshalb sollte ich die Nacht über dann in Colomier gehalten werden? Sie müssen gestehen, daß ein Zweck damit verbunden war.“

„Es ist hart von Ihnen, daß Sie mich drängen, es zu gestehen,“ versetzte sie tief erröthend, „vielleicht wollte ich Sie nur auf die Probe stellen und erfahren, ob ich so viel Einfluß auf Sie üben könne, oder ob Sie Ihrer Pflicht untreu zu machen seien wie alle Anderen!“

Es lag etwas in diesem Bekenntniß, was auch mich erröthen ließ und mich glücklich machte. Und doch war es sehr thöricht von mir, mich dadurch beglückt zu fühlen. Denn war der Argwohn in mir begründet, daß Blanche’s ganze Freundschaft für mich nur ein listiges Spiel sei, dann waren ja auch diese Worte nur ein schlaues Betrügen! O gewiß waren sie das; ich wußte ja, daß man ganz andere Motive hatte, mich in Colomier zu halten!

Es war eine verzweifelte Situation und ich wußte nicht, wie sie enden und wie herauskommen! Sollte ich noch weiter gehen, als ich schon gethan, noch unumwundener Blanche meine Leidenschaft gestehen? Mein Gott, ich hatte es schon so offen und klar gethan – und war nicht klüger dadurch! Und doch war etwas in mir, was mich unwiderstehlich drängte, auf diesem selben Wege noch weiter zu gehen; es kam ein stürmisches, leidenschaftliches Gefühl über mich, das mich nicht schweigen ließ; als ob ich das Peinliche der Situation enden könne, wenn ich diese einer Katastrophe zudrängte, rief ich aus:

„Mag das wahr sein, was Sie da sagen, Blanche, oder mag es nicht wahr sein, Sie gestehen mir ein Interesse damit ein, und dies Geständniß giebt mir den Muth, ganz ohne Rückhalt zu Ihnen zu reden. Ihre Erscheinung hat vom ersten Augenblicke an einen Zauber auf mich geübt, wie ich ihn nie empfunden; seitdem ist aus diesem Gefühl eine Leidenschaft geworden, die ich nie werde besiegen können. Sie haben Recht, darin bin ich ein Mann, und ich fühle, daß ich dieser Leidenschaft Sclave von jetzt an bis an meines Lebens Ende sein werde. Ich werbe jetzt – denn ich weiß, wie wenig der Augenblick dazu da ist – nicht um Ihr Herz; ich bin nicht blind gegen Alles das, was heute noch zwischen uns steht. Aber der Friede wird zurückkommen; wenn das Allgemeine des Einzelnen nicht mehr bedarf, wird der Einzelne sein Leben für sich wieder beginnen können; ich werde dann zu Ihnen in einem andern Kleide als meinem jetzigen, das Sie an die Kluft, die zwischen uns liegt, erinnern muß, zurückkehren – nur für die Zeit, Blanche, lassen Sie mir die Hoffnung, daß Sie mich alsdann freundlich aufnehmen und anhören werden, was ich sagen kann, um Ihr Herz zu gewinnen … o bitte, gehen Sie nicht, wenden Sie sich nicht so erschrocken ab – was ich Ihnen sage, kann Sie nicht überraschen, und Sie selbst tragen die Schuld, wenn ich schon jetzt es Ihnen so offen sage! Ich möchte damit ein Verhältnis des Vertrauens und der rückhaltlosen Offenheit gewinnen, ich möchte das Mißtrauen in Ihnen, das mich mehr peinigt, als ich es Ihnen sagen kann, enden … nur das möcht’ ich für heute, für diesen Augenblick schon: ich will, ich muß den unseligen Argwohn aus meinem Herzen reißen können, der mich quält!“

Ich hatte nicht den Muth, weiter zu reden; nicht den Muth, ihr diesen Argwohn geradezu auszusprechen; denn war mein Argwohn unbegründet, waren die Beweise von Freundschaft, die Blanche mir gegeben, wirklich nur der Ausdruck eines Interesses, die Folgen einer keimenden Neigung, so würde ich sie zu grenzenlos beleidigt, ihr das ganze Herz umgekehrt und mir für immer entfremdet haben!

Sie war erschrocken beim Anfang meiner Rede aufgesprungen – jetzt setzte sie sich wieder und sagte mit einer Stimme, die leise zitterte: „Von welchem Argwohn reden Sie? Mein Gott, haben Sie mich nicht versichert, daß Sie nicht den geringsten Argwohn hegten?“

„Nicht den geringsten, daß Sie mich in Colomier den Franctireurs in die Hände liefern wollten; aber Sie werden einräumen, daß wir ein verstecktes Spiel gegen einander treiben; und dies Spiel, das uns alle offene Unbefangenheit nimmt, wird mir unerträglich.“

„Welches Spiel meinen Sie?“

„Sie wünschen mich aus diesen Zimmern fortzubringen, und ich, dies durchschauend, halte fest darin.“ –

„Wenn das so wäre,“ entgegnete sie, während ihr wohltönendes Organ sich eigenthümlich wie mit einem leichten Schleier von Heiserkeit bedeckte, „dann könnte ich ja gerade in Argwohn verfallen und denken, alle die schönen Sachen von Ihrem Gefühl und Ihrer Leidenschaft seien nur gesagt, um ein leichtgläubiges Mädchenherz zu umgarnen, um mich zu bethören und mir den Grund zu entlocken, weshalb ich Sie nicht eben so gern in diesem wie in jenem andern Zimmer des Hauses wohnen sähe!“

„Sehen Sie, sehen Sie,“ rief ich leidenschaftlich aus, „das ist das Gräßliche, was mich foltert – dieser Spielraum, den der Argwohn zwischen uns Beiden hat; o lassen Sie das aufhören zwischen uns – ich bitte Sie, Blanche, nur um das Eine!“

„Sie haben Recht,“ versetzte sie nachdenklich; „enden wir es; ich will Ihnen ja gestehen, daß es auch mich quält. Enden Sie es.“

„Ich?“

„Ja, Sie. Es liegt ja nur an Ihnen!“

„Und wie an mir?“

„Verlassen Sie diese Zimmer!“

Ich sah sie erschrocken an.

„Wollen Sie es?“ fuhr sie fort.

„Nein,“ sagte ich. „Ich darf es nicht. Nur dann, wenn Sie mir die heilige Versicherung geben, Ihre Versicherung auf Ehre und Gewissen, daß ich durchaus nichts thue, was wider meine Dienstpflicht ist.“

Sie blieb stumm. Ihre Gesichtszüge waren sehr blaß geworden.

„Ich kenne Ihre Dienstpflicht ja nicht,“ versetzte sie dann nach langer Pause. „Was weiß ich davon! Nein, nein, da Sie es nicht wollen, diesem ‚Spiele‘ ein Ende machen,“ setzte sie gezwungen lächelnd hinzu, „so will ich es; ich werde morgen weiter mit Ihnen davon reden, wenn Sie versprechen, jetzt recht ruhig zu sein und durch einen tiefen Schlaf diese Nacht Ihrer Wunde Zeit zur Heilung zu geben!“

Damit stand sie auf und verschwand.

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_076.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)