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verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


No. 1.   1871.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.


Pulver und Gold.

Den Mittheilungen eines Officiers nacherzählt von Levin Schücking.


Wir hielten auf einem Höhenzuge, den die vortrefflich gebaute und wohlerhaltene Chaussee – um die Obstbäume rechts und links waren sogar kleine runde Resedabeete angelegt – überstieg, um sich vor uns in ein weites muldenförmiges Thal niederzusenken. Eine weite, farbenreiche, aber wie träumend und weltentrückt daliegende Landschaft! Grüne Fluren, die Dächer der Dörfer in Grün gehüllt, grüne Waldstrecken, hier und da das Gewässer eines Flusses, der sich durch den fernen Grund schlängelte; jenseits desselben Aecker und Weinberge und leise anschwellende Hügel, über die dunkelviolette Tinten ausgegossen lagen, und, in hellere Bläue gekleidet, Bergzüge dahinter, über denen der Abendhimmel rosigen Schimmer breitete. Und über dem Allen Todtenstille! Wenn ich in eine solche mir fremde, im Abendsonnenlichte daliegende Landschaft blicke, hat sie für mich stets etwas Urweltliches, noch von Menschen nicht Berührtes, Unentdecktes, was mich in allerlei Träumereien versenkt. Es ist eben die überwältigende Macht des Eindrucks der Natur, der uns die Menschen in solch weiter großer Welt, und was darin geschehen, die „Geschichte“, vergessen läßt.

Zu solchen Träumereien hatte ich freilich jetzt sehr wenig Ruhe und Muße. In die still und abendlich da vor uns ausgebreitete Natur brachten wir eben Geschichte genug; in die friedliche Schlummerstimmung, in welcher das Gelände müde vor uns lag, brachten wir den Krieg, den hellen wachen Krieg; in die menschenleere stumme Umgebung unserer Straße schnaubten unsere Rosse hinein, es klirrten die Kinnketten und die Bügel, es klapperten die Säbelscheiden an den Flanken unserer Pferde, deren Hufe das Pflaster schlugen; über uns aber im Abendwinde flatterten die schwarzweißen Fähnlein unserer Lanzen.

Wir waren unser ein Dutzend. Ich, damals noch Vice-Wachtmeister, hatte sie zu führen … lauter frische und rüstige, heute bei dem schönen Herbstwetter fast muthwillige Reitersknechte, die sich nicht anfechten ließen, daß, während die Schwadronen, zu denen wir gehörten, im letzten, eine halbe Meile hinter uns liegenden Städtchen ruhig sich einquartiert hatten, wir noch eine tüchtige Strecke weiter reiten mußten.

Wir sollten, so lautete unsere Ordre, Chateau Giron besetzen; es lief da eine steinerne Brücke über den Fluß, und jenseits der Brücke kreuzte sich die Chaussee, auf welcher wir daher geritten kamen, mit einer anderen, die von Lure, den obern Oignon entlang in der Richtung nach Befangen lief, während unsere Chaussee geradezu auf Mömpelgard führte. Chateau Giron also war zur Bewachung des Ueberganges über den kleinen Fluß und des Kreuzungspunktes der Straßen jenseits ein nicht unwichtiger Punkt. Ich hatte Befehl erhalten, da Posto zu fassen, und von dort aus Recognoscirungspatrouillen auf das jenseitige Oignonufer auszusenden, während sich in unserm Rücken unsere Heermassen über Besoul auf Gray und auf Besançon vorschoben. Unser Rückhalt lag hinter uns in dem Städtchen Noroy, auf das wir uns zurückzuziehen hatten, wenn wir von Franctireurbanden in überlegener Stärke angegriffen worden wären.

Daß die Gegend nicht frei von diesen Banden war, sollten wir noch ein diesem Abende wahrnehmen. Als wir etwa eine Viertelstunde weiter getrabt waren, sahen wir plötzlich, auf einer neuen Bodenerhebung angekommen, unter uns in der Tiefe des Thalgrundes einem Trupp dieser blaubekittelten Miliz … sie waren zu fern, um sie an ihrer primitiven Uniform zu erkennen, aber die Läufe ihrer Flinten blitzen in den letzten Strahlen der Sonne, wie sie in großer Hast durch eine Allee dahineilten, welche von der Chaussee rechtsab auf ein stattliches herrschaftliches Gebäude zuführte. Sie umgaben einen mit einem Tuche überspannten Karren, der von zwei voreinander gespannten Pferden gezogen wurde … wir konnten wahrnehmen, wie sie in hastiger Flucht auf die Pferde einhieben, um sie im Laufen zu erhalten. Es mochten ihrer zehn oder ein Dutzend sein – ein Reiter führte sie, in welchem einer unserer Ulanen, der sich eines Perspectivs erfreute, einen Gensd’armen erkennen wollte.

Der Karren, den sie führten, mußte, so schlossen wir aus ihrer Eile, ihn in Sicherheit zu bringen, Verwundete enthalten – vielleicht auch flüchtige Weiber und Kinder aus der Nachbarschaft, die, beim Anblick unserer Lanzenfähnlein von Schrecken ergriffen, sich vor uns deutschen Barbaren in Sicherheit bringen wollten.

Zwischen den Vorgebäuden des Edelhofes verschwand der ganze Haufe.

Es mußte Chateau Giron sein, dieser Edelhof, just der, den wir besetzen sollten. Wenn die flüchtige Bande sich da hineinwarf und es vertheidigte, so hatten wir die Aussicht auf ein kleines Gefecht, bevor wir und unsere Thiere zur Ruhe kamen. Doch war es nicht wahrscheinlich, daß sie den gefürchteten Ulanen die Stirn bieten würden. Ihre Flucht da unten durch die Allee deutete auf panischen Schrecken.

Wir setzten also ruhig unsern Marsch fort, erreichten die Allee und bogen in sie ein. Ich sandte zwei Eclaireurs vorauf. Sie kamen, nachdem sie den Schloßhof überblickt, mit der Meldung zurück, daß sich kein Feind dort mehr sehen lasse, und Alles sicher

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