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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


von uns, den Berg herunter debouchirte mit Plänklern vorneweg mindestens ein Bataillon Franzosen und drohte uns paar Mann abzuschneiden. Jetzt schnell auf die andere Seite des Dammes und auf die Bande gefeuert. ‚Schießt ruhig und sicher,‘ mahnte Hauptmann Franke, ‚nehmt Euren Mann auf’s Korn, in der Nähe schießen die Franzosen ganz schlecht;‘ mit diesen Worten suchte Hauptmann Franke den etwas gesunkenen Muth in uns wieder aufzurichten, und wie zum Beweis seiner Aussage stellte er sich frei über die Böschung, ohne daß es ihm geschadet hätte; die Franzosen schossen viel zu hoch. Dadurch wurden auch wir ruhig, luden hinter der Böschung unsere Flinten, Einer sprang allemal vor, zielte eine Weile ruhig, gab Feuer und sprang zurück, um dem Nächsten Platz zu machen; auf diese Weise gelang es uns, das Corps aufzuhalten. Einmal versuchten sie eine Attaque, aber da sprangen wir Alle wie ein Mann vor, gaben nach Commando fünf bis sechs geschlossene Salven ab, und da auch die Württemberger, welche sich jetzt an uns angeschlossen hatten, auf den Damm kletterten und von da aus feuerten, so gelang es, den Anprall abzuhalten. Auf die Dauer konnten wir uns der Uebermacht aber doch nicht erwehren.

‚Ich will,‘ sagte darum der die Württemberger commandirende Hauptmann zu unserem Capitain, ‚ich will mit meinen Leuten vorne etwas Luft machen, und Sie, Herr Hauptmann, halten die dort rechts im Schach, dann ziehen wir uns retour.‘

Wir waren fünf Stunden gegen eine mindestens zehnmal so starke Truppe im Feuer gewesen, hatten ziemlich die Hälfte unserer Mannschaft eingebüßt und vergaben unserer Ehre nichts mehr, wenn wir uns rückwärts zogen. Von zweiunddreißig Mann waren noch achtzehn kampffähig, die Anderen todt und verwundet; das württembergische Bataillon war über tausend Mann stark gewesen, und waren, nach Aussage des Hauptmanns, auch nur höchstens sechshundert Mann noch auf den Beinen. Eine Compagnie Württemberger blieb bei uns, und die Anderen machten unter Hurrah einen Bajonnetangriff auf die Franzosen, es gelang auch ganz gut, nur drückten die Franzosen so furchtbar nach und beschossen uns auch mit Mitrailleusen so kolossal, daß wir statt langsam im Laufschritt zurückgehen mußten.

Nach einer Viertelstunde, welche ich nie vergessen werde, kamen wir in das Dorf Villiers, hier legten wir uns eine halbe Stunde in den Chausseegraben und ruhten etwas aus. Es war gegen zwei Uhr Nachmittags, mir schlug der Puls fieberhaft; nichts gegessen und getrunken, ermattet bis auf’s Aeußerste, so lagen wir im Graben, ich dachte nicht anders als: es ist Alles verloren! Doch zu unserm Glück rückte das siebente Regiment Prinz Georg, sowie das sechste Regiment Nr. 105 zu unserer Unterstützung vor; Reserve-Batterien von uns und den Württembergern kamen auch in tollster Carrière herangejagt und protzten vor Villiers ab. Das Regiment Prinz Georg formirte mittlerweile dicht neben uns eine Gefechtsstellung.

‚Vorwärts, Leute, was vom hundertsiebenten Regimente da ist, mir nach!‘ rief Hauptmann Franke, indem er uns an den linken Flügel des siebenten Regimentes führte; ‚wir müssen die Bande wenigstens aus Villiers wieder hinausjagen.‘

Mitrailleusen, Granaten, Shrapnells, kurzum allen Tod und Teufel warfen die Franzosen auf uns herab, aber das half Alles nichts, unter Hurrah machten wir in das verwünschte Villiers hinein und trieben die Franzosen wieder hinaus. Leider hielt das Corps nicht so lange Stand, daß wir unsere Bajonnete hätten benützen können; ehe wir heran kamen, waren die rothen Hosen schon wieder hinter der nächsten Mauer. Um fünf Uhr verschanzten wir uns in Villiers und marschirten, nachdem uns Preußen abgelöst hatten, nach Noisy le grand, wo wir unsere alten Quartiere bezogen. Ich hatte früher mit neun Mann in einer Stube gelegen, heute fanden sich blos zwei Mann ein, Gräfner aus dem Schützenhause kam herunter, und wir drei Mann kochten uns nun eine tüchtige Erbswurst.

