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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


den Feind in aufgelöster Flucht bis unter die Wälle des damals noch gänzlich unarmirten Forts Charenton trieb. Es wäre in Paris selbst eingedrungen, wenn es statt der stricten Ordre umzukehren die nöthige Unterstützung durch das nächste Armeecorps empfangen hätte. Schon damals besetzte dasselbe Regiment den Park und die nächsten Umgebungen von St. Cloud, und jener tapfere Officier empfing den Schlüssel des Schlosses. Der denkwürdigen Geschichte dieses französischen Herrschersitzes hatten die dem Kriege zunächst vorangegangenen und die dessen Erklärung zunächst gefolgten Wochen noch manches interessante Capitel hinzugefügt. Dort war vom Kaiser das schicksalsvolle Document unterzeichnet worden, das die Furien des Verderbens entfesselte. Dort hatte die Kaiserin-Regentin noch eine Zeit lang, mit dem Schatten der Macht bekleidet, Hof gehalten und den abwesenden Gemahl repräsentirt. Militärisch war die Position des nahen Mont Valérien halber schwer haltbar. Man gab sie daher zunächst auf und zog die Truppen aus dem Park und Schloß zurück. Und doch erkannte man ihre Wiederbesetzung bald als eine Nothwendigkeit. Ende September wurde der Park neuerdings in Besitz genommen, nicht ohne Verluste der preußischen Truppen, welche ihrerseits leider genöthigt waren, die am Endpunke einer der prächtigen Alleen befindliche und von den Franzosen als Zielpunkt benutzte hochragende „Laterne des Diogenes“ in die Luft zu sprengen.

Wollten die Franzosen dafür Rache üben? Am 13. October schüttete der Mont Valérien auf das wenig besetzte und an sich strategisch wenig wichtige Schloß St. Cloud jenen Regen von Brandgranaten, der den schönen Prachtbau in Flammen setzte und es gleichzeitig den zur Bergung und Rettung der unersetzlichen Kunstschätze, Bibliotheken und Denkwürdigkeiten unerschrocken thätigen preußischen Jägern unmöglich machte, ihr Rettungswerk ganz durchzuführen.

Seitdem ist das prächtige Lustschloß so vieler Herrscher Frankreichs eine traurige Brandruine; statt durch hohe Spiegelscheiben in schimmernde kunstgeschmückte Säle scheint der Tag durch leere ausgebrannte Fensterhöhlen auf ein Chaos von Trümmern, verkohlten Balken, verbogenen Eisen; und was der Bau enthielt, liegt theils darunter zerschmettert, theils ging es draußen im langen Regen zu Grunde, theils ist es in alle Welt zerstreut; nur Weniges im Verhältniß hat durch die Vorsorge der Höchstcommandirenden der deutschen Heere gesichert und erhalten werden können. Mit so viel schönen und bedeutenden Dingen ging denn auch ein mehr zierlich spaßhaftes zu Grunde; der große Spielplatz des „Kindes von Frankreich“, der sich zur Linken des Schlosses auf einem freien, höhergelegenen, von hohen Bäumen eingefaßten Platze noch heute in geringen Resten erkennen läßt. Das Niedlichste darauf war eine in Form einer großen Acht gebildete und somit überall in sich selbst zurückkehrende Miniatureisenbahn, mit allem Zubehör getreulichst ausgeführt, mit Waggons, heizbaren Locomotiven, Bahnhöfen, Weichenstellung, Signaltelegraphen, mit hübschen Viaducten über Thäler, und Tunneln, sicher ein so vergnügliches als lehrreiches Spielwerk für einen vierzehnjährigen Burschen.

Seitdem aber sowohl die Pracht als das Spiel hier auf diesem Gebiet ihr Ende gefunden haben, hat die harte kriegerische Arbeit darauf um so ernstlicher und energischer begonnen. Der ganze weite Park mit den zunächst an seine Umfassungsmauern angrenzenden Ortschaften, mit den Eisenstraßen und Chausseen, die ihn theils durchschneiden, theils berühren, den Gebäuden, die er enthält, ist im Augenblick nur noch Material, aus welchem die unsere Vertheidigungs- und Belagerungsarbeiten leitende Militärbehörde die ihr nothwendig und geeignet erscheinenden Werke formt. Unter den mancherlei Unbequemlichkeiten, welche diese Thätigkeit erschweren, sind die bei Tag und Nacht nie ganz ausbleibenden Granatwürfe die störendsten. Aber auch gegen diese sind die soldatischen Arbeiter bereits ziemlich abgestumpft. Ihr Hauptärger ist nur, daß denen, die jene schleudern, noch immer nicht (hoffentlich jetzt bald!) mit gleicher Münze heimgezahlt werden soll. Wie stark aber auch die Macht der Gewohnheit sei, der Wachdienst auf den Vorposten ist darum doch immer ein in hohem Grade nervös aufregender für Officiere wie Soldaten. Die bereits vom Anfange des Feldzugs her datirenden freundschaftlichen Beziehungen zu Einigen der hierher Commandirten und hierher Commandirenden erschließt mir manches Gitterthor und manche Straße, die für den profanen, den nichtsoldatischen „Kriegsbummler“ sonst ziemlich streng verschlossen bleiben. Wenn Ihre Leser mir dorthin folgen, werden sie jenes eigenthümlich Aufregende dieser Art von Dienst sehr begreiflich finden und Gattungen von architektonischer und landschaftsgärtnerischer Kunstthätigkeit kennen lernen, die schwerlich ihres Gleichen haben.

