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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


er mich; „ahne ich doch selbst durch Ihre heutigen Mittheilungen erst, daß die Tochter meines ehemaligen Freundes nur dessen Adoptivkind, daß sie und die berühmte Prinzeß Editha ein und dieselbe Person sind, die durch die hiesigen Zeitungsberichte bei unserm Publicum ein so allgemeines Interesse erweckte, das natürlich noch nicht bis über den Ocean gedrungen sein kann.“

„O, ich war im vorigen Jahre selbst in Europa,“ fiel sie ihm lebhaft in’s Wort. „Ich habe dort, freilich erst nach harten Kämpfen durch Feststellung meiner Geburtspapiere, mich bei meiner Familie eingeführt, in erster Linie bei Ihrem jungen König von Baiern. Erkennen Sie mich denn nicht an der Aehnlichkeit mit meiner verstorbenen Cousine, der Königin Stephanie?“ wandte sie sich huldvoll mir wieder zu.

Meine peinliche Verwirrung stieg, mit ihr aber auch meine weibliche Neugier, dies Räthsel geklärt zu sehen. Wer in der Welt konnte denn diese unbekannte Prinzeß nur sein, die sich jetzt gar die Angehörige der frühverstorbenen jungen Königin von Portugal nannte?

Ich wagte dreist die Bitte um Aufklärung und erhielt sie, nur war die Erwiderung kurz und stolz:

„Mein Vater war der Exkönig Ludwig von Baiern, meine Mutter seine Gemahlin (sie betonte dies Wort) Gräfin Landsfeld, die, zur Zeit der bairischen Unruhen, ihren Neidern und Feinden das Feld räumen, ja im Interesse ihres durch diese gefährdeten Lebens hierherüber fliehen mußte.“

Die Tochter Lola Montez’! Unwillkürlich rückte ich meinen Stuhl behutsam fort und dann wieder heran. Das brennende Verlangen, mehr über das dunkle Lebensende Derjenigen zu erfahren, die in Elend und Jammer ihr glänzendes Dasein im Hospital von Wards-Island beschlossen hat, überwand das Vorurtheil. Meine Bitte veranlaßte die Tochter der Unglücklichen, mir über die eigenen ungewöhnlichen Lebensschicksale mitzutheilen, was ich hier kurzgefaßt wiedergebe.

„Wie Ihnen mein würdiger Freund hier (sie deutete dabei auf den Gemäldehändler) bereits mitgetheilt, wurde ich im Hause des Professor S. in New-York als dessen Kind erzogen. (Sie nannte mir den Namen des Mannes, der in seinem hochgeachteten Sohne in der neuen Welt fortlebt; aus Rücksicht für diesen verschweige ich deshalb den Namen.) Ich war meinen übrigen Geschwistern zwar sowohl körperlich als geistig durchaus unähnlich, aber die ungeminderte Liebe meiner Adoptiveltern zu mir, der Heimathlosen, ließ nie den Gedanken aufkommen, daß etwas Anderes als meine außerordentliche Begabung oder meine ungewöhnliche Natur den Grund zu der Abschweifung von dem schablonenhaften Familientypus tragen könne. Mein Vater starb, dies änderte nichts in den persönlichen Beziehungen, nur wollte es mich bedünken, als wäre sein letzter Abschied von mir weniger innig, weniger schmerzlich gewesen, im Vergleich zur übrigen Familie, aber auch dieses wußte ich dadurch zu beschönigen, daß mein rebellischer, immer nach dem Hohen strebender Sinn ihm mehr zu schaffen gemacht als der solid-häusliche meiner Schwestern, und daß er sich durch seinen Tod gewissermaßen von einer schweren Verantwortung befreit sah. – Ich wuchs heran. Meine Familie – die wenigstens, die ich als solche zu betrachten gelernt – hatte, durch Umstände bedingt, New-York verlassen und mich zur weiteren Ausbildung in einem Institut zurückgelassen. Dort führte mir ein Ungefähr in Gestalt eines katholischen Geistlichen, der einen europäischen Prinzen auf seinen überseeischen Reisen begleitet, die Offenbarung meiner hohen Geburt entgegen. Der Priester stand bei meinem Anblick frappirt. ‚Wer sind Sie?‘ stammelte er betroffen, und als ich ihm auf sein Verlangen meine harmlosen Jugenderinnerungen vorplauderte, schüttelte er zweifelnd sein Haupt. Ich unterlasse es für heute, Sie mit den nun folgenden Mittheilungen des sehr unterrichteten Mannes zu ermüden.

Doch ‚Prinzeß Editha‘! begrüßte er mich zum ersten Male mit meinem rechtmäßigen Namen und übergab mir vertrauensvoll meine Geburtsatteste, die er als Beichtiger meiner verstorbenen Mutter aus deren Händen beim Verscheiden mit der Bitte empfangen, Nachforschungen nach ihrem Kinde anzustellen, das sie bei ihrem herumirrenden Nomadenleben in den Händen französischer Emigranten in New-York zurückgelassen. Krankheit und Tod hatten sie überrascht, ehe sie ihr Kind reclamiren konnte. Der Geistliche hatte vergeblich nach der französischen Emigrantenfamilie geforscht, die in der großen Weltstadt vielleicht verschollen oder längst verkommen war. Mit den Papieren hatte er sich später zurück nach Europa begeben, und jetzt – nach einer Reihe von Jahren – zum ersten Male abermals amerikanischen Boden betreten.