Den 1. December lagen wir wieder in Angriffscolonnen von früh sechs Uhr bis Nachmittag sieben Uhr im freien Felde (fünf Grad Kälte), dann marschirten wir nach Malnou; hier hatten wir sehr schlechte Quartiere, und außer einem alten Feldzwiebacke gar nichts zu essen. Lieutenant Gruhl, unser Compagnieführer, dem ich unsere Noth klagte, sagte noch zu mir: ‚Na, geben Sie sich nur zufrieden, lieber Krauße, mir geht es selber nicht besser, morgen will ich Euch schon bessere Quartiere verschaffen, es ist jetzt aber nicht möglich.‘ Er ahnte nicht, daß es seine letzte Nachtruhe auf dieser Erde sein würde. Früh am 2. December gegen vier Uhr Alarm! ‚Heiliges Pech, was ist denn schon wieder los? Daß dem Trompeter doch seine Messingtute in den Hals fahre!‘ Diese und noch kräftigere Soldatenwünsche fielen rings herum. Na, wir hingen unser Zeug um und marschirten mit leeren Magen bis Noisy le Grand, wo bereits die ganze vierundzwanzigste Division versammelt war. ‚Erstes und zweites Bataillon vom hundertsiebenten Regiment stillgestanden! Das erste und zweite Bataillon vom hundertsiebenten Regiment haben den Auftrag erhalten, das von den Franzosen besetzte Dorf Brie mit Sturm zu nehmen, das dritte Bataillon vom Friedrich-August-Regiment bleibt zur Unterstützung bereit, ein Zurückgehen kenne ich nicht, nur vorwärts, rührt Euch!‘ Jawohl, uns rührte bald der Schlag, wie Maior v. Bose uns diese Rede hielt. Gewehr über, rechtsum, marsch, durch Noisy durch und im Laufschritt mit vollem Gepäck nach Brie hinein. Rechts lag der verwünschte Mont Avron mit seinen Batterien, weiter zurück Fort Rosny und Fort Nogent, links war die erste französische Feldwache, unsere dritte Compagnie links hinauf in die Franzosen mitten hinein. Ihr hättet nur im Anfang den Spaß sehen sollen, die Kerle saßen ganz fidel da und tranken Kaffee und schrieen mordsjämmerlich, als wir so ‚wie ein Gebild aus Himmelshöh’n‘ mitten hineinplumpsten. Rechts von mir sprangen zwei Franzosen ohne Gewehr auf, ‚pardon, monsieur, pardon!‘ schrieen die beiden Kerlchen und legten sich lang auf die Erde; ich sprang hinzu, nahm den Zunächstliegenden am Kragen, riß ihn in die Höhe und versetzte ihm einen Fußtritt, daß er gleich den kleinen Abhang nach der Straße hinunterpurzelte, wo er sofort von den untenstehenden Mannschaften in Empfang genommen und gefangen wurde; der zweite sprang gleich von selbst mit hinterher.

Wir drangen viermal vor und wurden viermal zurückgeschlagen, unser Lieutenant Gruhl fiel; Oberlieutenant Röderer von der vierten Compagnie rief nicht weit von mir einem französischen Officier zu, sich zu ergeben; er hielt ihm dabei die Pistole vor die Brust; der Franzose nahm seinen Säbel unten an der Spitze und reichte Röderer den Griff dar; Röderer ließ sofort seine Pistole sinken, während er aber die Linke nach dem Säbel ausstreckte, zog der Hund von einem Franzosen mit der Hand, die er frei hatte, einen Revolver aus der Rocktasche und schoß Röderer auf der Stelle nieder. Ich kann den Eindruck dieser entsetzlichen Scene nicht schildern. Kaum aber war die Unthat geschehen, so stürzten wir auf den infamen Hund los, im nächsten Augenblick schon lag er am Boden und mit Bajonnet und Kolben hackten wir den Kerl förmlich zu Brei. Ich habe dort oben noch zwei Franzosen mit dem Bajonnet über den Haufen gerannt und keinen Pardon mehr gegeben. Gegen vier Uhr war auch dieser Kampf zu Ende; unser Regiment hatte an diesen beiden Tagen zwölf Officiere und sechshundertsiebenunddreißig Mann verloren.“

Aus dem Briefe des Malers Heine selbst heben wir nur noch folgende, zum Verständniß des Bildes nöthige Stelle aus:

