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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


Stätte für ferne dunkle Gerüchte aus alter Zeit. Ueberdies stehe ich in keiner Beziehung zu dem dortigen Hofe; beliebt es ihm nicht, meine bürgerliche Gemahlin zu empfangen, so wird es mir leicht sein, ihn zu meiden, und wir werden in anderen Kreisen hinreichenden Ersatz dafür finden. Laß es meine Sorge sein, der Gräfin Arnau in diesen Kreisen die ihr gebührende Stellung zu sichern.“

Eine dunkle Röthe übergoß Gertrud’s Antlitz bei den letzten Worten; den einst so glühend gehaßten Namen, sie hörte ihn jetzt zum ersten Male als ihren künftigen aussprechen.

„Und Deine Großmutter?“ fragte sie leise.

Das Antlitz des Grafen verdüsterte sich. „Mit ihr hatte ich einen schweren Kampf zu bestehen, denn sie allein errieth den Grund meiner Handlungsweise, die sonst Niemand begriff. Sie dankt es ihrem Starrsinn, wenn dereinst eine fremde Hand ihr die Augen zudrückt. Wir sind unversöhnt geschieden.“

„O Hermann, Du brichst mit Allem um meinetwillen!“

Er hob sanft ihr Haupt empor und sah ihr in’s Auge. „Und Du gabst Dein Heiligstes hin, das Andenken Deines Vaters, um mich zu retten. Opfer um Opfer! Gertrud, ich bin nicht mehr der kalte Egoist, der nichts kennt als seinen Ehrgeiz. Du weißt es, was mich hart und bitter gemacht hat, was meine Jugend vergiftete und mir schon als Kind die Liebe und das Vertrauen zu den Menschen nahm – gieb Du sie mir wieder!“

Der volle heiße Blick der Liebe in ihren Augen gab ihm Antwort. „Ich habe eine Bitte an Dich, Hermann, es ist die erste. Laß das Geschehene auch zwischen uns begraben sein, laß uns mit keinem Worte mehr daran rühren. Wir wollen es vergessen – für immer.“

„Für immer!“

Draußen fiel der Schnee noch immer, lautlos und dicht und legte sich fest und kalt auf die erstarrte Erde; aber hier innen schlugen zwei Herzen warm und voll einander und ihrer neuen Zukunft entgegen. Den alten Fluch, der so lange das Leben der Beiden verdüstert und sie auf ewig zu trennen schien, sie hatten ihn gelöst mit eigener kraftvoller Hand. Nicht gerächt, aber gesühnt war das Verbrechen, und Beide fühlten jetzt, was die alte Präsidentin aussprach, als das letzte Blatt jener Anklage in Staub und Asche niedersank: „Gott sei Dank! Jetzt ist das Unheil zu Ende!“




Meine Turcos-Studien.
Von Heinrich Freiherrn von Maltzan.


Der Name „Turcos“, der jetzt so vielfach genannt wird, ist keineswegs die wirkliche Benennung der einheimischen algierischen Infanterie-Soldaten. Officiell heißen sie „Tirailleurs algériens“, das heißt „Algierische Plänkler“, und dies ist auch die einzige Benennung, welche die Araber, so schwer es ihnen auch wird, diese französischen Worte auszusprechen, der Truppe geben und welche diese sich selbst beilegt. Im arabischen Munde kommt freilich das „Tirailleur“ sehr verhunzt heraus, so daß man es kaum verstehen kann, und lautet etwa wie „Diralljir“. Aber das Wort Turco zu gebrauchen, erscheint dem Araber zu standeswidrig, da er weiß, daß kein einziger Türke jetzt in diesem Corps dient oder vielleicht jemals darin gedient hat. Daß die Turcos selbst sich nicht so nennen, hat seinen Grund darin, weil der ganze Name durch seine Endsylbe „o" eigentlich nur ein Spitzname mit verächtlicher Nebenbedeutung ist und etwa der kleine verächtliche Türke bedeutet.