Von Ville d’Avray aus, nahe vor der großen Bogenüberwölbung seiner Hauptstraße durch die Eisenbahn Paris-Versailles, führt ein ziemlich steil ansteigender Weg zwischen Villen und niedrigen Gartenmäuerchen zum östlichen Seitenthore des Parkes von St. Cloud. Wer allein mit seinem Passirscheine ausgerüstet den Eintritt zu erhalten hoffte, würde diese Hoffnung sicher an der Unerbittlichkeit des Wachtpostens scheitern sehen. Hier hilft nur die persönliche Begleitung eines gastlichen Officiers, wie unseres verehrten unermüdlichen Freundes Lieutenant Bringer vom ersten Bataillon des achtundfünfzigsten Regiments, die mir glücklicherweise nicht gefehlt hat; wie denn durchweg diese Herren dort auf Vorposten gegen ihre wißbegierigen Gäste eine liebenswürdige Aufmerksamkeit und Bereitwilligkeit, gute und unschätzbare Dienste zu leisten, an den Tag legen, die nicht hoch genug anzuerkennen ist.

Nach kurzem Gange durch die nächsten Alleen gelangen wir an den freien weiten Platz, den „Stern“. Nach allen Seiten hin gehen breite Avenuen von ihm aus. Militärische Arbeitercompagnien sind hier mit Axt, Spaten und Hacke beschäftigt, einen großen, quer durch den ganzen nordwestlichen Theil des Parks gehenden Verhau anzulegen, breiten Graben und Wall, Deckungen für Infanterie und Positionen für Feldgeschütz, eine dritte Vertheidigungslinie gleichsam, deren Feuer das jener breiten Alleen beherrscht und dem ausfallenden Feinde, der etwa die beiden vorliegenden überwunden haben sollte, das weitere Vordringen sehr verleiden würde. Erde, Rasen, Sandsäcke und besonders Gesträuch und Bäume des Waldes selbst geben die Baumaterialien, und Pionniere und Linieninfanterie wetteifern im Geschick und in der Schnelligkeit ihres Herbeischaffens und in der Herstellung dieser Arbeiten. – Um von hier aus nach dem Platze der „Laterne“ vorzugehen, thut man immer gut, nicht gerade in der freien breiten Straße zu spazieren, sondern lieber zu „wandeln unter den Bäumen“. Sie haben drüben zur Linken auf dem Mont Valérien merkwürdig scharfe Augen und sind mit Pulver und Granaten von der kolossalen Art der Fünfundvierzig- und Fünfundsiebenzigpfünder so unerlaubt verschwenderisch, daß sie nicht zögern, auch den harmlosen einzelnen Spaziergänger mit deren Sendungen zu beehren. Freilich ist auch das Dickicht nur ein mehr eingebildeter Schutz, denn überall zeigen sich im Moosboden dort die „Trichter“, welche früher eingeschlagene und im Boden crepirte Geschosse zurückließen, zersplitterte Stämme, ja auch wohl verstreute einzelne Exemplare dieser eisernen „Zuckerhüte“ selbst noch uncrepirt auf der dürren Laubdecke.

Diese kritische Stellung darf natürlich unsere Pionniere nicht stören und nicht verdrießen, welche gerade hier etwas weiter vor gegen den Abhang und unterhalb die große feste Batterie zu vollenden im Begriff sind, die, mit schwerem Geschütz armirt, in dem vielleicht doch noch bevorstehenden großen Concert der Beschießung von Paris eine sehr wichtige Rolle zu spielen haben wird. Wenn auch im Allgemeinen die praktischen Resultate dieser französischen Schießübungen hier kaum die theuren Kosten derselben werth sind, so müssen die Unseren doch zugestehen, daß die zwei Monate der Belagerung der artilleristischen Ausbildung der Pariser Besatzung sehr zu Gute gekommen und daß entschiedene Fortschritte in ihren Leistungen gegen früher bemerkbar geworden sind.

Weiter hinaus, dort unten links am bewaldeten Abhange, schimmern die Waffen der da postirten „Feldwachen“ zwischen den Stämmen herauf. Tiefer, gerade vor uns, die Seine. Durch das raschelnde dürre Laub am weichen Waldboden steigen wir hinab bis zum ersten Absatz, den eine breite Allee, dem Fluß ziemlich parallel, hier auf der Hälfte des Hanges bildet. In dieser Allee ist die Wahl der beschleunigten Gangart und das wiederholte „Deckung suchen“ hinter den Stämmen der Eichen jedem nicht lebensmüden Spaziergänger sehr anzurathen. Gerade von hier aus liegt ziemlich nah und deutlich da unten vor uns die gesprengte Seinebrücke, und in den ersten Häusern von Boulogne drüben hart am jenseitigen Ufer und an der Landstraße nach Paris sind an den Fenstern und draußen an den Gartenmauern die französischen Schützen permanent im Anschlage. Unsere Feldwachtposten diesseits mögen ihrerseits auch der Lust nicht widerstehen, den Grad ihrer Schieß- und Trefffähigkeit an ihrem Vis-à-vis praktisch zu erproben. Die Folge ist ein nie ganz schweigendes,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_015.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)