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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


am Nachmittage einen kleinen Ausflug mit der Herrschaft machen; verlaß unterdeß die Zimmer nicht.“

„Sie wollen einen Ausflug machen – und allein mit unseren Wirthen? Sie allein?“

„Weshalb nicht? Sind sie nicht die beste Escorte, wenn ich unter Feinde geriethe?“

„Sie müssen es wissen,“ sagte Friedrich kopfschüttelnd. „Sie sollten mich mit sich nehmen,“ setzte er nach einer Weile hinzu.

„Ich brauche Dich nöthiger hier – als Hüter, weißt Du.“

„Oder Herrn Glauroth …“

Der wäre der Letzte gewesen, den ich mitgenommen hätte.

„Nein, nein,“ sagte ich, „man hat Herrn Glauroth nicht geladen. Sprich nicht mit ihm darüber – der Ausflug ist eine Sache von ein paar Stunden und der Rede nicht werth.“

Trotzdem aber sollte ich Friedrich doch zum Begleiter auf unserem Ausfluge erhalten.

Der Geistliche machte mir am andern Morgen einen Besuch. Er kam, wie er sagte, mich daran zu erinnern, daß ich versprochen, am Nachmittage mit ihm und Fräulein Blanche eine Spazierfahrt nach dem alten Schlosse von Colomier aux Bois zu machen.

„Wie könnt’ ich eine so verheißungsvolle Fahrt vergessen haben – ich verspreche mir einen sehr großartigen Genuß davon,“ antwortete ich.

„Ich hoffe,“ sagte der Abbé lächelnd, „daß auch Fräulein Blanche den Genuß davon haben wird, Sie von ihrem Colomier ganz entzückt zu sehen.“

„Gehört es ihr?“

„Der Familie Kühn – das alte Castell und eine einträgliche Ferme am Fuße desselben.“

„Ah, desto besser,“ fiel ich ein. Diese Thatsache mußte mir mein Mißtrauen nehmen, wenn ein solches in mir über ein so außerordentlich freundliches Entgegenkommen aufgestiegen wäre. Es war so natürlich, daß man dem Fremden einen so schönen Besitz zeigen, ihm damit am Ende ein wenig imponiren wollte!

„Ich habe dabei eine Bitte,“ fuhr der geistliche Herr fort, … „wir haben ein kleines Vesperbrod mitzunehmen; um es zu hüten und zu serviren, fehlt der Bediente; der Diener von Madame Kühn ist unter die Zuaven gegangen, der Gärtner eignet sich zu solchen Diensten nicht – würden Sie Ihren Burschen nicht mitnehmen können?“

„Sehr gern!“ sagte ich bereitwillig. „Er hat mir schon den Wunsch ausgedrückt, mich begleiten zu dürfen!“

„Also um vier Uhr treten wir unsere Fahrt an?“

„Wann Sie befehlen!“

Nach einer kurzen Unterhaltung über gleichgültige Dinge empfahl sich der geistliche Herr.

„Ich soll Friedrich mit mir nehmen?“ sagte ich mir. „Merkwürdig! Was braucht man einen Diener bei einem kleinen ländlichen Vesperbrod, wie sie das nennen? Und haben sie ihren Kutscher nicht, wenn der Bediente fehlt? Es scheint, auch Friedrich soll aus diesen Zimmern fortgeschaft werden! Nun wohl, ich will dafür sorgen, daß es nichts hilft, uns überlisten zu wollen. Warum sagt dieser geistliche Herr nicht offen, was da hinten steckt? Wenn sie irgend etwas in dem Versteck da hinten aufbewahren, was sie verstecken wollen, weshalb reden sie nicht, und weshalb fürchten sie uns als Diebe und Plünderer?“

Ich ging in die Bibliothek zurück und nahm aus einem der Schränke ein Exemplar des Chevalier von Faublas, das ich vorhin gesehen. Bei unserem gemeinschaftlichen Essen sagte ich zu Glauroth:

„Mein lieber Camerad – Sie werden den Nachmittag Dienst haben.“

„Und welchen?“

„Sie werden, da ich mit Friedrich eine Recognoscirung vornehmen will, bei der Fräulein Kühn unsern Wegweiser machen wird …“

„Das Fräulein – das haben Sie als Führer requirirt … wahrhaftig, das ist stark … hüten Sie sich, daß sie Sie mir nicht verführt, oder gar entführt …“

„Eben weil das möglich ist, und damit unsere Heeressäule nicht ohne Haupt bleibe, vertraue ich Ihnen unterdeß den Oberbefehl an. Der Dienst soll aber nicht schwer für Sie sein. Sie werden sich in meinem Zimmer in einen beliebigen Lehnstuhl setzen und eine Cigarre entzünden; Sie dürfen auch die Romanze vom einsamen Zecher in Scene setzen; dürfen aber unter keiner Bedingung die Zimmer verlassen, bis ich zurückgekommen bin. Das ist meine strenge Ordre; wenn Sie sie übertreten, thu’ ich Ihnen ein Leids an oder ich lasse Sie gar vor ein Kriegsgericht stellen. Da Sie aber ein leichtsinniger Mensch sind und ich mich nicht im Geringsten auf Sie verlasse, so habe ich ein besonderes Mittel ersonnen, Sie an Ihren Posten zu fesseln. Ich habe Ihnen den Chevalier von Faublas heruntergeholt.“