Die Turcos sind ein sogenanntes Fremdencorps. Obgleich nämlich die Algierer französische Unterthanen sind, so haben sie doch nicht das französische Bürgerrecht. Der Name „Franzosen“ in seiner politischen Bedeutung wird ihnen abgesprochen. Als Fremdencorps steht die Truppe der Turcos auf gleichem Fuße mit der Fremdenlegion, und Fremde aller Nationen können sich in sie aufnehmen lassen. Ich begegnete eines Tages zwei Turcos in Algier, deren weiße Haut und blonde Haare deutlich ihren nicht afrikanischen Ursprung verriethen, und war nicht wenig erstaunt, sie im geläufigsten Plattdeutsch sich unterhalten zu hören: Sie waren aus der Gegend von Braunschweig und hatten erst in die Fremdenlegion treten wollen; da diese aber überfüllt war, so mußten sie Turcos werden und hießen jetzt „Mustapha“ und „Hassan“. Jeder Europäer nämlich, der Turco oder Spahi (einheimischer Reiter) wird, muß einen arabischen Namen annehmen. Der Unterschied in der Zusammensetzung dieser beiden Fremdencorps, der Turcos und der Fremdenlegion, scheint mir jetzt der zu sein, daß man die Einheimischen nur in die Turcos aufnimmt, während letzteres Corps in jeder anderen Beziehung sich aus denselben Elementen recrutieren kann wie die Fremdenlegion. Die Bedingungen zum Avancement sind bei den Turcos auch ganz dieselben wie bei der Fremdenlegion. Bei beiden sind alle Officiere, vom Hauptmann an, ausschließlich Franzosen: Der Fremde kann es in beiden Corps nur bis zum Oberlieutenant bringen. Bei den Turcos wird der Einheimische in dieser Beziehung den Fremden ganz gleich gerechnet. Ich kannte einen Italiener, der Lieutenant bei den Turcos war und die Truppe verließ, weil er es nicht weiter bringen konnte. Bei Arabern kam es wohl früher einige Male vor, daß sie bis zum Hauptmann avancierten um vorzüglicher Dienste willen; aber das war für sie ein rein nomineller Rang, denn der einheimische Hauptmann stand unter dem Commando eines französischen Lieutenants und hatte gar nichts zu sagen. Solche Beispiele, wie Jussuf, der General geworden, sind große Ausnahmen, die aus den Anfangszuständen der Colonie herrühren. Heut’ zu Tage bringt es kein Araber mehr zu hohen Ehren.

Die Elemente, aus denen die Turcos bestehen, sind also sehr verschiedenartig, da, wie gesagt, auch Deutsche (hoffentlich jetzt keine mehr) darunter dienten. Gleichwohl kann man ein vorherrschendes Element unterscheiden; dieses sind die Kabylen, namentlich die aus Großkabylien und aus der Provinz Constantine. Die Kabylen sind bekanntlich Ureinwohner, die ihre eigene Sprache reden. Ihr Gesichtstypus läßt sich von dem arabischen meist gut unterscheiden. Der Araber hat längliche Züge, eine gerade oder eine Adlernase und im Ganzen einige Aehnlichkeit mit dem Inder. Der Kabyle dagegen hat ein mehr rundliches Gesicht, zuweilen hervortretende Backenknochen, oft eine Stumpfnase, meist einen großen Mund. In der Hautfarbe herrscht große Mannigfaltigkeit. Ich sah Kabylen, die weiße Haut und blonde Haare hatten. Sie waren von jenem Stamme, den man gewöhnlich für Abkömmlinge der alten Vandalen hält, obwohl auf keine anderen Anzeichen hin, als die erwähnten physiognomischen. Andere sah ich, die ganz dunkelbraun waren, aber nicht etwa Negerblut in ihren Adern hatten, denn der Kabyle verachtet die Schwarzen und wird nie eine Negerin heirathen.

Ist nun schon das kabylische Element bei den Turcos von sehr mannigfaltiger äußerer Erscheinung, so gewinnt doch das Gesammtbild noch bedeutend an Buntheit durch die Beimischung von Abkömmlingen anderer einheimischer Stämme und Mischracen. Unter den Mischracen sind zwei, deren Angehörige sich mitunter bei den Turcos anwerben lassen, nämlich die Mulatten und die Kuluglis. Letztere sind Mischlinge von Türken und Arabern, Abkömmlinge der früher in Algier herrschenden türkischen Janitscharen und arabischer Frauen. Das Wort soll „Sohn des Einäugigen“ bedeuten, weil der erste Türke, der eine Algiererin heiratete, einäugig gewesen wäre. Die Kuluglis haben die kriegerischen Instincte ihrer Vorfahren geerbt, und deshalb werden sie gern Soldaten; da sie aber auch deren Stolz geerbt haben, und dieser bei der gedrückten und wenig ehrenvollen Stellung, die ein Turco einnimmt, keine Nahrung findet, so lassen sich nur die verkommensten Subjecte unter ihnen bei dieser Truppe anwerben. Gleichwohl giebt es immer eine Anzahl Kuluglis bei den Turcos, und die Franzosen sehen sie gern, da sie etwas disciplinfähiger sind, als die übrigen. Der Typus der Kuluglis unterscheidet sich wenig von dem der Südeuropäer. Besonders ihr Bartwuchs gleicht durch seine Fülle dem europäischen, während der echte Araber nur spärlichen Bart hat.

Die Mulatten sind die unliebsamste Zugabe zu den Turcos, welche die Franzosen zwar annehmen, wenn Mangel ist, aber nicht gern. Die algierischen Mulatten sind nämlich meist schwächlich, sowohl an Körper, als an Geist, und sehr schwer zu discipliniren, nicht ihrer Ungebundenheit, sondern lediglich ihrer sprüchwörtlichen Dummheit wegen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 884. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_884.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2019)