„Schon am frühen Morgen des 2. December, um zwei Uhr, wurden wir in Champs aus unserem Schlafe durch Alarm geweckt. Es kam der Befehl, daß unsere Truppen die am 30. November eingebüßten Stellungen von Brie und Champigny wieder zu nehmen hätten. Die Truppen, denen wir gegen acht Uhr folgten, marschirten um sechs Uhr aus; kurz nach sieben Uhr rückten die Sachsen gegen Brie, und ihr Angriff war so stürmisch und plötzlich, daß, obwohl die Franzosen durch das Terrain sehr begünstigt waren, das Dorf mit etwa dreihundert Gefangenen unter hallendem Hurrah genommen wurde. Wir verfolgten inzwischen unsern Weg in der Richtung gegen das am 30. November in unseren Händen gebliebene Villiers, unaufhörlich schlugen die Granaten in nächster Nähe von uns ein, furchtbares Geschützfeuer, sowie das ohne Unterbrechung dröhnende Kleingewehrfeuer zeugten von dem furchtbaren Kampfe, der vor uns wüthete. Brie wurde um diese Zeit von den ringsum liegenden Forts aus mit Granaten förmlich überschüttet, und es war den wackeren Sachsen unter solchen Umständen unmöglich, das Dorf zu halten. Nach allen Richtungen fielen die Geschosse; auf dem Plateau von Villiers, welches meine Illustration darstellt, regnete es Kugeln aller Art; selbst auf dem Verbandplatze war keine Sicherheit mehr, und dem ganzen Lazareth-Detachement, Oberarzt, Aerzte, Gehülfen und Wagen, blieb nichts übrig, als eilenden Schrittes sich zurückzuziehen über das Ackerfeld, durch dornige Hecken, über breite Gräben. Wohl wehte die weißrothe Fahne, aber die Franzosen nahmen ihrer nicht in Acht, und die Entfernungen, in welchen sie schossen, waren wahrhaft kolossal. Wie Brie, so fiel auch Champigny, gegen das die Württemberger vorgegangen waren, wieder in die Hände der Feinde; gegen vier Uhr endete das mörderische Gefecht. Am nächsten Tage besuchte ich wiederholt das Schlachtfeld, und der freundlichen Mittheilung des Hauptmanns von Minkwitz, den ich dort beim Stabe des Prinzen Georg traf, verdanke ich manche Ergänzung des von mir selbst Tags zuvor Gesehenen und somit auch die Ergänzung und vermehrte Authenticität meines Bildes.“


Einiges über den Aberglauben des deutschen Soldaten im Kriege. (Von einem preußischen Officier.) Es ist eine vielfach bekannte und oft behandelte Thatsache, daß alle Handwerke, die mit einer gewissen Gefahr für denjenigen, der sie betreibt, verbunden sind, auch einen ganz eigenthümlichen Aberglauben erzeugen, der wohl so alt sein mag, wie diese Gewerke selbst. Der Seemann läuft Freitags nicht in die offene See, der Bergmann enthält sich im Schachte des Fluchens, der Jäger erwartet ein Unglück, wenn ihm am Morgen als erstes ein altes Weib begegnet, der Schieferdecker stellt die Arbeit ein, wenn er dreimal klopfen hört, der Seiltänzer wagt das Seil nicht ohne sein Amulet zu besteigen – wie mir Fräulein Elise Godeau Anno 64 bei Kolter-Waitzmann oft genug versicherte – u. s. w.

Natürlicherweise kann man deshalb erwarten, daß auch der Soldat seinen besonderen Aberglauben habe, und man wird seine Erwartungen nicht getäuscht finden; denn allerdings huldigt auch er – natürlich nur im Kriege – vielfach abergläubischen Gebräuchen und Ansichten, von denen ich, nach meinen in den letzten Feldzügen gemachten Erfahrungen, einige Proben hier mittheilen will.

Es war im Jahre 1866 am Abende nach der Erstürmung von Königinhof. Das Regiment, dem ich damals zugetheilt war, hatte im Divisionsverbande ein Bivouac am Rande eines Waldes bezogen und war gerade mit dem Abkochen beschäftigt. Da es bereits stark dunkelte, so sah man in der Ferne den Horizont vom Feuerschein noch brennender Ortschaften nordlichtartig erhellt. Gluthrothe Rauchwolken, mit glimmenden Funken untermischt, trieben in dichten Massen am Himmel dahin und zeugten von den fürchterlichen, nunmehr auf kurze Zeit ruhenden Kämpfen der letzten Tage. Ich stand gerade im Schatten einiger starker Stämme, am Saume des Waldes, und betrachtete in Gedanken versunken das unheimlich-schöne Schauspiel. Einige Schritte von mir entfernt, doch so, daß sie mich nicht sehen konnten, saßen zwei Grenadiere, die offenbar in dieselbe Betrachtung versunken zu sein schienen. Der Eine sagte zum Andern: „Dort scheinen mir immer noch einige Dörfer zu brennen;“ worauf ihm der Andere in belehrendem Tone entgegnete: „Weißt Du denn noch nicht, daß im Kriege immer solche Feuerzeichen am Himmel stehen? Das hat mir schon mein Großvater erzählt, der die Freiheitskriege mitgemacht hat!“ Hierauf unterhielten sie sich etwas leiser und für mich unverständlich. Ich konnte ihre Reden erst wieder verstehen, als der Zweite den Ersten fragte: „Hast Du denn nicht auch den Brief, der unverwundbar macht?“ Der Angeredete verneinte diese Frage, und Beide standen auf und entfernten sich flüsternd.

Nun muß ich vorausschicken, daß ich schon oftmals unter den Mannschaften verschiedener Regimenter von einem noch heutzutage vorhandenen wunderthätigen Briefe hatte sprechen hören, der angeblich im dreißigjährigen Kriege unter den Landsknechten weitverbreitet gewesen sein und die Eigenschaft besessen haben soll, seinen Eigenthümer unverwundbar zu machen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_019.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)