„Den Chevalier von Faublas? Wer ist das? Was soll ich mit ihm? Heißt der geistliche Herr etwa so, und sollen wir einen kleinen Tempel zusammen machen?“

„Was denken Sie … ich rede von einem Buch – haben Sie nie davon gehört?“

„Nein – ich erinnere mich nicht, daß in unserem Maturitäts-Examen die Kenntniß desselben verlangt wurde.“

„Um so mehr wird es Sie freuen, den Chevalier von Faublas jetzt kennen zu lernen; er ist eine so bewundernswürdige, so glänzende Vereinigung von niederträchtiger Lüderlichkeit und lauterer Schönheit der Form, daß er einen Mann wie Sie während der Stunden, in welchen ich Sie gefesselt wissen will, sicher nicht losläßt!“

„Ah – es ist sehr schön, daß Sie so zu meiner Bildung beitragen wollen.“

„Gut,“ versetzte ich; „ich baue darauf, daß Sie die Zimmer, was auch kommen mag, nicht verlassen!“

„Das lautet ja fast geheimnißvoll!“

„Nehmen Sie an, es berge sich ein Geheimniß dahinter – Sie werden mir desto gewissenhafter diesen Dienst leisten!“

Ich stand auf, rief Friedrich, und wir rüsteten uns zur Abfahrt. Auf dem Hofe fuhr ein leichter offener Wagen vor, bespannt mit zwei ziemlich schweren Rossen, die auch wohl, wenn sie nicht zu solchen Diensten gebraucht wurden, den Ackerwagen zogen. Derselbe Mensch, mit dem wir am Abend zusammengestoßen waren, lenkte sie; er mußte eine Art Factotum im Hause sein; aber als Kutscher sollte er nicht fungiren; als Fräulein Blanche heruntergekommen und sich auf die vordere Bank des Wagens geschwungen, reichte er ihr die Zügel. Ich eilte, nicht warten zu lassen, und als ich die Treppe niederstieg, wurde ich gebeten, meinen Platz neben dem Fräulein zu nehmen; der Geistliche und Friedrich nahmen die zweite Bank ein. Die Pferde zogen an, das Fräulein lenkte mit vollkommener Sicherheit. Wir rollten durch Ackerfluren dahin, in südlicher Richtung, auf guter fester Straße; nach einer halben Stunde waren wir in einem von zur Rechten ziemlich schroff, zur Linken sanft ansteigenden Bergen eingeschlossenen Flußthal, das sich mehr und mehr verengte; zu unserer Linken schlängelte sich durch Wiesen und Weidendickicht der Oignon. Auf der ganzen von einem heitern Himmel überspannten Landschaft lag Sonnenschein und tiefer Friede.

„Es ist seltsam,“ sagte ich, „der Krieg ist’s doch allein, was mich hierher, in diese mir fremde Welt gebracht hat. Und doch ist’s mir in diesem Augenblick unmöglich, an den Krieg zu glauben. Wenn wir von verstorbenen Freunden oder Angehörigen träumen, so erscheinen sie uns stets als lebend; die Thatsache des Todes ist etwas, wofür unser Seelenleben kein Organ, sie zu fassen, hat; so ist mir jetzt die Thatsache des Krieges etwas Unfaßbares; in diese Welt gehört nicht der Krieg, die Seele stößt den Begriff von sich; Tod und Krieg sind zwei gleich absurde Dinge, dem Urmenschenwesen völlig fremd!“

„Weshalb,“ antwortete Fräulein Blanche, „bringen Sie den Krieg, das nach Ihren eigenen Worten Unmenschliche? Sie sagen: Ihr habt begonnen, Ihr habt in unser Land einbrechen wollen. Aber rechtfertigt ein Frevel, den ein Anderer beginnt, mich, wenn ich den Frevel überbiete?“

„Denken wir, um nicht darüber selbst in Krieg zu gerathen,“ entgegnete ich, „daß es ein Verhängniß sei, wie ein Sturm, ein furchtbares Wetter, das ja auch plötzlich über solch eine friedliche Welt ausbrechen kann! Von wie viel solcher Mächte und verhängnißvoller Kräfte, die als Schicksale über uns kommen, muß sich der Mensch nicht erfassen und beherrschen lassen, und kann sie nicht ändern! Erfassen uns die Leidenschaften nicht just so?“

„Nein,“ sagte sie fast heftig, „die Leidenschaften müssen wir zu beherrschen wissen!“

„Gut,“ erwiderte ich; „musterhafte Menschen können das, wenn sie die Einsicht haben, zu sehen, die Leidenschaft führt sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_039.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)