In höchster Erregung flog ich zu meiner Mutter und drang auf Bestätigung der Muthmaßung, die bei dem Geistlichen durch die frappante Aehnlichkeit mit meiner erlauchten Familie hervorgerufen war. Diese ward zur unumstößlichen Gewißheit, da wir nun ihre Angaben denen des Priesters, Daten, Namen und Thatsachen gegenüberstellten.

Der Professor S., der edelste humanste Mensch, dessen mildthätiger Sinn ihn häufig als Retter und Tröster in die Hütten fremdländischer, der Landessprache und Sitte unkundiger Armen führte, hatte auf einem dieser Besuche bei französischen Emigranten einen Säugling gefunden, mit dem dieselben sich keinen Rath wußten im eigenen Elend und bei dem Wunsche der Rückkehr in die Heimath. Das Kind war nicht ihr eigenes; es war ihnen von einer kranken flüchtigen Frau für kurze Aufbewahrung übergeben – diese Frau hatte sich einfach Lola genannt. Aber die vorbehaltene Frist war abgelaufen, das Kostgeld nicht erneuert, die Frau – die eine vornehme Dame zu sein schien – war nicht zurückgekehrt, und die guten Leute verspürten keine Lust, durch den kleinen Fremdling Last und Kosten der Ueberfahrt zu vergrößern. Mit gewohntem Samaritersinn nahm der Professor sich des hülflosen kleinen Geschöpfes an; er brachte es in sein eigenes Haus; er ließ es wie sein eigenes Kind erziehen, und nur Motive edelster Art veranlaßten ihn, den Fremdling über seine dunkle Herstammung ohne Ahnung zu erhalten. Die Macht der Gewohnheit that schließlich das ihrige, ihn den übrigen Kindern als Blutsverwandte und dadurch den Schleier des Geheimnisses für lange ungelüftet zu lassen.

Noch einige Wochen, und auch meine treue Pflegemutter starb. Ich wollte den Schutz des gastlichen Hauses – so warm man mir ihn aufdrang – nicht länger für mich beanspruchen, ich, die ich an ein stolzes Geschlecht gerechtere Ansprüche als diesen zu machen hatte. Das Blut in mir, das sich, zum Kummer meines Adoptivvaters, so oft schon zur Unzeit in mir geregt, das stolze Blut meiner Vorväter machte jetzt sich geltend. Ich wollte keine Almosen annehmen, und deßhalb nutzte ich, die Tocher eines entthronten Königs, zum ersten Male die in mir waltenden Kräfte zum eigenen Frommen und Nutzen, denn diese Königstochter war ja völlig mittellos.

Die Zeitungsredactionen rissen sich bald um meine Gedichte und Essais. Man bezahlte sie gut; aber dies Alles reichte doch eben nur aus, um das Leben zu fristen, für meinen großen Plan aber noch keineswegs.

Ich ging zum österreichischen Consul, legte ihm meine Papiere, meine Wünsche vor und erhielt von ihm als Darlehn eine ausreichende Geldsumme, um damit die Reise nach Europa bestreiten zu können.

Von dieser Reise kehrte ich, so sehr ich sie auch durch landschaftliche und Kunststudien genossen, doch nur halb befriedigt zurück. Ludwig von Baiern empfing mich zwar gütig, nachdem ich mit halber Gewalt mir den Weg zu ihm gebahnt und tapfer für dieses Ziel gekämpft; aber er gab mir doch einen nicht mißzuverstehenden Wink, daß er verjährte Dinge ungern aufgerüttelt sähe, daß er überdies von einer Gemahlin – er betonte es stark – einer Gemahlin seines Verwandten nie etwas geahnt oder erfahren habe. Damit war ich zu Gnaden entlassen. Meine Großmutter mütterlicher Seite in Schottland übergab mir unsere sehr kostbaren Familienpretiosen und sagte mir ein bestimmtes Jahrgeld zu; aber auch ihr schien es erwünscht, an verklungene Zeiten durch meine Person nicht ferner erinnert zu werden.

Ernüchtert und betrogen in meinen hochfliegenden Erwartungen, kehrte ich heim, in das Land wenigstens, das ich als mein Heim betrachten gelernt habe; aber den Glauben an künftige Größe, das sichere Vorgefühl, daß ich zu solcher noch bestimmt bin, kann mir Nichts mehr rauben!“

Die Prinzessin schwieg; ihre leuchtenden Augen waren wie im Seherblick in die Ferne gerichtet. Dann hub sie abermals lebhafter an:

„Von diesem Zeitpunkte beginnt mit meiner Selbstständigkeit – auch meine Unglückszeit. Ich trat von nun ab mit allen Ansprüchen meines Namens auf; wer fände da in Neidern nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_070.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)